Mehr als einen Monat lang beschäftigte das Geschehen in Brasilien nicht nur die eingefleischten Fußballfans. Das Turnier, das mit dem deutschen WM-Titel endete, hielt etliche Geschichten parat. Hier sind einige davon.
Rio de Janeiro/Hamburg. Die 20. Fußball-Weltmeisterschaft ist Geschichte, unter dem deutschen Strich steht der vierte Stern für die DFB-Kicker. Doch auch abseits des erfolgreichen Schlusspunktes im Maracanã hielt die Endrunde in Brasilien allerhand Anekdoten und Auffälligkeiten bereit, von denen abendblatt.de 26 und mehr in einem WM-Alphabet aufbereitet:
A
...wie Algerien. Das Achtelfinale gegen die "Wüstenfüchse" dürfte bei diversen Rückschauen als das Schlüsselspiel der deutschen Mannschaft auf dem Weg zum vierten WM-Titel eingestuft werden. Schließlich sah sich der spätere Weltmeister-Trainer Joachim Löw nach dem hart umkämpften 2:1 nach Verlängerung zur endgültigen Umstellung in der Hintermannschaft gezwungen und beorderte Kapitän Philipp Lahm aus dem defensiven Mittelfeld auf seine angestammte Position des rechten Verteidigers - mit Erfolg.
B
...wie Beißer. Natürlich, Luis Suárez. Hat sich durch seine Attacke gegen Italiens Chiellini samt anschließender Schauspieleinlage seinen Platz im WM-Alphabet redlich verdient. Die zahlreichen Meme im Internet sind bereits jetzt legendär. Beim FC Barcelona war die Angst vor dem unberechenbaren Angreifer offenbar so groß, dass man den Uru für 75 Millionen Euro Ablöse an den FC Liverpool künftig lieber direkt ins eigene Team steckt. Also nach Ablauf der von der Fifa ausgesprochenen viermonatigen Sperre, versteht sich.
C
...wie Copacabana. Schauplatz des landesweit größten Public Viewings und Kulisse für die WM-Studios von ARD und ZDF. Mit der Entscheidung, auf mondäne Bühnen wie noch zur EM 2012 zu verzichten, lagen die Verantwortlichen der Öffentlich-Rechtlichen goldrichtig. Das interne Rennen machte schließlich das ARD-Duo Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl, das beim TV-Publikum nach einer Forsa-Umfrage einen Deut besser ankam als die Kollegen Oliver Welke und Oliver Kahn, die von der Copacabana aus für das ZDF analysierten.
D
...wie Dschungel. Extremtemperaturen waren angekündigt, und Extremtemperaturen erhielten die Spieler in Brasilien. Vor allem die deutschen Fußballer können noch immer ein Lied singen von Spielen bei mehr als 30 Grad wie gegen Portugal, von Regenschlachten wie beim Duell mit den USA und dann wiederum bei 13 Grad in Porto Allegre. Die Folge: Zwischenzeitliche Grippesymptome bei rund einem Drittel des deutschen Kaders. Wobei wir beim nächsten Buchstaben wären.
E
...wie Eistonne. Geflügeltes Wort dank Per Mertesacker. Genauso wie die „Karnevalstruppe“, die der erboste deutsche Abwehrhüne als Schlagworte gegen Boris Büchler einsetzte. Nach seinem Wutinterview mit dem ZDF-Mann im Anschluss an das bereits beschriebene Zitterspiel gegen Algerien bewies der deutsche Abwehrhüne schließlich Humor und postete im Internet ein Bild von sich in der Eistonne.
F
...wie Freistoßspray. Laut Fifa-Reglement 9,15 Meter muss bei ruhendem Ball der Abstand zwischen Schützen und verteidigender Mannschaft betragen. Damit die Vorschrift kein Protagonist vergisst, hielten die Schiedsrichter erstmals ein Freistoßspray in der Gesäßtasche bereit, um damit als Gedächtnisstütze zwei schaumige Linien aufs Feld zu sprühen. Kritik kam von Pfeifenmännern (Ex-Schri Urs Meyer: „Freistoßspray ist Unsinn!“) wie von Spielern gleichermaßen. Hollands Nationalspieler Wesley Sneijder bezeichnete den weißen Schaum sogar als “mentales Hindernis“. In der Tat: Bei der WM in Brasilien gab es mit den Treffern von Lionel Messi zum 2:1 gegen Nigeria sowie David Luiz gegen Kolumbien lediglich zwei direkt verwandelte Freistöße zu bestaunen.
