Hamburg. Marvin Willoughby, Sportdirektor des Basketball-Erstligaaufsteigers Hamburg Towers, über die schwierige Suche nach neuen Spielern.

Marvin Willoughby telefoniert viel in diesen Tagen. Fast im Minutentakt werden dem Geschäftsführer und Sportdirektor der Hamburg Towers von Agenten Spieler angeboten. Auch um seine Stimme zu pflegen, macht sich der 41-Jährige einen Kamillentee, als er das Abendblatt zwei Wochen vor Beginn der Saisonvorbereitung in der Geschäftsstelle des Wilhelmsburger Basketballclubs zum Interview empfängt. Die erste Spielzeit in der Bundesliga beginnt für die Towers Ende September wahrscheinlich mit einem Auswärtsspiel beim deutschen Meister Bayern München.

Hamburger Abendblatt: Herr Willoughby, sind Sie ein guter Sportdirektor?

Marvin Willoughby: Ich werde mich ganz sicher nicht hinstellen und sagen, dass ich der Sportdirektor des Jahrhunderts bin. Es ist doch ganz einfach: Ich werde danach bewertet, wie viele Siege und Niederlagen wir am Ende in der Tabelle haben. Hätten wir in der vergangenen Saison zwei Körbe weniger gemacht, wäre ich nicht gefeiert worden, sondern dann hätte es geheißen: Der Willoughby hat keine Ahnung. So ist das Geschäft.

Blicken Sie manchmal neidisch auf Ihre Fußballkollegen?

Willoughby: Nein, warum sollte ich?

Weil beispielsweise der HSV mit Jonas Boldt einen Sportvorstand hat, der noch einen Kaderplaner, einen Sportdirektor und zahlreiche Scouts zur Verfügung hat. Sie dagegen sind bei der Kaderplanung Einzelkämpfer.

Willoughby: Jedes Modell hat seine Vor- und Nachteile. Im Fußball reden häufig sehr viele Personen bei Transfers mit. Das kann Prozesse auch verlangsamen. Im Übrigen sehe ich mich nicht als Einzelkämpfer. Das Trainerteam und ich sind in engem Austausch. Klar ist auch, dass wir uns mittelfristig im Scouting anders aufstellen wollen.

Was schwebt Ihnen vor?

Willoughby: Die großen Vereine wie Bayern München oder Alba Berlin haben eine eigenständige Scouting-Abteilung. So weit sind wir noch nicht mit unserem Budget. Per­spektivisch sehe ich es als sinnvoll an, Geld in Spielersichtung zu investieren. Du musst einen Scout zwar bezahlen, am Ende aber sparst du Geld, wenn du früher an einem Spieler dran bist. Wenn wir ein Topclub der Bundesliga werden wollen, muss das Budget so aufgebaut sein, dass wir für eine Scouting-Abteilung Platz haben. Das ist eine Professionalität, die wir brauchen. Wir wollen keine Entwicklungen verschlafen, aber unsere Strukturen sollen gesund wachsen.

Wie funktioniert ohne eigene Scouting-Abteilung das Sichten von Neuzugängen?

Willoughby: Das ist ein vielschichtiges Thema. Es gibt Berateragenturen, die sowohl auf den deutschen als auch auf den internationalen Markt spezialisiert sind. Wir arbeiten mit einem freiberuflichen Scout zusammen, der sich eine Scouting-Firma in den USA aufgebaut hat. Er ist viel unterwegs und bewertet Spieler. Dem können wir Namen zurufen, die er sich anschaut und uns dann einen detaillierten Report schickt. Manchmal kommt er auch auf uns proaktiv zu und sagt: Marvin, was hältst du von dem und dem Spieler?

Aber mit Verlaub: Wahrscheinlich wollen doch viele Agenten mit Ihnen nur einen schnellen Euro verdienen.

Willoughby: Es gibt Spielerberater, die preisen dir den besten Werfer und geilsten Typen an. Dann kommt ein Deal vielleicht nicht zustande, aber ich überprüfe später seine Aussagen: Stimmt das, was mir der Agent gesagt hat, oder war das Quatsch? So filtert man Berater raus und baut Vertrauen auf. Natürlich gibt es Agenten, die nur ein schnelles Geschäft machen wollen, aber auch welche, die sich über einen Club und seine Bedürfnisse, was Spieler betrifft, informieren.

Wie behalten Sie mit den Towers den Überblick über die Märkte abseits der USA?

Willoughby: Unser Trainer Mike Taylor hat ein großes internationales Netzwerk, das uns hilft. Unser neuer Co-Trainer Austen Rowland hat lange in Frankreich gespielt, kennt den Markt dort deutlich besser als ich. Und so bündeln wir beim Scouting unsere Marktkenntnisse. Wir beobachten die Zweite Bundesliga ProA und die Bundesliga selbst. Wenn jemand gegen uns 30 Punkte macht, fällt er uns natürlich auf. Ein Beispiel ist Kevin Yebo, den wir über Jahre in der ProA gesehen und seine Entwicklung verfolgt haben. Wir wollten ihn vergangenes Jahr schon haben, da hat es nicht geklappt, aber das bedeutet ja nicht, dass man nie zusammenfindet. Jetzt war die Möglichkeit da, und wir haben ihn verpflichtet. Aber ich verrate Ihnen mal was.

