Hamburg. Was machen Spieler der Hamburg Towers eigentlich in der Sommerpause? Basketballer René Kindzeka trainiert fleißig weiter.
Hey! Na? Handshake. Wenn René Kindzeka Leute begrüßt, die er gut kennt, dann wagt sein Gesicht ein leichtes Lächeln. Ein Hauch Emotion. Außerhalb des Basketballfeldes verkörpert der 1,85 Meter große Mann Kontrolle und Zurückhaltung. Eventuell sogar Melancholie. Das verwundert einen auf den ersten Blick, denn im Spiel kennt der 24-Jährige eigentlich nur eins: Vollgas. Brachte ihm auch mal Kritik ein. Er müsse sein Tempo mal besser zu kontrollieren lernen. Bei den Towers wird er als Point Guard (Aufbauspieler) geführt, Kindzeka ist als einziger Spieler von Anfang an bei der Mannschaft dabei, die 2014 erstmals in der 2. Basketball-Bundesliga Pro A antrat. Natürlich ist Treue kein Wert, der im Profisport zählt, doch sie sollte zumindest bemerkt werden.
Kindzeka liefert immer das, was von ihm verlangt wird. Auch an diesem Nachmittag. Wir sitzen vor dem Restaurant Flammen am Straßenbahnring, Kindzeka hat hier gleich einen Termin. Worum geht es dabei? Kindzeka zuckt die Schultern, man hat ihm gesagt, er solle um 16 Uhr da sein, also steht er um 16 Uhr auf der Matte. Job ist Job. Auf ihn kann man zählen. Beim Sport, beim Marketing. Bundesliga! Kindzeka weiß genau, es kommt nicht mehr nur darauf an, Punkte zu erzielen. Das Drumherum wird größer, die Aufmerksamkeit, die Bedeutung. „Ob ich bereit dafür bin? Wir werden es am ersten Spieltag sehen. Auf jeden Fall kann ich es kaum abwarten“, sagt der Spieler. Ordentliche Ansage. Bundesliga-tauglich. Pressesprecher freuen sich.
„Spaß muss sein, sagen die anderen“
Vorfreude also. Die würden wir gerne im Bild sehen. Der Fotograf gibt dem Sportler Anweisungen: „Und jetzt bitte ein strahlendes Lächeln, nein, noch mehr Freude, bitte!“ Kindzeka macht mit. Fast möchte man rufen: „Du musst gar nicht so artig sein, du hast doch Ferien!“ Sei wild und böse, betrinke dich auf dem Kiez, knutsche wahllos durch die Gegend, lass dir Tattoos stechen, schwänze das Training, ernähre dich von McDonalds, geh nicht ans Telefon, wenn der Coach anruft. Doch all das würde Kindzeka nie machen. Deshalb hat er Erfolg. Deshalb spielt er in der Bundesliga. Deshalb schätzen ihn alle so. „Ich werde eher gezwungen, mal mit in den Club zu gehen“, sagt der Sportler. „Spaß muss sein, sagen die anderen dann.“ Überzeugung klingt anders. Wäre der Basketballer ein Hedgefonds-Manager, würden ihm die Kunden selbst die riskantesten Investments abkaufen, so zuverlässig und vertrauenswürdig wirkt Kindzeka. „Ich bin sehr diszipliniert und ein ruhiger Typ“, sagt er.
Geboren wurde René Kindzeka in Kamerun. Seinen Vater kennt er nicht, seine Mutter ging nach Deutschland, da war ihr Sohn vier Jahre alt. René wuchs mit seinen Cousins bei der Oma auf, seine große Schwester lebte bei der Tante. Die Mama kam einmal im Jahr zu Besuch, in der Zwischenzeit telefonierten sie. „Klar habe ich meine Mutter auch vermisst, aber meine Oma hat einen sehr guten Job gemacht“, sagt Kindzeka. Als er acht Jahre alt war, durften er und seine Schwester endlich nachkommen nach Deutschland. Erst mal in eine Abc-Klasse, die Sprache lernen, zusammen mit Iranern, Portugiesen, Polen.
Lernen, Menschen in die Augen zu sehen
Das sei schön gewesen, erzählt Kindzeka, alles ganz anders als in Kamerun. Da waren die Klassen wesentlich größer und die pädagogischen Maßnahmen etwas rabiater. Kam René zu spät, schlug ihm der Lehrer mit dem Lineal auf die Finger. Disziplin! In seiner Heimat sah er Lehrern und anderen Menschen nie direkt in die Augen, das hätte als ein Zeichen von Respektlosigkeit gegolten. „Das musste ich hier in Deutschland lernen, Menschen beim Sprechen in die Augen zu blicken, ich kann es immer noch nicht so gut“, sagt Kindzeka entschuldigend und schaut einem tief in die Augen.