Ebenfalls neu und dagegen für vergleichsweise gut befunden: Die Torlinientechnik. Ihren ersten größeren Einsatz hatte die digitale Trefferkontrolle beim Schuss des Franzosen Karim Benzema, dessen Schuss zum zwischenzeitlichen 2:0 beim 3:0-Auftaktsieg gegen Honduras erst dank der Videobilder eindeutig als Treffer angezeigt werden konnte.
G
...wie Gooooooooooooooolaaaazo. 171 Tore bedeuten in absoluter Zahl eingestellten Trefferrekord bei WM-Endrunden. Ebenso oft hatten die Akteure zuvor 1998 in Frankreich ins Schwarze egtroffen.
Und weil es so kurz war, noch einmal G...
...wie Gaucho-Gate. „So gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so. So gehen die Gauchos, die Gauchos gehen so.“ Mit ihrem Seitenhieb gegen die Argentinier bei der Jubelfeier in Berlin haben die angeheiterten Weltmeister Roman Weidenfeller, Shkodran Mustafi, André Schürrle, Miroslav Klose, Mario Götze und Toni Kroos urplötzlich eine Fairness-Debatte über das ansonsten so brave deutsche Team losgetreten. Während in Deutschland etliche, wahrscheinlich fußballferne, Moralisten auf den Plan gerufen wurden, nimmt selbst die argentinische Presse das Liedchen recht gelassen hin. Wohl mit gutem Grund - denn man kann nur mutmaßen, was im Land der Gauchos im Falle eines WM-Titels so alles in Richtung des unterlegenen Deutschlands skandiert worden wäre. Wobei wir beim nächsten Buchstaben wären.
H
...wie Hermanos. Bezeichnung der argentinischen Anhänger, die bei der 20. Endrunde besonders heißblütig in Erscheinung traten. Ganz oben in der Beliebtheitsskala: Papstkostümierungen und Schmähgesänge gegen den ungeliebten Nachbarn Brasilien. Negativer Höhepunkt dabei: Gesänge gegen Neymar nach dessen Lendenwirbelbruch, verbunden mit einer Wirbelsäulenplastik.
I
...wie Irokesen. Der Kriegerhaarschnitt ist das Vorzeigemodell des chilenischen Teamfrisörs. Arturo Vidal & Co fielen optisch aber auch durch diverse Körperbemalungen auf. Immerhin: Das zum Teil furchteinflößende Erscheinungsbild korrelierte bis zum unglücklichen Ausscheiden nach heroischem Kampf im Achtelfinale gegen Gastgeber Brasilien größtenteils auch mit dem fußball-kämpferischen Auftritt der Südamerikaner.
J
...wie Jokertore. 31 Treffer wurden bei dieser WM durch Einwechselspieler erzielt - Rekord. König der Joker war ein Deutscher: André Schürrle traf von der Bank weg gleich dreimal und bereitete mit einer Energieleistung zudem den goldenen Finaltreffer durch Mario Götze vor. Und der hatte den Großteil des Spiels zuvor ebenfalls jenseits der Seitenauslinie verbracht.
K
...wie Kaugummi. Is(s)t bei Profifußballern eigentlich out, zumindest während des Spiels. Daher wunderten sich etliche Zuschauer des Vorrundenduells Honduras gegen Ecuador (1:2) über den dauerkauenden Carlos Costly. Was auf den ersten Blick als blaues Kaugummi erschien, entpuppte sich später als Mundschutz des honduranischen Angreifers. So oder so blieb Blaumann Costly ohne Erfolgserlebnis. Apropos Kaugummi: So zogen sich letztlich gottlob nur die wenigsten der insgesamt 64 Spiele hin.
L
...wie Lions, Three. Ach ja, die Engländer. Die gibt es ja auch noch. Eigentlich. In Brasilien waren sie allerdings ziemlich schnell weg vorm Fenster. Sang- und klangloses Aus in der Vorrunde, zum ersten Mal in der Geschichte des stolzen, selbst ernannten Fußballmutterlandes. Das Rekordausscheiden ließ manche Fans sogar derart verzweifeln, dass sie im Viertelfinale Deutschland gegen Frankreich in die Kurve des geliebten Fußballfeindes überliefen - mitsamt einer Botschaft an Englands Nationalcoach Roy Hodgson.
