Hamburg. Der Hamburger Basketballclub startet Sonntag gegen Brose Bamberg in seine zweite Bundesligasaison. Drei Spieler fallen aus.

Euphorie mag anders klingen, aber Pedro Calles ist nun mal ein sachlicher, akribischer Arbeiter, ein Trainer, der das Detail lehrt und liebt. Und deshalb stört es den Headcoach der Hamburg Towers, dass sein Team am Sonntag (15 Uhr, MagentaSport live) gegen Brose Bamberg quasi einen Kaltstart in die neue Saison der Basketball-Bundesliga (BBL) hinlegen muss. „Die Bamberger haben bereits drei Spiele im deutschen Pokal und eines in der europäischen Champions League absolviert. Wir dagegen haben noch kein offizielles Match bestritten. Das ist ein klarer Wettbewerbsnachteil“, klagt der Spanier. Dennoch schiebt er eine Art Kampfansage hinterher, zumindest dürfte sie als solche gemeint sein: „Also ja, wir werden bereit sein – wenn auch etwas eingeschränkt.“

Als Tabellenletzter der vergangenen, im März abgebrochenen Spielzeit durften die Wilhelmsburger wie Aufsteiger Niners Chemnitz nicht im BBL-Pokal starten. Die sieben Testspiele, sechs Siege, eine Niederlage, hätten aber die Wettkampfatmosphäre nicht ersetzen können, sagt Calles (37). Hinzu kommen Verletzte. Talent Hendrik Drescher (20) verpasst nach einem Kreuzbandriss die gesamte Saison, Co-Mannschaftskapitän Bryce Taylor (34), einst einer der besten und teuersten Spieler der Bundesliga, steckt nach chronischen Achillessehnenbeschwerden im Aufbautraining. Der Shooting Guard kann wahrscheinlich erst im nächsten Jahr erstmals für die Towers auf Korbjagd gehen.

Hamburg Towers: Mentalität und Teamgeist stimmen

Gegen Bamberg fällt nach andauernden Knieproblemen wohl auch Flügelspieler Hans Brase (27) aus. Auch er hat kein Vorbereitungsspiel bestritten. Spielmacher T. J. Shorts (23) wiederum kehrt nach einem Bänderanriss im Sprunggelenk aufs Parkett zurück, Center Maik Kotsar (23) sollte nach Schmerzen in der Schulter ebenfalls am Sonntag im Kader stehen. „Wir suchen aber nicht nach Ausreden, sondern nach Lösungen“, betont Sportchef Marvin Willoughby (42).

An denen arbeitete am Freitag Co-Trainer Benka Barloschky (32) ganz gezielt. Im VIP-Raum der edel-optics.de Arena erläuterte er dem Team an zahlreichen Videosequenzen die Taktik der Bamberger in Angriff und Abwehr, stoppte immer wieder die Spielaufzeichnungen, zeigte und artikulierte dann entsprechende Gegenmaßnahmen. Nach der Theorie folgte eine dreiviertel Stunde später in der Halle die Praxis. „Wir haben eine junge Mannschaft, die jeden Tag dazulernt, dazulernen will. Die Arbeitseinstellung, die Mentalität und der Teamgeist stimmen. Das sind grundlegende Voraussetzungen für eine erfolgreiche Saison“, sagt Calles.

Club hat die Lehren aus voriger Spielzeit gezogen

Wobei Erfolg bei den Towers recht bescheiden definiert wird. „Besser als in der vergangenen Saison“ lautet die offizielle Zielsetzung, und Willoughby wird nicht müde, sie immer wieder zu betonen, um die zuletzt von Experten geschürten Erwartungen runterzudimmen. Kenner der hiesigen Basketballszene zählen die Towers schließlich zu den Play-off-Kandidaten (Plätze eins bis acht). Unbestritten bleibt, dass der Club die Lehren aus der vorigen „erschütternden Spielzeit“ (Willoughby) gezogen hat und vor allem Bundesliga-erfahrene Profis verpflichtete.

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Spielmacher Justus Hollatz (19), der möglicherweise Ende des Monats sein erstes A-Länderspiel für Deutschland bestreiten wird, kann die Unterschiede zum Premierenjahr in der Bundesliga eindeutig benennen: „Unser Spiel ist nicht mehr so statisch, wir agieren schneller, aggressiver, jeder hilft jedem. Wir treten als Mannschaft auf, nicht mehr als eine Ansammlung von Einzelspielern.“ Das hat auch Willoughby beobachtet: „Vom ersten Tag an war bei dieser Truppe ein Gemeinschaftsgefühl zu sehen.“

Calles verzichtet auf klassischen Center unter den Körben

Das ist kein Zufall. Die neun neuen Profis hat Cheftrainer Calles auch nach ihrer Teamfähigkeit ausgesucht, die ist nämlich bei seinen Spielsystemen unerlässlich. Der Spanier will die Gegner über das gesamte Spielfeld attackieren, sie jagen, was nur gelingt, wenn jeder mitmacht, mitdenkt, Freiräume sofort wieder zugestellt werden. Calles verzichtet zudem auf einen klassischen Center unter den Körben, setzt auf Variabilität, Zusammenspiel und auf gute Distanzschützen. In der Vorbereitung bewiesen besonders Kameron Taylor (26), Terry Allen (26) und Jordan Swing (29) diese Wurfqualität. Mit im Durchschnitt 18 Punkten netzte der ehemalige Bamberger Taylor in den Testspielen am häufigsten ein. Neben ihm brillierte US-Point-Guard Shorts mit seiner oft unberechenbaren Art, das Angriffsspiel zu gestalten.

Ob ausschließlich sportliche Fähigkeiten über den Ausgang dieser Saison entscheiden, scheint zweifelhaft. Corona hat auch die BBL fest im Griff, schon am ersten Wochenende fallen drei Begegnungen aus. Auch das zweite Heimspiel der Hamburger gegen Gießen, für den 15. November angesetzt, ist in Gefahr, da sich die Gießener vor zwei Tagen in Quarantäne begaben. Für wie lange entscheidet am Montag das dortige Gesundheitsamt.

Corona-Tests 48 Stunden vor dem Spiel

In der BBL werden die Mannschaften bei örtlichen Inzidenzwerten von mehr als 35 (Hamburg: 153,0 am Freitag) zweimal in der Woche getestet, das zweite Mal stets 48 Stunden vor einem Spiel. Das geht ins Geld. Towers-Geschäftsführer Jan Fischer (40) rechnet mit Kosten von 120.000 Euro für die gesamte Spielzeit. Dazu kommen pro Partie 2000 bis 3000 Euro an zusätzlichen Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen, falls irgendwann wieder Zuschauer zugelassen werden. Für coronabedingte Mehraufwendungen hält die Stadt Hamburg allerdings bis zu 100.000 Euro an Hilfen bereit.

Ohnehin schrumpft der Saisonetat der Towers trotz der Treue der meisten gewerblichen Partner von rund fünf Millionen 2019/2020 auf jetzt etwa 3,5 Millionen Euro. Größere Sorgen bereiten Willough­by jedoch eher drohende Engpässe beim Testen. Das Harburger Labor Bioscientia wertet die Abstriche der Basketballer aus. Alle waren bislang negativ. „Bisher kam es nur zu unwesentlichen Verzögerungen“, sagt Willoughby. „Selbstverständlich treten wir nicht in Konkurrenz zu Krankenhäusern oder Arztpraxen. Wir stellen uns hinten an. Es ist ein Privileg, dass wir weiter in unserer Arena Sport treiben können. Meine und alle anderen Kinder dürfen das nicht.“