Bitte ...

Willoughby: Zu jedem Transfer gehört eine große Portion Glück. Ich nenne es gern „Educated Guesses“, ausgebildete Vermutung. Eine 100-prozentige Garantie, dass ein Spieler bei dir im Club funktioniert, gibt es nicht.

Wie minimieren Sie das Risiko, einen Flop zu verpflichten?

Willoughby: Das Videomaterial eines Spielers kann noch so toll sein, über allem steht für mich der Charakter. Bevor wir jemanden verpflichten, führe ich einen Background-Check durch, spreche mit ehemaligen Mitspielern und Trainern des Kandidaten. Bei Spielern aus Deutschland treffe ich mich gern persönlich, um einen Eindruck zu bekommen, bei ausländischen Spielern funktioniert das über Telefon und Facetime. Ich will über den Menschen genauso viel wissen wie über den Spieler.

Die Berater müssen Ihnen seit dem Bundesliga-Aufstieg die Bude einrennen, oder?

Willoughby: Es ist Wahnsinn. Wenn ich mich nur fünf Minuten mit jeder Mail und jedem Video, das mir geschickt wird, beschäftigen würde, käme ich zu nichts anderem mehr. Uns schreiben Spieler und Agenten sogar über unsere Social-Media-Kanäle an, um sich anzubieten. Mit dem Aufstieg sind wir plötzlich selbst für Nationalspieler nicht mehr uninteressant.

Einige Fans wundern sich, dass Sie bisher keinen namhaften Star verpflichtet haben.

Willoughby: Ich liebe unsere Fans, aber ich interessiere mich überhaupt nicht dafür, was Einzelne sich für Transfers wünschen. Das meine ich nicht böse, einige haben sicher richtig Ahnung. Fans wollen Starspieler? Wenn uns einer guttut, dann machen wir das. Wenn Russell Westbrook mal in Hamburg spielen will, nehme ich ihn. Wir machen keine Transfers, nur um das Umfeld ruhigzustellen. Wir handeln bei Transfers aus Überzeugung. Wir müssen nicht den besten Spieler der Liga stellen, wir wollen im Kollektiv die beste Mannschaft der Liga werden. Wenn ich jede Strömung von außen an mich ranlassen würde, würde ich wenig und schlecht schlafen.

Das heißt, Sie investieren mehr in die Breite als in die Spitze? Wie soll die DNA des ersten Bundesliga-Teams der Towers aussehen?

Willoughby: Die Frage, die wir uns gestellt haben: Gibt es den einen Spieler, dem wir ein Drittel unseres Etats geben, weil er so gut ist, dass er allein unsere Ziele verwirklichen kann, oder schauen wir, ob wir es alles auf einen breiten Kader verteilen? Aus unserer Geschichte heraus ist es wichtig, dass wir junge, deutsche Spieler in Leistungsrollen bringen wollen. Manche Vereine lassen deutsche Talente nur im Bus mitfahren, damit sie auf dem Spielberichtsbogen stehen. Das ist nicht unsere Philosophie. Für uns ist Kontinuität ein wichtiger Faktor. Wir wollen nicht jedes Jahr ein komplett neues Team aufbauen. Es ist wichtig, dass wir ein Team haben, das uns hilft, die Hürden der kommenden Saison zu überspringen, das aber auch das Potenzial hat, dass man darauf aufbauen kann.

Für was sollen die Towers in der Bundesliga stehen?

Willoughby: Wir wollen Flexibilität haben, um auf verschiedene Herausforderungen reagieren zu können. In der kommenden Saison werden wir nicht in der Lage sein, in den Spielen den Takt anzugeben und dem Gegner unseren Stil aufzudrücken. Wir wollen für alles gewappnet sein. Wenn wir mit kleinen Guards spielen, wenn wir gegen physische Teams spielen, wenn wir gegen schnelle Mannschaften spielen, gegen extrem defensive. Wir wollen immer Antworten parat haben.

Das heißt, trotz der Tatsache, dass es in der Bundesliga keine Ausländerbeschränkung mehr gibt, schließen Sie aus, dass die Towers zu einer Legionärstruppe verkommen?

Willoughby: Noch mal: Wir wollen auf junge Deutsche setzen, aber merken wir, dass ein Spieler nicht so weit ist, müssen wir reagieren, damit bei uns in der Bundesliga nicht das Licht ausgeht. Das heißt nicht, dass wir den Glauben an die Jungs verlieren oder unsere Philosophie über den Haufen werfen. Aber Erfolg ist nicht planbar, manchmal muss man auch Kompromisse eingehen. Natürlich kann es passieren, dass wir nächstes Jahr sechs Legionäre holen, aber nur, wenn wir überzeugt sind, dass es zu dem Zeitpunkt das Richtige ist, was wir brauchen. Wenn das passiert ist, machen wir es, weil es keine Alternative gibt.