M
...wie Mimimi. Die Weinerlichkeit der brasilianischen Nationalspieler ging sogar den eigenen Landsleuten mitunter auf die Nerven - und das schon vor der historischen 1:7-Halbfinalpleite gegen Deutschland. Um seine Psychowracks wieder auf die Spur zu bringen, setzte Luiz Felipe Scolari zwischenzeitlich sogar seine Haus- und Hofpsychologin Regina Brandao (nicht verwandt oder verschwägert mit der deutsch-brasilianischen ARD-WM-Frau Fernanda Brando) auf die Seleção an. Den Tränenfluss nach dem Debakel von Belo Horizonte konnte allerdings auch die aparte Seelenklemptnerin nicht mehr aufhalten.
N
...wie Nishimura, Yuichi. Der Japaner leitete das Eröffnungsspiel zwischen Brasilien und Kroatien (3:1) und brachte durch eine äußerst fragwürdige Elfmeterentscheidung sowohl den Gastgeber auf die Siegerstraße als auch eine bis zum Finale andauernde Schiedsrichterdiskussion ins Rollen. Anders als der Kolumbianer Alexander Roldán Pérez, der in der selben Gruppe beim Spiel Mexiko gegen Kamerun (1:0) die Mittelamerikaner mehrfach nachweislich benachteiligte, machte Nishimura im Anschluss kein Spiel mehr.
O
...wie Ottmar Hitzfeld. Der Grandseigneur der deutschen Trainergilde gab in Brasilien seine Abschiedsvorstellung im Fußballzirkus - und das als Schweizer Nationalcoach. Durch den Achtelfinaleinzug der Eidgenossen gehörte „Sankt Gottmar“ dann auch noch einmal die ganz große Bühne, die er gegen Argentinien beim 0:1 nach Verlängerung denkbar unglücklich verließ. Dabei hatte Hitzfeld kurz vor dem Spiel einen weitaus größeren Schicksalschlag zu verkraften, als den 65-Jährigen die Nachricht vom Tod seines ältesten Bruders Winfried ereilte.
P
...wie Pogba, Paul. Der 21-Jährige von Juventus Turin darf sich nun offiziell "Hyundai Junger Spieler“ nennen. Was das heißt? Der Franzose hat die Fifa unter den Nachwuchskickern einfach am meisten beeindruckt und damit sowohl Landsmann Raphael Varane (Real Madrid) als auch den Niederländer Memphis Depay (PSV Eindhoven) bei der Wahl zum besten WM-Spieler, der nach dem 1. Januar 1993 geboren ist, auf die Plätze verwiesen. Zum deutschen Glück machte Pogba pünktlich zum Viertelfinale (0:1) sein schwächstes Turnierspiel. Zur Nachfolge von Thomas Müller reichte es für den offensiven Mittelfeldmann dennoch.
Q
...wie Quintero, Juan. Der Kolumbianer hat sich als einziger Spieler des Turniers, dessen Nachname mit Q anfängt, an dieser Stelle eine Erwähnung verdient. Und ein Tor erzielte der Mittelfeldmann vom FC Porto bei drei Kurzeinsätzen sogar auch noch. Übrigens: Quintero war einer von 22 Spielern, die Kolumbiens Trainer José Pekerman in Brasilien einsetzte. Dieser Rekord hielt bis zum vorletzten Spiel. Da sorgte dann Trainerfuchs Louis van Gaal für ein Novum, indem er in der allerletzten Minute des kleinen Finales den dritten Torhüter Michel Vorm einwechselte und damit alle 23 Spieler des niederländischen WM-Kaders zum Einsatz brachte.
R
...wie Rodríguez, ebenfalls Kolumbianer und besser bekannt unter seinem Vornamen James. Einer der unbestrittenen Stars des Turniers. Unvergessen vor allem sein artistisch selbst vorbereiteter Treffer zum Endstand beim 2:0-Sieg Kolumbiens im Achtelfinale gegen Uruguay. Das Kunststück des inzwischen 23-Jährigen hat gute Chancen, das Rennen der Fifa-Wahl zum schönsten Tor des Turniers zu gewinnen.
S
...wie Selfies. Das neuzeitliche Ablichtungsphänomen durchzog auch die Endrunde in Brasilien. Perfektioniert von der deutschen Mannschaft. Spätestens nach dem Titelgewinn brachen alle Dämme. Besonders beliebt: Motive mit Edelfan Rihanna.
