„Es tut mir leid, was passiert ist“, sagt HSV-Linksaußen Toto Jansen, nachdem er Füchse-Spieler Ivan Nincevic kurz vor Schluss per Kopfstoß schwere Verletzungen zufügte.

Berlin – Seine Familie ist Ivan Nincevic heilig. Ehefrau Marija und die beiden Söhne Luka und Louvre sind für ihn die wichtigsten Menschen in seinem Leben. „Da geht für mich nichts drüber“, so der Familienmensch Nincevic. Nicht mal sein geliebter Sport. So sagte der Kroate im Dezember vergangenen Jahres aus Sorge um seinen Jüngsten sogar die Teilnahme an der Handball-WM ab, weil dieser im Krankenhaus lag. „Geht es meiner Familie schlecht, geht es mir schlecht.“ Diese Mal aber war es seine Ehefrau, die beinahe zusammenbrach, als sie vom Leid ihres Liebsten erfuhr. Eine Weinattacke schüttelte sie durch, und im fernen Zadar an der kroatischen Mittelmeerküste brach Nincevic’ Mutter angesichts der schockierenden Bilder zusammen und musste sogar ins Krankenhaus gebracht werden.

Übelkeit und Schwindelgefühle

„Es ist schrecklich, dass meiner Familie das angetan wurde und sie das im Fernsehen mit ansehen musste“, sagte Ivan Nincevic gestern und vergaß dabei beinahe die Schmerzen in seinem arg lädierten Gesicht. Schlecht sei ihm ein bisschen und er habe Schwindelgefühle, sagte der 31-Jährige mit gedrückter Stimme. Kein Wunder bei der rüden Attacke, die ihm am Abend zuvor im Hamburg widerfahren war.

Im Ligaspiel der Füchse in Hamburg laufen die letzten Sekunden. Die Partie ist zu diesem Zeitpunkt längst zugunsten des HSV entschieden (28:25). Mit einem Mal brennen beim Hamburger Torsten Jansen „die Sicherungen durch“, wie er später zugibt. Mit einem brutalen Kopfstoß streckt der frühere Weltmeister den Berliner Nincevic nieder. Der Füchse-Torjäger bleibt bewusstlos auf dem Hallenboden liegen, wird minutenlang behandelt. Wenig später wird er blutüberströmt abtransportiert, in der Halle ist es mucksmäuschenstill. Nur ein paar Fans schmettern Schmähgesänge, „aber das waren wenige Vollpfosten. Das Publikum hat mit Pfiffen reagiert, das war das richtige Zeichen der großen Handball-Familie“, sagte Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning. Als das Spiel weiterging, warfen sich die Spieler beider Teams den Ball gegenseitig zu und ließen die Uhr herunterlaufen. Ein Beweis, dass sie das nötige Fingerspitzengefühl haben.

Ivan Nincevic war da längst schon auf dem Weg ins Krankenhaus, wo die fünf Zentimeter lange Wunde unter dem Auge von innen und von außen genäht wurde. „Diese Narbe habe ich jetzt ein Leben lang“, sagte Nincevic und konnte schon wieder Lächeln, obschon diese Bewegung ihm starke Schmerzen bereitete. Immerhin: die Befürchtung eines Jochbeinbruch bestätigte sich nicht, Nincevic erlitt eine schwere Prellung und eine schwere Gehirnerschütterung. Er wird nun von der medizinischen Abteilung der Füchse um Mannschaftsarzt Jürgen Bentzin weiter überwacht. „Wir werden Ivan engmaschig neurologisch untersuchen und planen nach Abklingen der Schwellung in drei bis vier Tagen eine weitere Kernspintomogoraphie“, erklärte Bentzin. „Ich war noch nie bewusstlos. Ich bin einfach schockiert, dass so etwas passieren kann“, sagte Nincevic.

