Der Bundestrainer setzte zum WM-Auftakt gegen Portugal auf vier Innenverteidiger, drei Spielmacher und keinen echten Stürmer und verbluffte damit viele Experten. Doch wer gewinnt, hat Recht.

Salvador. In Strümpfen humpelte Mats Hummels zu den deutschen Fans. Die Ovationen der über 10.000 schwarz-rot-goldenen Anhänger in der Arena Fonte Nova wollte sich das Dortmunder Kopfball-„Ungeheuer“ nicht entgehen lassen. Bei der Analyse des beeindruckenden 4:0-Sieges zum Auftakt der WM in Brasilien mit einem super Tor des BVB-Fußballers beschäftigte sich Hummels, der wegen einer Oberschenkelblessur vorzeitig vom Platz musste, lieber mit seiner vorrangigen Aufgabe. „Ich bin Verteidiger. Mir hat am besten gefallen, dass wir heute auf allen Positionen taktisch gut und leidenschaftlich verteidigt haben“, erklärte der 31-malige Nationalspieler, der mit Wucht und Entschlossenheit per Kopf zum dritten Mal im Adler-Trikot traf.

Die Fußball-Nation hat gestaunt, als der Bundestrainer gegen die Portugiesen gleich vier Innenverteidiger in die Abwehrkette stellte. Nach den 90 heißen Minuten von Salvador bescheinigte Joachim Löw seinen Defensivkräften, die Mittelfeldakteure eingeschlossen, die Erfüllung der Hauptaufgabe: „Was wir die ganze Spielzeit über sehr gut gemacht haben, war, dass wir Moutinho, Ronaldo oder Nani sehr gut zugestellt haben.“ Hinten räumten dann Jérome Boateng, Per Mertesacker, Hummels und Benedikt Höwedes den Rest bis auf einige Ausnahmen souverän ab. Und als Hummels nach Pferdekuss ausgewechselt werden musste, kam Shkodran Mustafi – ein weiterer Innenverteidiger.

Noch ungewöhnlicher war allerdings, dass Löw im Mittelfeld gleich auf drei Spielmacher. Kroos, Götze und Özil sind allesamt gelernte Zehner. Doch entgegen der Vermutung einiger Experten, die beim Blick auf die Aufstellung noch davon ausgingen, dass die drei Techniker sich selbst im Weg stehen werden, überzeugte die Mittelfeld-Achse durch Positionswechsel und Spielwitz.

„Wir haben eine Menge richtig gemacht“, betonte der 25-jährige Boateng, der wie schon bei der EM 2012 Superstar Cristiano Ronaldo im Griff hatte. So wollte Löw die körperliche Stärke der vier Verteidiger vorn und hinten nutzen – beim Standardtor von Hummels klappte das. „Aber es gibt sicher Sachen, die wir verbessern können. Wir spielen es ja noch nicht so lange“, sagte der Münchner Boateng zu dem neuen taktischen System. Deshalb hält es Abwehrchef Per Mertesacker schon für wichtig, dass Hummels bis zum nächsten Gruppenspiel am Sonnabend gegen Ghana wieder fit ist, „weil wir auf einem guten Weg sind, uns mit der Hintermannschaft einzuspielen“.

Für Nachrücker Mustafi geht ein Traum in Erfüllung


Im Schnelldurchlauf hatte Löw vor allem den Schalker Höwedes als Linksverteidiger geschult, das Zusammenspiel erfordert trotz des guten Starts noch einiges Üben, meinte Mertesacker. „Die Formation mit vier Innenverteidigern ist neu für uns. Wir versuchen uns da langsam reinzufinden. Die Formation gibt's ja noch nicht so lange, wir sind auch angewiesen auf diese Spiele“, erklärte der Recke vom FC Arsenal, der gegen Ghana in den Club der Hunderter aufsteigt.

„Die ersten Momente hatten wir schon ein paar Probleme, da hätte es auch mal klingeln können in unserem Kasten“, gestand der 25 Jahre junge Hummels: „Es war wichtig, dass wir da rausgekommen sind aus der Situation als wir noch nicht ganz drin waren im Spiel.“ Auch Torwart Manuel Neuer sieht Verbesserungsbedarf: „Die Räume waren ein bisschen groß, gerade zwischen den Reihen.“

Wie von Löw bereits angekündigt, hielten sich Boateng und Höwedes auf den Außenbahnen mit Offensivaktionen zurück. In der ersten Halbzeit versuchte es einige Male vor allem Boateng, schaltete dann aber den pragmatischen Arbeitsmodus ein. „Wenn man 3:0 führt, brauche ich keine Flankenläufe mehr zu machen.“ Nach Hummels' Auswechslung durfte Boateng auf seine Lieblingsposition als echter Innenverteidiger rücken, der junge Mustafi besetzte die rechte Seite. „Ein besonderer Tag. Für mich geht ein Traum in Erfüllung“, bemerkte der Italien-Legionär nach seinem WM-Debüt.

Möglicherweise muss gegen Ghana die Abwehr doch neu formiert werden, auch wenn Hummels nach dem „klassischer Schlag“ gegen den Oberschenkel meinte: „In zwei, drei Tagen ist das Thema gegessen. Dann würde dem Einsatz am Sonnabend nichts mehr im Wege stehen.“