Wie hat sich die Arbeit in der Kaderplanung durch den Aufstieg verändert?

Willoughby: Du bist bei einigen Spielen in ganz anderen wirtschaftlichen Dimensionen unterwegs. Es gibt Spieler, bei denen du denkst: „Oh, krass. Das verdient er also im Monat?“ Durch den Mindestetat von drei Millionen Euro, der von der BBL vorgeschrieben ist, machst du einen Sprung, sodass du bei den Spielern in anderen Schubladen schauen kannst.

Um in Ihrer Sprache zu bleiben: In welchen Schubladen schauen Sie nach neuen Profis?

Willoughby: Wir versuchen als Bundesligamannschaft, die keinen Pokalwettbewerb hat und nicht international vertreten ist, Spieler zu bekommen, die aber in diese Schublade gehören. Wir müssen sie überzeugen, für die Towers spielen zu wollen. Das kannst du durch ein gutes Umfeld, vor allem aber mit Geld machen. Für uns ist es aber wirtschaftlich schwierig, einem Spieler „Schmerzensgeld“ zu zahlen, weil er hier in der neuen Saison auf den nationalen Pokal und die EuroLeague verzichten muss. Andere Clubs sind in der Nahrungskette einfach über uns. Wir wollen Spieler aus der obersten Schublade verpflichten, aber da müssen die Umstände passen. Vielleicht, weil er aus einer Verletzung kommt, eine schlechte Saison hatte, sehr wohl aber das Potenzial für die Bundesliga hat. Da müssen wir kreativ sein.

Inwiefern kreativ? Sie planen doch mit einem Etat von rund fünf Millionen Euro.

Willoughby: Wir können uns derzeit wirtschaftlich dennoch keine Dreijahresverträge leisten. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch mittel- und langfristige Pläne haben. Es ist unsere Aufgabe, den Spielern eine Perspektive aufzuzeigen. Im ersten Jahr Rookie in der Bundesliga, im zweiten Jahr vielleicht mehr Einsatzzeit auch im Pokal und vielleicht sogar im Europapokal. Was ein Spieler jetzt unterschreibt und was mit dem Agenten mit Blick auf die Zukunft abgesprochen ist, sind zwei Paar Schuhe.

Sie haben quasi schon einen „Schattenkader“ für die nächsten Jahre im Kopf?

Willoughby: Natürlich habe ich Ideen, wie der Kader über die nächste Saison hinaus aussehen könnte. Ich will aber, dass wir immer genug Spielraum haben, beispielsweise Talente aus der Nachwuchs-Bundesliga in zwei, drei Jahren einzubauen. Deshalb gebe ich einem mittelmäßigen US-Amerikaner keinen Dreijahresvertrag.

Inwieweit sind die Towers ein Ausbildungsverein?

Willoughby: Es besteht bei der Planung mit jungen Spielern natürlich die Gefahr, dass sie sich gut entwickeln und womöglich von einem finanzstärkeren Verein ein Angebot bekommen. Da kann ich es einem Spieler nicht verübeln, wenn er es macht. Wenn ein Louis Olinde in Bamberg einen Vierjahresvertrag erhält, ist es auch ein Kompliment für unsere gute Arbeit. Ein Sportdirektor eines großen Vereins fragte mich unlängst, was für ein Verein wir denn sind. Seid ihr ein Ausbildungsverein? Ich sagte: Wir sind ein Verein, der mitten in der Ausbildung steckt.

Wie wollen Sie die Talente von Rist Wedel künftig einbeziehen? Geht das unter dem Erfolgsdruck in der Bundesliga noch?

Willoughby: Natürlich! Wir wollen sowohl die Towers als auch Rist entwickeln. Wir planen im Bundesligakader mit 14 Spielern und dahinter sechs Talenten aus Wedel, wovon vier regelmäßig bei uns trainieren werden. Wir wollen sie so schnell wie möglich heranführen. Wir sind da aber auch eiskalt. Wenn es Youngster gibt, die mit 23 Jahren nicht das Potenzial haben, einer der besten acht Spieler im Bundesligakader zu sein, dann trennen wir uns. Dann holen wir einen neuen 18-Jährigen, bei dem wir eher die Chance sehen, dass er in drei Jahren den Sprung schafft. Wir wollen auch noch zwei Doppellizenzspieler von außen dazuholen.

Das klingt nach knallhartem Business und nicht nach Towers-Romantik.

Willoughby: Wir mögen unsere Jungs, aber sie werden klar nach Leistung bewertet und nicht danach, ob wir sie mögen oder nicht. Wir wollen in der kommenden Saison um die acht Play-off-Plätze in der Bundesliga mitspielen und mit dem Abstiegskampf nichts zu tun haben.