Von Schweinsteigers unfreiwilliger Baumarktwerbung, Mertesacker als Vorbild für Politikerinterviews und Götzes Gang wie die Gauchos
Zu jeder guten Sache gehört eine Bilanz. Bevor ich also das „kicker“-Mannschaftsposter jetzt wegpacke (zwischen Dierckes Weltatlas und „Die Großen des 20. Jahrhunderts“, damit es nicht knittert), hier ein paar Erkenntnisse, die immer mit dieser Fußball-WM verbunden bleiben.
Zunächst: Als leidenschaftliche Heimwerkerin hat es mich gefreut, dass das Tackern endlich gebührende Beachtung gefunden hat.
Nach Schweinsteigers getackertem Cut unter dem rechten Auge explodierten im Internet die Anfragen: Ist Tackern schlimm? Tut das weh? Zehntausende fragten sich, ob die Haut dabei am Knochen festgetackert oder einfach mit dem Tacker geklammert wird. Ersteres nein, Letzteres ja. Es würde auf dem Spielfeld einfach zu lange dauern, Platzwunden zu nähen. In Berlin wurde sogar die Bühne zum Empfang der Nationalelf nur einen Tag zuvor zusammengetackert. Schade, dass man das nicht beim künftigen Hauptstadtflughafen hinkriegt. Baumärkte jedenfalls berichten vom Ausverkauf von Tackern innerhalb von Stunden nach dem Argentinien-Spiel. Ich habe vor Jahren mal die Rückwand eines Ikea-Schranks ange-tackert und kann nur Gutes berichten: hat gehalten.
Bleiben wir beim Thema Gesundheit: Kann mir mal jemand erklären, wie Neymar schon fünf Tage nach seinem Lendenwirbelbruch ins Trainingslager zurückkehren konnte? Hat der Mann Lendenwirbel aus Fimo-Masse? In Deutschland erleiden jährlich rund 230.000 Menschen einen Wirbelbruch, und die wissen: Tackern lässt sich so was leider nicht.
Unvergesslich bleibt natürlich Suarez’ vampyreske Beißattacke. Im Nachhinein versuchten sich zahlreiche Hobbypsychologen an Erklärungen, zum Beispiel: Es handele sich um eine Art Übersprungs- handlung infolge des hohen Adrenalinpegels. Das Wort kenne ich noch aus dem Bio-Leistungskurs: Bei hoher Anspannung zeigen Stichlinge plötzlich ein „unangemessenes“ Instinktverhalten, das zur Situation nicht passt. Wenn sie eigentlich flüchten oder sich paaren müssten, schnappen sie stattdessen nach allen möglichen Dingen, als wollten sie fressen. Wir ahnen, wohin Suarez’ Verhalten also genauso gut hätte führen können: Man muss noch froh sein, dass er sich nicht mit anderen Spielern paaren wollte. Höchste Zeit, dass die Fifa ein Anti-Übersprungs-Training anbietet.
Kult dagegen ist schon jetzt das Mertesacker-Interview nach dem Algerien-Spiel mit den berühmten Antworten „Ist mir völlig wurscht“ und „Was wollen Sie jetzt von mir?“ Man sollte zur Entlastung des unglücklichen ZDF-Reporters Boris Büchler daran erinnern, dass die Kurz-danach-Interviews zu den undankbarsten Sportreporter-Jobs überhaupt gehören. Gerade hat ein Ski-alpin-Athlet lebend eine hochgefährliche Abfahrt überstanden, hält ihm unten jemand ein Puschelmikro vor die Nase: „Wie haben Sie den Lauf erlebt vom Wind her gesehen?“ Mertesacker wird Schule machen. Brüssel: Wie bewerten Sie die neue Biofleisch-Richtlinie der EU? „Ist mir völlig wurscht.“ Berlin: Würden Sie mit dem Fallschirm auch über Afghanistan abspringen, Frau von der Leyen? „Was wollen Sie jetzt von mir?“
Inzwischen tobt wieder eine Political-Correctness-Debatte, ob Götze, Klose, Kroos und Schürrle am Dienstag mit „So geh’n die Gauchos“ ihre argentinischen Finalgegner verhöhnt haben. Ich fand diese Übung übrigens ziemlich überflüssig. Den aufrechten Gang sollten Sieger doch wohl auch dem Verlierer zugestehen, oder? Und zumindest bei der Nationalhymne können sich unsere Spieler von den Brasilianern durchaus eine Scheibe abschneiden. Die sangen ihre viel schwierigeren Hymnen aus vollem Halse und mit beeindruckender Textkenntnis mit. Während die Deutschen offenbar besser „Seven Nations Army“ von den White Stripes, „An Tagen wie diesen“ oder „Auf uns“ beherrschen. Hat mal jemand Jack White eine Dankeschön-Postkarte geschickt?
Wie auch immer: Ich bedanke mich besonders bei Joginho, Schweini und King Klose. Wir überlegen in der Redaktion, Wohngemeinschaften zu bilden. Und nun ist auch gut.