Auf eigenen Wunsch und damit eigenes Risiko hin wurde Nincevic nach der ambulanten Behandlung seiner Wunde aus dem Krankenhaus entlassen. Vor der Klinik wartete die Mannschaft auf ihren Linksaußen und nahm ihn in Empfang, ehe es dann im Bus gemeinsam wieder nach Berlin ging. Für Nincevic war es die letzte Busreise mit den Füchsen, denn die schlimme Verletzung bedeutet das Saisonaus für den Kroaten, im Sommer verlässt er den Verein. Im Fuchsbau herrschte gestern Fassungslosigkeit über die brutale der Attacke. „Provokation ist das eine“, sagte Hanning, „aber das war Körperverletzung. Das hat im Handball nichts zu suchen.“ In 30 Jahren Handball habe er das noch nicht erlebt. Hanning schaute sich das Video am Tag danach noch einmal in Ruhe an – und kam zu dem Entschluss, dass es da keine zwei Meinungen geben kann. „Wir verurteilen das Foul aufs Schärfste ohne Wenn und Aber.“ Gleiches dachte auch Füchse-Trainer Dagur Sigurdsson, der während der Pressekonferenz direkt im Anschluss an das Spiel seinen Emotionen freien Lauf ließ. Weil HSV-Coach Martin Schwalb lapidar von „einem Zusammenstoß“ zwischen Jansen und Nincevic gesprochen hatte, flippte Sigurdsson aus. „Das war kein Zusammenstoß. Jansen hat Nincevic geköpft und ist dann wie ein kleines Kind weggelaufen“, ereiferte sich Sigurdsson. Den Hamburgern war trotz des Sieges denn auch nicht wirklich wohl in ihrer Haut. „Die Stimmung ist getrübt. Wir können den Sieg nicht richtig genießen“, gestand Rückraumspieler Pascal Hens.

Während Nincevic am gestrigen Mittwoch in Berlin den ganzen Tag über behandelt wurde, traf sich am Vormittag die Mannschaft des HSV zum Auslaufen. Und die Gedanken von Jansen waren dabei immer noch in der letzten Spielminute des Topspiels. „Es tut mir leid, was passiert ist. Das habe ich nicht gewollt. Ich habe mich selbst erschrocken und wünsche natürlich Ivan Nincevic schnelle Genesung. So etwas habe ich im Leben noch nicht gemacht“, sagte der Weltmeister von 2007 und entschuldigte sich via Telefon bei Nincevic, nahm dabei erleichtert zur Kenntnis, dass sich der Verdacht eines Jochbeinbruchs vorerst nicht bestätigte. Nincevic nahm die persönliche Entschuldigung von Jansen an.

Ausgerechnet Torsten Jansen. Der Vorbildprofi, Vater von vier Kindern. „Torsten war mein Jugendspieler, ich bin mit ihm in die Bundesliga aufgestiegen“, sagte Bob Hanning, der eine besondere Emotionalität gegenüber Jansen empfindet. „Wir dürfen jetzt nicht seine außergewöhnliche Karriere auf diese eine schreckliche Szene beschränken.“ Ähnlich sah es HSV-Coach Schwalb. „Wir kennen ‚Toto‘ nicht nur als Familienmenschen, sondern auch und vor allem als durch und durch fairen Sportsmann, der viel für den HSV Handball und auch den Deutschen Handball geleistet hat. Dass es zu dieser Situation gekommen ist, hat uns alle überrascht – auch Toto, das kann ich deutlich sagen. Er weiß, dass es ein Fehler war, und ich bin mir sicher, dass sich etwas Ähnliches bei Torsten Jansen nicht wiederholen wird.“

Jansen wird gesperrt

Trotz der Bestürzung über das brutale Foul behalten die Füchse die Nerven. Man wolle jetzt, dass sich alles beruhige, sagte Hanning. „Dann werden wir uns mit den HSV-Verantwortlichen zusammensetzen und das weitere Vorgehen besprechen. Manchmal ist es besser, die Dinge im Dialog zu besprechen.“ Der Geschäftsführer bedankte sich für das rasche Eingreifen der Hamburger: „Wir danken dem Mannschaftsarzt des HSV für das schnelle Handeln.“

Die Tätlichkeit und Disqualifikation für Jansen wurde von den beiden Schiedsrichtern im Spielbericht festgehalten, der Linksaußen muss mit Konsequenzen rechnen. „Er wird für 14 Tage vorsorglich gesperrt. In dieser Zeit hat der HSV die Möglichkeit zur Stellungnahme. Dann entscheidet die Disziplinarkommission“, sagte Spielleiter Uwe Stemberg. Die Höchstsperre beträgt zwei Monate plus Geldstrafe. Allerdings kann Jansen nur für Bundesliga-Partien in dieser Saison suspendiert werden, und das sind nur noch zwei.

Nincevic selbst hatte sich noch keine Gedanken über rechtliche Schritte gegen den HSV-Spieler überlegt. „So weit denke ich noch nicht, ich will vor allem wieder gesund werden.“ Man kann aber davon ausgehen, dass der Kroate sich einen Anwalt sucht und Jansen wegen schwerer Körperverletzung verklagen wird.