Hamburg. Von Freiburg bis in die Bundesliga: Was sein Förderer, Berater und Trainer über St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann sagen.
Der Architekt des Architekten kommt gerade zur Haustür rein. In einer Hand das Telefon, an dessen Ende das Abendblatt durchgeklingelt hat, in der anderen die „Süddeutsche“ und die „Badische Zeitung“. Volker Finke ist auch mit 76 Jahren noch sehr gut informiert. Über die Weltlage, das Regionale und selbstverständlich den Fußball.
Der Lektüre beider Medien hätte es aber nicht bedurft, um vom Aufstieg des FC St. Pauli mitzubekommen. Finke schaute am vergangenen Sonntag im Fernsehen zu, als er um die 75. Minute herum zur SMS ansetzte. „3:0, noch eine Viertelstunde zu spielen, das sieht nach Aufstieg aus“, textete er an Andreas Bornemann.
Andreas Bornemann, der Architekt des Aufstiegs des FC St. Pauli
Der Empfänger der Nachricht bekam erst einige Stunden später etwas davon mit. Mit Abpfiff wurde St. Paulis Sportchef von den Emotionen überrumpelt, Sekunden später von den auf den Rasen des Millerntor-Stadions stürmenden Fans. Am Abend feierte Bornemann gut gelaunt die Rückkehr in die Bundesliga, am Montagvormittag saß er schon wieder in seinem Büro an der Kollaustraße auf dem Platz, von dem aus er seit fünf Jahren die sportliche Weiterentwicklung der Hamburger konzipiert.
„Bei meinem Einstieg 2019 waren wir weit davon entfernt, an einen Aufstieg zu denken, so ehrlich muss man sein. Damals ging es um Stabilität in allen Bereichen, losgelöst von den Ergebnissen“, sagt der 52-Jährige. 2024 können sich aber auch die Resultate sehen lassen. St. Pauli spielt einen attraktiven, dominanten und erfolgreichen Fußball zugleich. Der Baumeister hinter diesem Team: Andreas Bornemann.
Volker Finke förderte Bornemann beim SC Freiburg
Einer, der mit „ganz, ganz wichtigen Entscheidungen“ die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, sagt Finke, der selbst einige der Voraussetzungen dafür legte, dass Bornemann zum Aufstiegsarchitekten wurde. Die Zeit beim SC Freiburg war prägend.
Kaum zu glaubende 16 Jahre arbeitete Finke dort als Trainer – zunächst auch von Bornemann. „Ich habe Andreas gern beim Training der ersten Mannschaft dabei gehabt, damit er dann in der zweiten Mannschaft, die mir wichtig war, unsere Idee vom Fußball transportieren konnte. Das ist ihm sehr gut gelungen“, sagt Finke, der den Mittelfeldspieler später als Leiter der Fußballschule und von 2002 an als Sportchef empfiehlt.
St. Paulis Erfolgsrezept: Stabilität durch Kontinuität
Stabilität durch Kontinuität, was in Freiburg erfolgreich vorgelebt wurde, wird für Bornemann auch an seinen späteren Stationen bei Alemannia Aachen, Holstein Kiel und dem 1. FC Nürnberg zur Leitplanke. Allerdings ist der Mann mit der Vorliebe für weiße Hemden Pragmatiker, kein Dogmatiker. „Ich bin überzeugt davon, dass Kontinuität ein Erfolgsfaktor ist, aber nicht um der Kontinuität willen. Es braucht manchmal auch den Mut zu Korrekturen gepaart mit Fleiß, Engagement und Qualität, um eine leistungsfördernde und leistungsfordernde Kultur zu etablieren“, sagt er daher.
Der Bauplan seines bislang größten Erfolgs wurde zu Beginn seiner zweiten Saison 2020/21 geschaffen in Form eines Strategiepapiers. Inhalte vor Personen, so könnte man es einfach formuliert zusammenfassen.
Sportchef Bornemann: „Spieler muss als Typ zu uns passen"
Über mehrere Transferperioden sollte gemeinsam mit einem Trainerteam eine Idee entwickelt werden, „mit der wir die Chance haben, oben dabei zu sein“. Wenngleich logischerweise auch der ein oder andere Flop dabei war, ist die Quote bei Transfers sehr gut. St. Pauli holte mit begrenzten finanziellen Mitteln häufig ablösefreie Spieler, entwicklungsfähige sowie Akteure, deren Leistungsniveau zuletzt eine Delle erlitten hatte.
„Bei unserer Transferplanung geht es im Wesentlichen darum, passend zu der Spielidee zunächst die entsprechenden Spielerprofile zu erstellen, und im Anschluss daran die passenden Spieler zu finden. Dabei gilt es, mehrere Aspekte und Kriterien zu beachten, unter anderem auch, ob wir der Überzeugung sind, dass der Spieler auch vom Typ her zu uns passt“, sagt Bornemann. Die Finalisierung liegt dann in seiner Hand.
Finke: „Er ist ein fairer und überzeugender Gesprächspartner"
Die Perspektiven von Kollegen aus dem Fußballgeschäft interessieren den zweifachen Vater mitunter bei der Entscheidungsfindung, „einen institutionalisierten Zirkel, der mich berät, habe ich aber nicht“, sagt er. Wichtigste Ansprechpartner sind ohnehin Scoutingchef Jan Sandmann und dessen Mitarbeiter Xaver Hasun.