Vor wenigen Tagen löste die kamerunische Fußballnationalmannschaft der Frauen bei der WM in Frankreich einen Eklat aus. Beim Spiel gegen England spuckte eine Kamerunerin die Gegnerin an, die Afrikanerinnen hatten sich insgesamt nicht fair verhalten, streikten nach strittigen Schiedsrichterentscheidungen und verloren vollkommen die Nerven. Der englische Trainer sagte später: „Ich schäme mich zutiefst für unseren Gegner.“
Schluss mit Marmeladenbroten
Keine Vorbildfunktion, das sei richtig, erklärt Kindzeka, aber sei dieser Auftritt denn so überraschend, wenn man sich die Ereignisse in seiner Heimat anschaue? „Wie kann eine Mannschaft etwas anderes präsentieren als das, was in dem Land passiert?“, fragt Kindzeka kritisch. „Ich will nicht politisch klingen, aber hier in Deutschland haben wir eine Demokratie, in Kamerun aber droht Bürgerkrieg.“
Ein Konflikt zwischen der englisch- und der französischsprachigen Bevölkerung eskaliert zunehmend. Hunderttausende Menschen fliehen vor Gewalt, Anschlägen und Entführungen, es gab bereits Tote, auch René Kindzekas Oma musste bereits raus aus ihrer Wohnung und woanders hinziehen. „Meine Mama und ich schicken ihr Geld, um ihr zu helfen, dennoch mache ich mir natürlich Sorgen.“ Seit sechs Jahren war er schon nicht mehr in seiner Heimat, zu gefährlich. „Würde nicht noch ein Teil meiner Familie dort leben, würde ich mich mittlerweile auch viel mehr als Deutscher fühlen“, sagt der Profi-Spieler.
Aber solche traurigen Gedanken halten ihn nur von seinem Ziel ab. Perfekt in die Saison starten und dann Klassenerhalt. Schnell genug sei er schon, aber an der Kraft müsse er noch arbeiten. Also trainiert er selbst in den Ferien zweimal am Tag. Bevor die Saison losgeht, werden alle Towers-Spieler einem Leistungscheck im Lans Medicum unterzogen. Da möchte die Nummer elf des Teams gut abschneiden: „Als Profisportler muss ich mich auch in der freien Zeit fit halten, ich will zu Beginn der Saison nicht wieder von null anfangen.“
Dazu gehöre auch die richtige Ernährung, und so klärt sich auch endlich, worum es bei dem Termin im Restaurant Flammen geht: wie sich Profisportler bestmöglich ernähren. Der Ernährungscoach der Hamburg Towers Miszek Damer und der Athletiktrainer Melvyn Wiredu sind inzwischen eingetroffen, sie erklären, welche große Rolle das richtige Essen für die Regeneration eines Sportlers bedeutet. René Kindzeka musste beispielsweise lernen, anders zu frühstücken. Nach dem Training war ihm früher häufig schwindlig, also Schluss mit Marmeladenbroten, dafür rührt sich Kindzeka nun Haferbrei mit Früchten an. Der 24-Jährige versteckt gar nicht, wie wenig ihm das schmeckt: „Ich versuche es zu essen.“ Disziplin.
Pudding zum Nachtisch als Revolte
Nach dem Gespräch über Proteine, Kraftaufbau und „Magic Windows“ (Zeitspanne nach dem Training, in dem am besten Shakes konsumiert werden) dürfen alle zum Büfett gehen. Miszek Damer und Melvyn Wiredu nehmen sich Salat und Steak. Kindzeka geht zielstrebig am Gemüse vorbei und steuert ein fettiges Kartoffelgratin an: „Das sieht doch gut aus.“ Verschmitztes Lächeln.
Glückwunsch! Einmal nicht ganz auf Linie, das will schon was heißen für einen Vorzeige-Typ wie Kindzeka. Sollte er gleich noch Pudding zum Nachtisch ordern, gliche es einer Revolte. Aber so weit kommt es natürlich nicht. Der Spieler verabschiedet sich artig und fährt nach Hause. Morgen ist schließlich wieder Training. Kindzeka wohnt in Wilhelmsburg, aufgewachsen ist er auf der Veddel: „Auf der Veddel sind wir alle international.“ Rassismus sei deshalb für ihn nie ein Thema gewesen.
„Hamburg ist eine offene Stadt, ich bin wirklich glücklich hier.“ Gut, einmal bei einem Auswärtsspiel in Recklinghausen, da hat auch Kindzeka gemerkt, dass er eine andere Hautfarbe trägt als die meisten anderen in diesem Land. „Verpisst euch Neger!“, schrien ein paar Vollidioten und spuckten René und zwei weitere schwarze Spieler an. Ruhig bleiben, heißt dann Kindzekas Devise: „Wer Probleme sucht, der wird auch welche finden. Ich will keine.“ Sollte Buddha einen Basketballer in seinem Team suchen, sollte er die Nummer elf der Hamburg Towers nehmen.