Budapest. Der Nationalspieler soll beim Bundesliga-Aufsteiger Erfahrung ins Spiel bringen. Beau Beech ist der neue Kapitän.
Heiko Schaffartzik wirkt abgekämpft, als er sich im 15. Stock des Hotels Budapest zum Interview mit dem Abendblatt in den blauweiß gemusterten Sessel im Retrolook fallen lässt. Schweißtreibende zweieinhalb Stunden mussten der 35-Jährige und seine Mitspieler in der ungewöhnlich aufgeheizten Halle der Vasas Akadémia von Cheftrainer Mike Taylor, Assistenzcoach Austen Rowland und Athletiktrainer Melvyn „Mello“ Wiredu bei intensivem Taktik-und Krafttraining schuften. Ein straffes Programm. Der Neuzugang des Basketball-Bundesliga-Aufsteigers Hamburg Towers blieb nach der intensiven Einheit dennoch länger in der Halle, um sich mit seinem neuen Trainer über taktische Varianten auszutauschen.
Der Dreipunktespezialist will sich sportlich so schnell es geht an Systeme und Mitspieler gewöhnen. Das viertägige Trainingslager der Towers in der ungarischen Hauptstadt Budapest bietet dazu reichlich Möglichkeiten – vor, nach und während des Trainings. „Am Anfang geht es immer darum, erst mal zu schauen, mit wem man zusammenspielt, wer was kann. Die Spielzüge sind letztlich überall gleich – und doch in den Nuancen immer etwas anders. Daran muss man sich nur gewöhnen“, sagt der ehemalige Profi des FC Bayern, der von 2013 bis 2015 für die Münchner warf und mit ihnen 2014 deutscher Meister wurde.
Reibungslos verläuft bisher auch die menschliche Integration in die Mannschaft. Immer wieder klatscht Schaffartzik seine Kollegen ab, sucht mit ihnen und dem Trainerteam das Gespräch, das ihm immer wieder lautstark Hilfe zusichert, für den Fall, dass der gebürtige Berliner gewisse Spielabläufe nicht auf Anhieb versteht.
Towers-Trainer Taylor setzt auf Schaffartzik
„Hier ist der Umgang sehr locker. Das ist mir sofort aufgefallen. Bei den Bayern war es etwas strenger. Das ist Neuland für mich, ich kann mir aber gut vorstellen, dass mir das hier ganz gut liegt. Ich fühle mich jedenfalls sehr wohl“, sagt Schaffartzik, der in der ersten Bundesliga-Saison der Clubgeschichte eine Schlüsselrolle einnehmen soll. „Heiko macht bisher einen richtig guten Eindruck bei uns. Es bringt Spaß, mit ihm zu arbeiten, er will viel wissen. Durch seine Spielintelligenz, seine Wurfstärke und seine Erfahrung macht er uns besser“, sagt Trainer Taylor.
Bedenken, dass er wegen seiner einjährigen Spielpause körperliche und athletische Defizite haben könnte, haben sich bisher als unbegründet dargestellt. Schaffartzik, der die Saisonvorbereitung bei Bayern München mitgemacht und drei Testspiele absolviert hat, wirkt austrainiert und motiviert. „Ich fühle mich richtig gut. Nach dem Krafttraining merkt man den Körper sicher mal, aber das wäre bei einem 16-Jährigen genauso“, sagt der neue Towers-Star.
Über die Gründe, warum er in der vergangenen Saison nicht gespielt hat, gibt es unterschiedliche Versionen. Zuletzt hieß es, dass eine Knieverletzung der Grund dafür war. „Ich musste nicht pausieren. Ich habe ein Jahr pausiert, weil ich ein Jahr pausieren wollte“, erklärt Schaffartzik schmallippig.
Ohnehin macht der Neu-Hamburger den Eindruck, dass sich seine Lust, über seine Vergangenheit zu reden, in engen Grenzen hält. Dabei ist die Geschichte, die der Basketballer zu erzählen hätte, eine äußerst spannende. Schließlich war seine Karriere fast schon am Ende, bevor sie überhaupt richtig angefangen hatte.
Schaffartzik überstand Krebserkrankung
Im Alter von 13 Jahren wurde beim Neu-Hamburger Leukämie diagnostiziert. In der renommierten Kinderkrebsstation des Virchow-Klinikums in Berlin-Wedding musste sich Schaffartzik fast ein Jahr lang einer Chemotherapie unterziehen. Die Ärzte prognostizierten eine Heilungschance von 80 Prozent. Damals wie heute schauten regelmäßig die Profis von Alba Berlin in der Klinik vorbei, um den kleinen Patienten Mut zu machen.
„Die Zeit damals war für meine Eltern schlimmer als für mich“, sagt der Basketballprofi, der den Krebs besiegte und danach eine imposante Profikarriere hingelegte. Die bisherige Bilanz: 115 Länderspiele, zwei Meisterschaften mit Alba Berlin (2003) und Bayern München (2014), französischer Pokalsieger und Europe-Cup-Sieger mit dem Pariser Vorortclub Nanterre 92, viermal ins Allstar-Team der Bundesliga berufen. Schaffartzik hat nicht nur im Leben, sondern auch auf den Basketballfeldern dieser Welt viel Erfahrung gesammelt.
Beau Beech neuer Towers-Kapitän
Stromlinienförmig lief die Laufbahn des 1,83 Meter großen Towers nicht. Gerade abseits des Courts fiel der extrovertierte Basketballer von Zeit zu Zeit auf. Bei seiner ersten Profistation in Gießen wurde er beim Kiffen erwischt, und in Frankreich wachte Schaffartzik einst alkoholisiert im falschen Appartement seines Wohnhauses auf. Zu Beginn seiner Karriere überlegte er sogar, seine Basketballschuhe an den Nagel zu hängen und Versicherungsvertreter zu werden. „Ich bin 35 Jahre alt. Das war damals mit 21, 22 Jahren. Beim besten Willen kann ich mich daran nicht erinnern. Ich weiß es nicht“, blockt Schaffartzik ab und macht einmal mehr deutlich, dass er viel lieber über die Zukunft reden will.
Bei den Towers soll der wurfstarke Profi nicht nur auf dem Platz ein wichtiger Faktor werden, sondern auch in der Kabine die Führungsfigur in der jungen und unerfahrenen Mannschaft geben. „Im Idealfall kann ich mit meinem Können, meiner Persönlichkeit und meiner Erfahrung helfen“, sagt Schaffartzik.
So kann sich Forward Beau Beech über prominente Unterstützung freuen. Der US-Amerikaner wurde wie erwartet zum neuen Kapitän der Towers gewählt. In dem Wahlverfahren setzte sich der 25-Jährige knapp gegen Center Jannik Freese (33) durch. „Das fühlt sich richtig gut an, und ich bin richtig stolz, dass ich Kapitän sein darf. Wir haben aber eine flache Hierarchie, jeder Spieler übernimmt bei uns Verantwortung. Umso mehr freue ich mich, dass wir mit Schaffartzik einen guten und erfahrenen Profi hinzubekommen haben“, sagt Beech.