Hamburg. Auch die Teams aus der Türkei und den Niederlanden kommen im Juni nach Hamburg. Wie der FC St. Pauli politisch damit umgehen will.

Es ist gut zehn Jahre her, als sich im Millerntor-Stadion des FC St. Pauli Mitarbeiter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit langen Planen auf die Gegengerade und die Nordtribüne begaben und dort die politischen Parolen „Kein Fußball den Faschisten“ und „Kein Mensch ist illegal“ verhängten – was nur zum Teil gelang.

Grund dieser Verhüllung: Die deutsche Nationalmannschaft absolvierte im Millerntor-Stadion ihr Training in Vorbereitung auf das Länderspiel gegen Polen (0:0) am 13. Mai 2014 im Volksparkstadion. Die DFB-Führung unter dem damaligen Präsidenten und früheren Sportjournalisten Wolfgang Niersbach (73) war der Meinung, dass solche politischen Botschaften im Umfeld des Nationalteams nichts zu suchen haben.

FC St. Paulis politische Botschaften auf den Tribünen

Auf der Gegengeraden wurden damals allerdings nur die Wörter „den Faschisten“ abgehängt, was dazu führte, dass die deutschen Stars unter dem Slogan „Kein Fußball“ trainierten. Die Fotografen hielten diese Szenen nur allzu gern fest. Das müde 0:0 der mit einigen Debütanten bestückten DFB-Elf gegen die Polen tags darauf schien wie eine Bestätigung der ungewollt amüsanten Parole.

In der organisierten Fanszene war die Empörung über die DFB-Aktion allerdings groß und verstärkte noch deren Abneigung gegen den Verband. Schon im Oktober 2016, als die DFB-Auswahl wieder am Millerntor trainierte, blieben die Botschaften komplett sichtbar.

Philipp Lahm verhandelte mit dem FC St. Pauli

So soll es auch im kommenden Monat sein, wenn vor und während der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland verschiedene Mannschaften das Millerntor-Stadion als Trainingsplatz nutzen können, bevor sie ihre Spiele im Volksparkstadion des HSV absolvieren.

Schon vor knapp zwei Jahren, als Ex-Nationalmannschaftskapitän Philipp Lahm in seiner Funktion als Chef des EURO-Organisationskomitees (OK) zu Besuch am Millerntor war, um mit dem FC St. Pauli die Konditionen für eine Überlassung des Stadions zu besprechen, wurde dies festgezurrt. St. Paulis Präsident Oke Göttlich machte damals deutlich, dass eine Entpolitisierung für seinen Verein nicht infrage kommt.

St. Pauli hat Mitspracherecht, welches Team im Stadion trainiert

„Beim FC St. Pauli gehört Politik ins Stadion – und das gilt auch während der Europameisterschaft“, sagte er. Das Millerntor dürfe nicht seinen Charakter verlieren, etwa durch das Abhängen der Schriftzüge. Auf dem Dach der Südtribüne, solle auch die Regenbogenflagge gehisst bleiben.

Noch brisanter ist das Mitspracherecht, das sich der FC St. Pauli ausbedungen hat in Bezug auf die Nationen, deren Auswahlteams im Millerntor-Stadion trainieren möchten. „Es kann unter Umständen bei einigen Nationen politisch zu Themen kommen, bei denen wir Bedenken anmelden möchten“, sagte Oke Göttlich und bestätigte, dass dieses Recht in der Vereinbarung mit dem OK festgehalten worden sei.

Tschechisches Nationalteam trainiert in Norderstedt

Damals wollte Göttlich bewusst nicht über möglicherweise problematische Länder spekulieren und verwies auf die sich bisweilen sehr schnell ändernde politische Weltlage. Ursprünglich war das Ziel der Klausel, auf keinen Fall Russland ins Stadion zu lassen, was sich dann durch die internationale Sperre wegen des Krieges gegen die Ukraine von selbst erledigte.

Zudem lief vor zwei Jahren noch die Qualifikation für die EM. Jetzt aber stehen die Mannschaften fest, die in Hamburg vom 16. Juni an Vorrundenspiele austragen werden. So tritt Tschechien gegen Georgien und die Türkei an, Kroatien trifft auf Albanien und die Niederlande spielen gegen Polen. Die Tschechen sind dabei das einzige Team, das sich im Raum Hamburg sein EM-Quartier gesucht hat. Vom Golfhotel Treudelberg in Lemsahl-Mellingstedt aus wird die Mannschaft um Leverkusens Stürmer Patrik Schick zum Training nach Norderstedt ins Edmund-Plambeck-Stadion pendeln und somit nicht am Millerntor zu Gast sein.

Niederlande haben seit Kurzem Koalition aus vier rechten Partein

„Wir wissen bis jetzt nicht, welches Team bei uns trainieren möchte“, sagte am Dienstag Oke Göttlich auf Nachfrage. Es liegt auf der Hand, dass der Kiezclub bei der Türkei wegen der Haltung ihres autokratisch regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu vielen politischen Themen Bedenken haben dürfte. Und auch die Niederlande haben sich gerade in den Kreis der Nationen eingereiht, deren Regierung eine Politik vertritt, die in einigen Punkten konträr zur Haltung des FC St. Pauli steht. So kündigte kürzlich Rechtspopulist Geert Wilders nach den erfolgreichen Koalitionsverhandlungen von vier rechten Parteien an, das „strengste Asylrecht der Geschichte“ einzuführen und aus der gemeinsamen europäischen Asylpolitik auszusteigen.

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Eine Verbannung der Teams aus diesen Ländern aus dem Millerntor-Stadion ist derzeit aber eher unwahrscheinlich. Der Kiezclub setzt, wenn es überhaupt dazu kommen sollte, eher darauf, dass türkische und niederländische Nationalspieler unter den beiden großen politischen Botschaften trainieren. Bilder davon, die ins die Welt hinausgehen, seien gerade auch in deren Heimatländern ein starkes politisches Signal, heißt es clubintern. Zudem könnten politische Diskussionsveranstaltungen im Umfeld der Trainingstage eine geeignete Ergänzung sein.

FC St. Pauli lässt neuen Rasen im Millerntor-Stadion verlegen

Während also noch offen ist, wie intensiv das Stadion im Juni genutzt werden wird, steht fest, dass den Spielern ein neuer Rasen geboten wird. Das frische Grün wird aktuell verlegt, was den Verein rund 100.000 Euro kostet. Demgegenüber nimmt sich die Miete, die die Uefa an den FC St. Pauli zahlt, mit rund 40.000 Euro überaus bescheiden aus.