Hamburg. Die Hamburger haben ihr schwierigstes Spiel im EuroCup vor sich. Aus sportlichen Gründen, vor allem aber der Umstände halber.

Roi Cohen ist sicher. Jerusalem wird seit Kriegsbeginn als bestgeschützter Ort in Israel angesehen. „Es ist seltener ein Ziel von Attacken wegen des Status als heilige Stadt für drei Religionen“, sagt Cohen. Doch Terroristen ist nichts heilig. Auch nicht ihr eigener Glaube, hinter dem sie perfide ihre barbarischen Taten verstecken.

Nein, Cohen mag geschützt sein, beschützt kann er sich nicht durchweg fühlen. Das Bittere daran: „Es ist fast schon zum neuen Normal geworden“, sagt Cohen. Aber er lässt sich nicht entmutigen. „Wir sind die resilientesten Menschen der Welt, wir repräsentieren Israel.“ Und mit ihm die Basketballer von Hapoel Jerusalem, die Cohen als Teammanager und Medienchef betreut.

Basketball: Veolia Towers Hamburg spielen in Bulgarien gegen Hapoel Jerusalem

An diesem Mittwoch (19 Uhr/MagentaSport), fast auf den Tag ein Jahr nach dem widerwärtigen Überfall der Hamas, empfängt Hapoel im EuroCup die Veolia Towers Hamburg. Wobei „empfangen“ jeder Beschreibung spottet. Natürlich kann die Partie aus Sicherheitsgründen nicht in Israel ausgetragen werden, sondern stattdessen im bulgarischen Samokow, rund 50 Kilometer südlich von Sofia. Dort hat der Club in dieser Saison, abgeschottet von der Öffentlichkeit, seine zweite Heimat für den internationalen Wettbewerb gefunden, nachdem die vergangene größtenteils im serbischen Belgrad gespielt wurde.

Daheim in Israel ist die Mannschaft nur an den Wochenenden für Spiele der nationalen Liga. Die ausländischen Akteure bleiben mitunter durchgängig in Bulgarien, weil sie um ihre Sicherheit und die ihrer Familien fürchten. „Vor allem die Spieler, die neu in Israel sind, haben Sorgen. Wir haben Verständnis dafür, kommunizieren offen mit ihnen, halten keine Nachrichten zurück“, sagt Cohen. Aktuell lasse sich sowieso nur von Tag zu Tag planen, was die infrastrukturellen Herausforderungen zwischen Jerusalem und Samokow zusätzlich erschwert.

Der Krieg in Israel bringt Hapoel und Maccabi näher zusammen

Umso wichtiger sei es, dass der enge Zusammenhalt erhalten bleibt. So grauenvoll die Zeiten auch sind, es ist der Silberstreif, den Cohen entdeckt hat. Der Krieg habe Teile der Bevölkerung stärker geeint. Die in allen Sportarten tief rivalisierenden Clubs Hapoel und Maccabi lassen ihre Feindschaft ruhen. „Der Wettbewerb besteht weiter, aber es kommt häufig zu gegenseitigen Solidaritätsbekundungen, wenn ein Fan der Gegenseite gefallen ist“, sagt Cohen.

Ein Jahr nachdem 1205 Menschen von palästinensischen Terroristen ermordet, bei lebendigem Leib verbrannt, Babys enthauptet wurden, zu spielen „ist extrem emotional“, so Cohen. „Wir haben Dutzende unserer Fans verloren, jeder kennt Personen, die getötet oder entführt wurden.“ Einer davon ist Hersh Goldberg-Polin, ein Fußball-Ultra mit starker Verbindung zu Werder Bremen. Seit seine Leiche vor rund einem Monat gefunden wurde, gab es in deutschen Stadien Solidaritätsbekundungen.

Towers-Trainer Benka Barloschky: „Es ist tragisch“

„Es ist sehr wichtig für uns, die Dankbarkeit gegenüber Deutschland zum Ausdruck zu bringen“, sagt Cohen. Zum Rückspiel gegen die Towers am 17. Dezember wollen 300 Hapoel-Fans nach Hamburg reisen, auch Anhänger von Werder Bremen haben dies vor.

Basketball
Im vergangenen Jahr gastierte Hapoel Tel Aviv bei den Veolia Towers Hamburg. © Witters | Tay Duc Lam

Doch zunächst steht das Hinspiel unter diesen seltsamen Umständen an. „Es ist tragisch, in einem Ausweichland spielen zu müssen“, sagt Towers-Chefcoach Benka Barloschky, für den das Kriegsthema sehr präsent sei. Wenngleich seine Mannschaft, der Keondre Kennedy (muskuläre Probleme im Hüftbeuger) und Zsombor Maronka (Bänderverletzung im linken Knöchel) fehlen, daran nichts ändern kann, möchte sie dem Gegner und dessen Situation Respekt zollen. „Indem wir ihnen ein hochklassiges Spiel bieten, durch das sie sich 40 Minuten nur auf den Sport konzentrieren können und eine Auszeit von allem anderen bekommen“, sagt Barloschky.

Ohne die Freilassung der Geiseln „wäre der Krieg irrelevant“

Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Menschen in Israel nach Abwechslung lechzen. „Aber die Leidenschaft und das Verlangen, Spiele zu sehen, ist von allen Geschehnissen stark beeinflusst worden. Der Fokus der Fans liegt nun weniger auf Basketball und verständlicherweise mehr auf dem, was um sie herum passiert“, sagt Cohen. Wenn die Ultras bei Heimspielen der einheimischen Liga, in der Hapoel nach dem ersten Spieltag Zweiter ist, in ihren Gesängen die Freilassung der noch lebenden Geiseln fordern, sorge dies nach wie vor für Gänsehaut. „Es ist klar für uns, dass dieser komplette Krieg irrelevant ist, wenn sie nicht nach Hause kommen“, sagt Cohen. Wie die „komplexe Situation“ bald gelöst werden kann, weiß aber auch er nicht.

Was Cohen dafür ganz genau weiß: „Nicht jeder in der Welt ist glücklich, uns Israelis gewinnen zu sehen. Das ist völlig in Ordnung und das Schöne am Sport. Es motiviert uns umso mehr, unsere Ziele zu erreichen.“ Und die sind beim amtierenden israelischen Staatspokalsieger sehr hoch angesetzt. Mindestens der Finaleinzug in jedem Wettbewerb soll es sein. Im EuroCup gilt Hapoel Jerusalem – neben Hapoel Tel Aviv der einzige israelische Vertreter – als Mitfavorit auf den Titel. „An unseren Ambitionen hat sich nichts geändert, obwohl es die Umstände haben und auch signifikanten Einfluss nehmen“, sagt Cohen.

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Denn einen Heimvorteil gibt es fernab der Heimat und ohne Zuschauer nicht mehr. Eigentlich ein Unding, dass so etwas nötig ist. Aber, so die traurige Wahrheit, es muss sein. Denn in Jerusalem fühlt sich niemand wirklich geschützt.