Sölden. Wie sich HSV-Handballstar Hans Lindberg nach seiner schweren Nierenverletzung in sein altes Leben zurückkämpft.

Hans Lindberg sitzt in der Designlounge des Bergland-Hotels in Sölden und zieht sein Hemd auf der linken Seite hoch. „Da!“, sagt der Rechtsaußen der HSV-Handballer, „20 Zentimeter lang.“ Zum Vorschein kommt eine Narbe wie ein Halbmond vom Bauch einmal rum zum Rücken. Darunter liegt die gerettete Niere. „Ei­ne schöne Narbe“, schwärmt die Physiotherapeutin Jenny Köster. Gerade für einen Außenspieler sei die Körperrotation wichtig. Verklebte, ausgefranste Narben könnten diese behindern.

Ob die Narbe nun schön oder schaurig ist, weiß Lindberg im Gespräch mit dem Abendblatt im Trainingslager in Tirol nicht so recht. Für den 33-jährigen Dänen ist sie vor allem eine Erinnerung an den Tag, der sein Leben veränderte. Den 1. April, als er im Bundesligaspiel bei den Füchsen Berlin mit Nationalkeeper Silvio Heinevetter zusammenprallte – und seine linke Niere riss. „Am Anfang habe ich mich geärgert, dass kein Tor gepfiffen wurde“, erzählt Lindberg, „ansonsten erinnere ich nicht mehr an viel. Ich hatte große Schmerzen, aber konnte erst nicht sagen, wo.“ Als er in der Berliner Charité aufwachte, standen etwa 15 Ärzte um ihn herum. Sie verheimlichten ihm zunächst, dass die zwei Teile der Niere nur noch zu zehn Prozent zusammenhingen. Seine Eltern Erling und Sigrun wachten sieben Tage in Berlin am Krankenbett. Seine damals schon schwangere Frau Jeanette blieb die ganzen zwei Wochen. Die Tante, eine Kirchendienerin auf Island, betete jeden Tag für ihn.

„Nur froh, dass ich meine Niere noch habe“

„Ich bin nur froh, dass ich meine Niere noch habe und wieder lachen kann“, sagt Lindberg nun, der „Mr. Iceman“ vor dem Tor. Seine bis dato schwerste Verletzung war ein gebrochener Finger. „Wenn so ein schwerer Unfall passiert, ist Handball ganz schnell Nebensache. Man fragt sich, wie das Leben weitergehen soll. Man lernt Kleinigkeiten schätzen, dass man zehn Meter spazieren kann ohne Schmerzen. Es ist auch gut, wenn man sich mal zurücknehmen und von außen gucken kann. Ich habe mich in schlechten Zeiten kennengelernt.“

Am Ende hatte er einen Schutzengel, auch wenn die Niere nie wieder zu 100 Prozent arbeiten wird. „Er ist super im Timing, wir sind alle positiv überrascht“, sagt Jenny Köster. Sein Wunsch ist es, im ersten Saisonviertel zurück „auf der Platte“ zu sein. Das Geduldigsein ist nicht so leicht für einen, der als Ehrgeizling und Besessener gilt. Auch jetzt muss ihn Michael Biegler, der neue Trainer, manchmal bremsen. Nach einer nicht ganz optimalen Reha-Runde am Montag guckte Lindberg geknickt. „Ich meinte zu ihm: Ich will nur sehen, dass du dich immer freust, wenn es hier mal ’ne halbe Stunde klappt und da wieder eine Viertelstunde“, erzählt Biegler. „Er bekommt alle Zeit der Welt.“ Der 54-Jährige erinnert daran, dass er in Polens Nationalteam Karol Bielecki coacht, der 2010 sein linkes Augenlicht verlor.

Biegler legt Wert darauf, dass Lindberg und auch der andere Rekonvaleszent Johannes Bitter in Sichtweite des Teams in der Freizeit-Arena Sölden arbeiten: „Hans ist ja Teil des Teams!“ Das Mannschaftstraining wäre noch zu gefährlich für die Niere. Wegen der Körperkontakte und Drehungen.

Lindberg sieht wie ein Handball-Mini aus

Während also der restliche Kader Deckungsarbeit bolzt, tippelt Lindberg durch die Koordinationsleiter. Dann wirft er behutsam Bitter ein paar Bälle in die Arme. Später zielt er aus 50 Zentimetern gegen die Wand und fängt die Abpraller auf. Der große Hans Lindberg sieht in der Reha wie ein Handball-Mini aus. Vor zweieinhalb Wochen hatte er erstmals wieder versucht zu joggen, „aber es war eher ein Spaziergang“. Zehn Kilo Muskelmasse verlor er, vier hat er wieder drauf. „Aber ich muss die richtigen Kilo wieder zunehmen, ich habe in den drei Monaten auch schön gegessen“, sagt Lindberg und lächelt.

Das Interview mit ihm ist dreigeteilt, jeweils nach zehn Minuten wird er von Stefan Schröder in den Billardraum des Hotels gerufen. Dort findet an dem Abend ein „HSV-Olympia“ statt. Rechtsaußenkollege „Schrödi“ ist nicht nur sein Billardpartner, die beiden Linkshänder teilen sich in der nunmehr neunten Saison auf Auswärtsfahrten das Zimmer.

Der HSV-Vertrag des zweimaligen Europa- und Vizeweltmeisters läuft noch bis 2017. In der neuen Saison wartet der Club mit „Danish Dynamite“ auf. Mit Linksaußen Casper Mortensen dürfte Lindberg eine Weltklasse-Flanke bilden. Und Spielmacher Allan Damgaard soll das Duo in Szene setzen.

Von Biegler hat Lindberg schon viele positive Eindrücke: „Man merkt, dass er viel Zeit gehabt hat, sich vorzubereiten, und dass er richtig Bock hat. Er kommt mit guter Energie, und das überträgt sich aufs Team.“

Nach dem schweren Lebenseinschnitt läuft es derzeit für Lindberg. Vor dem Trainingslager verbrachte er einen Italienurlaub am Comer See mit seiner Jeanette. Am 10. August ist Stichtag für das erste Baby. „Wir fühlen uns bereit“, sagt der fast 34-Jährige. Das Kinderzimmer wird gerade tapeziert. „Das blaue Thema“, verrät er, es wird also ein Junge. „Das Leben ist schön“, sagt Hans Lindberg.