T
...wie Ticos. Der Spitzname des Überraschungsteams aus Costa Rica. Erst im Viertelfinale war nach einem Elfmeter-Drama gegen die Niederlande Schluss für die Nobodys. Sogar Argentiniens Idol Diego Maradona war vom Spiel der Mittelamerikaner derart erfasst, dass er die Fifa-Anordnung, nach dem Sieg gegen Italien (1:0) gleich sieben Costa Ricaner zur Doping-Kontrolle zu beordern, dazu nutzte, um einmal mehr gegen den Weltverband zu wettern. „Warum testet man sieben Costa-Ricaner und nicht sieben Italiener", echauffierte sich der 53-Jährige.
U
...wie Unfall. Vier Tage vor dem Halbfinale Brasiliens gegen Deutschland kam es im WM-Spielort Belo Horizonte zu einem verheerenden Brückeneinsturz. Zwei Menschen verloren ihr Leben und mehrere wurden verletzt, als eine noch im Bau befindliche Brücke in sich zusammenkrachte und etliche Fahrzeuge unter sich begrub. Das Unglück diente vielen WM-Gegnern als Sinnbild für diverse Fehlplanungen der Regierung im Zusammenhang mit der Fußballendrunde. Denn auch die eingestürzte Brücke war Teil des Infrastrukturprogramms zur Weltmeisterschaft.
V
...wie Vorbereitung. Ja, da war doch was... Kaum jemand mag sich noch an den holprigen Start der deutschen WM-Mission erinnern. Große Fragezeichen standen hinter der Fitness der angeschlagenen Führungsfiguren Philipp Lahm, Manuel Neuer oder Sami Khedira. Hinzu kam der Unfall während eines Werbedrehs im Trainingslager von St. Leonhard mit zwei Verletzten. Auch der Führerscheinentzug des Tempoliebhabers Jogi Löw oder die Pinkelaffäre des Dortmunders Kevin Großkreutz trugen nicht gerade zu heiterer Vorfreude auf das WM-Turnier bei. Doch letztlich wendete sich das Blatt zum Guten, auch dank des augenscheinlich besten Quartiers der deutschen WM-Geschichte, dem Campo Bahia (Schweinsteiger: "Es war einfach fantastisch hier").
W
...wie Whelan, Roy. Topmanager des Fifa-Vertragspartners Match Services und Hauptfigur im Skandal um illegal vertriebene WM-Tickets. Der Brite wurde verdächtigt, einem Schwarzmarkthändlerring um den Algerier Mohamadou Lamine Fofana den Zugang zu WM-Karten ermöglicht zu haben. Deshalb wurde er zunächst festgenommen, dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Vorläufiger Höhepunkt des Krimis: Whelans Flucht vor den Ermittlern durch den Hinterausgang des Luxushotels Copacabana Palace in Rio.
X
...wie Xherdan Shaqiri. Zeigte es seinen Kritikern durch eine Gala gegen Honduras, indem er als erster Schweizer einen WM-Hattrick erzielte. Damit trug auch der Dribbelzwerg zu Platz eins des FC Bayern München in der Vereinstorjägerliste bei. 18 Treffer gingen am Ende auf das Konto von Profis des deutschen Rekordmeisters. Mit zehn bzw. neun Toren folgten der FC Barcelona und Manchester United abgeschlagen auf Rang zwei und drei. Im Ligenvergleich teilte sich die Bundesliga mit der Premier League Platz eins (je 35 Torschützen).
Y
...wie Yepes, Mario. mit 38 Jahren ältester aktiver Feldspieler des Turniers. Kolumbien schickte mit Torhüter Faryd Mondragon auch den ältesten WM-Spieler aller Zeiten aufs Feld. Beim 4:1-Erfolg gegen Japan durfte der 43-Jährige Ex-Keeper des 1. FC Köln immerhin noch ein paar Minuten ran und damit Kameruns Roger Milla (42 Jahre) als Rekordhalter ablösen.
Z
...wie Zúñiga, Juan. Dürfte sich seine Abschiedsvortellung selbst auch anders vorgestellt haben. Beim Aus gegen Brasilien im Viertelfinale (1:2) schickte der Kolumbianer gleich auch den Superstar des Gastgebers in dessen unfreiwilligen vorzeitigen Urlaub. Schlimmer noch: sogar direkt ins Krankenhaus. Zúñigas fataler Tritt in Neymars Lendenwirbel geriet für Brasilien zur nationalen Tragödie, die im Halbfinaldebakel gegen Deutschland mündete und die der verletzte Mittelfeldspieler selbst noch einmal zu einer von Pathos durchtränkten Pressekonferenz nutzte. Zúñiga hingegen musste sich in seiner Heimat sogar gegen Morddrohungen vorsehen.