„Er ist dabei ein vertrauenswürdiger, ganz fairer und überzeugender Gesprächspartner“, sagt Finke. Das bestätigen auch jene, die regelmäßig in den geschäftlichen Austausch mit dem Manager treten müssen.
Berater lobt die Zusammenarbeit mit Aufstiegsarchitekt Bornemann
„Die Zusammenarbeit mit ihm kann sehr gut, aber auch sehr kompliziert sein“, sagt der Berater Jürgen Bühler, dem beim FC St. Pauli Torwart Nikola Vasilj betreut. Der Kaiserslauterer will das ausdrücklich als Kompliment verstanden wissen.
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Als im Sommer 2022 der geplante Wechsel seines Klienten Jakov Medic von den Kiezkickern zum VfB Stuttgart scheiterte, war Bühler nicht glücklich darüber. „Aber es zeigt, dass Andreas Bornemann immer nur das Beste für seinen Verein will, und in diesem Moment war es aus seiner Sicht das Beste, wenn Jakov für den aufgerufenen Preis nicht wechselt“, sagt Bühler.
Verhandlungen mit St. Paulis Manager können zäh sein
Bei einem anderen Wechsel waren beide Seiten zeitweise so verhärtet, dass der Sportchef des anderen Clubs, so wurde es dem Abendblatt damals überliefert, „nie wieder“ mit Bornemann sprechen wollte. Es kam anders.
„Andreas besitzt eine unglaubliche Qualität, Dinge zwischen Personen zu regeln, die nicht miteinander harmonieren“, sagt Finke. Bühler schätzt am geradlinigen Breisgauer, „dass man sich nach Verhandlungen, so hart sie auch gewesen sein können, immer in die Augen schauen kann. Er ist ein herausragender Sportdirektor, unabhängig von den Vereinen, für die er gearbeitet hat.“
Bornemann steigt zum dritten Mal auf
Aufstiege mit Kiel von der Regionalliga in die Dritte Liga und mit Nürnberg von der Zweiten in die Bundesliga bestätigen dies. „Es gibt eine Währung im Sport: Erfolg. Dafür muss ich mich im sportlichen Bereich verantworten, und dem habe ich mich noch nie verweigert“, sagt Bornemann.
Und dem wird auch alles untergeordnet. Dass sich der gebürtige Neuenburger im Gegensatz zu seinen Vorgängern nie beim Training blicken lässt, um mit Fans ins Gespräch zu kommen, wurde ihm beispielsweise negativ ausgelegt.
Zum Training kommt der Sportchef nur ganz selten
Das hat aber gute Gründe. „Meine zeitlichen Ressourcen sind begrenzt, und ich setze sie dort ein, wo ich glaube, einen Mehrwert für den FC St. Pauli zu schaffen. Ich bin keineswegs menschenscheu oder unkommunikativ“, sagt Bornemann, der im persönlichen Gespräch stets sympathischer und locker rüberkommt.
Er ist sich seiner Rolle nur einfach sehr bewusst. Sturheit oder Konsequenz – eine Sache der Perspektive. „Andreas achtet jedenfalls nicht darauf, was ein Entschluss für ihn bedeutet, sondern was er dem Verein bringt. Es ist typisch für ihn, dass er mutige Entscheidungen trifft, wenn er davon überzeugt ist. Selbst wenn das letztlich dazu führt, dass es für ihn nicht weitergeht“, sagt Finke.
Entscheidung für Fabian Hürzeler als Trainer war sehr mutig
In Nürnberg ging es 2019 nicht weiter, als sich Bornemann mit dem Aufsichtsrat überworfen hatte. Auch bei St. Pauli war erst die Kritik nach der Freistellung von Timo Schultz groß, dann das Risiko noch größer, den 29 Jahre alten Fabian Hürzeler zum neuen Trainer zu machen.
„Das war sehr mutig von ihm, und dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Hürzeler, der seinen Förderer häufig nach Rat fragt. Zum Saisonende hin fragte er zum Beispiel, „ob die Aufstiege sein Leben verändert haben“.
St. Paulis Vorbild: die Breisgau-Brasilianer
In der Außenwirkung vielleicht. Nach innen ist sich Bornemann treu geblieben. Seit dem Jahreswechsel bastelt er an einem möglichen Bundesligateam. Mit vergleichsweise geringen Mitteln, aber dafür mit einer durchdachten Spielidee – mit Betonung auf dem Spielen.
Auch das hat Bornemann aus Freiburg mitgenommen. „Dort waren wir die Breisgau-Brasilianer, wenn wir gewonnen haben. Blieben die Ergebnisse aus, hieß es, dieses Klein-Klein funktioniere nicht, man müsse doch einfach auch mal aus 20 Metern aufs Tor schießen.“
Bornemann: „Fußball ist planbar"
Ob sich St. Pauli mit Klein-Klein im großen Oberhaus hält, ist nicht gesichert. „Fußball ist planbar, aber nur bedingt“, sagt Bornemann.
So viel scheint planbar: Von Andreas Bornemann wird noch zu lesen sein. In der „Süddeutschen“ genauso wie in der „Badischen Zeitung“ – und natürlich auch im Abendblatt.