Hamburg. Die Hamburger planen die Gründung einer Genossenschaft zur Finanzierung mehrerer Projekte. Welche Fragen zu klären sind.

Holger Martens ist Genosse. In zweifacher Hinsicht. Der 61-Jährige ist SPD-Mitglied und Geschäftsführer der in Hamburg ansässigen Historikergenossenschaft.

Ob der Geschichtswissenschaftler sein Genossenschaftstriple perfekt macht und auch Anleger beim FC St. Pauli, mit dem er sympathisiert, wird, steht noch nicht fest. „Kommt darauf an, wie teuer ein Anteil wäre“, sagt Martens. Eine Frage, die sich derzeit auch der Tabellenführer der Zweiten Liga stellt. Oder besser gesagt: seinen mehr als 40.000 Mitgliedern via Umfrage.

Wie der FC St. Pauli eine Genossenschaft gründen will

Es war von Präsident Oke Göttlich (48) als „Nachricht des Abends“ deklariert worden, als er bei der Mitgliederversammlung am 25. November 2023 die geplante Gründung einer Genossenschaft bekanntgab. Finanziert werden soll damit vor allem der Ausbau des Nachwuchsleistungszentrums an der Kollaustraße, aber auch „andere Projekte des Vereins“, die sich erst in den kommenden Jahren nach der möglichen Gründung konkretisieren sollen.

Der Vorschlag stieß auf ein positives Echo, ermöglicht er doch das Einsammeln von Kapital ohne Unterstützung von Investoren. „Zu der Idee eines anderen Fußballs gehört auch eine andere Finanzierung. Ein Modell, das Teilhabe und Mitbestimmung für viele Menschen ermöglicht, nicht nur für sehr wenige mit besonders viel Geld“, sagt Wilken Engelbracht, kaufmännischer Geschäftsleiter des FC St. Pauli. Der Fußball sei für alle da, dies solle sich auch bei der Finanzierung eines mitgliedergeführten Vereins abbilden, so der 50-Jährige.

Finanzierungsmodell ist im Sport selten

Genossenschaftsmodelle sind vor allem aus dem Wohnungsbau und bei Kreditgemeinschaften bekannt, im Sport zumindest auf professioneller Ebene selten. Auf Breitensportniveau gibt es Zusammenschlüsse mehrerer Vereine, die gemeinsam Sportplätze unterhalten.

Noch eine Stufe darunter beispielsweise Genossenschaften aus Clubs, die niedrigschwellige Freiluftsportangebote und Spielplätze finanzieren. Im Wirtschaftszweig ist die Sporthandelsgenossenschaft Intersport, die Sportartikel vertreibt und zu der unter anderem Sport Scheck gehört, die bekannteste Genossenschaft. Der deutsche Profifußball ist diesbezüglich jungfräulich.

Historiker Martens: „Ideale, demokratische Form"

„Eine Genossenschaft ist die ideale Form, um Projekte demokratisch und transparent umsetzen“, sagt Martens. Im Unterschied zu einer Aktiengesellschaft, in der die Großanleger die Entscheidungsgewalt besitzen, hat in einer Genossenschaft jeder Anleger das gleiche Stimmrecht – unabhängig der erworbenen Anteile. „Ein hervorragender Gegenpol zum heutigen Unternehmertum, in dem häufig undemokratisch agiert wird“, sagt Historiker Martens.

Was in der Theorie logisch und optimal zum FC St. Pauli passend erscheint, sollte jedoch gut vorbereitet sein. 2018 hatte der damalige kaufmännische Geschäftsführer und heutige DFB-Sportchef Andreas Rettig (61) schon einmal eine Genossenschaft fürs Millerntor-Stadion angeregt.

Erstes Vorhaben des Kiezclubs scheiterte

Doch das Vorhaben scheiterte vor allem wegen steuerrechtlicher Probleme. Umso ernster verfolgt der Kiezclub nun die Umsetzung dieses Finanzierungsmodells. Im Vorwege sind viele Fragen zu klären – und bei der Beantwortung tappen die Hamburger noch gewaltig im Dunklen, weswegen das Stimmungsbild der Mitglieder umso bedeutsamer ist.

Es habe grundsätzlich eine „sehr positive Resonanz“ gegeben, sagt Engelbracht. Eine wichtige Frage sei: Warum wollen die Mitglieder Teil der Genossenschaft werden? „Um möglichst viel Rendite zu erhalten oder vor allem, um den Verein zu unterstützen? Erste Antworten lassen erahnen: Vielen geht es zwar um eine sichere Investition, aber vor allem auch darum, den Verein zu unterstützen“, sagt der Wirtschaftsexperte.

Problem: Das NLZ generiert keine Einnahmen

„Es gibt auch Anreize, Geld zu mobilisieren, ohne große Rendite zu erzielen. Wenn es einem emotionalem Wert dient oder einer guten Sache“, sagt Martens, dessen Historikergenossenschaft dafür ein gutes Beispiel ist.

Ein Nachwuchsleistungszentrum generiert jedoch keine Einnahmen, wirft also auch keine Profite für die Kapitaleigner ab. Denkbar wäre daher, dass die Genossenschaft die Trainingsanlage in Niendorf erwirbt und der Verein zum Mieter wird.

Wie teuer soll ein Genossenschaftsanteil werden?

Detaillierte Überlegungen werden vor der Auswertung der Umfrage allerdings nicht unternommen. Das Geld soll eingesetzt werden, „um Teile der Infrastruktur des FC St. Pauli zu erwerben, zu betreiben und nachhaltig zu verbessern“, sagt Engelbracht.

Der derzeit kniffligste Punkt, der die Verantwortlichen der Braun-Weißen umtreibt, ist der Preis der Genossenschaftsanteile. Einerseits soll eine möglichst große Teilhabe, nicht nur für wohlhabendere Menschen ermöglicht werden, andererseits darf kein Ramsch-Charakter entstehen, weswegen der Einstiegspreis vermutlich nicht symbolische 19,10 Euro betragen wird.

Nicht nur Mitglieder können Anleger werden

Da nicht nur Vereinsmitglieder, sondern alle zu Genossen werden können, will der Verein auch genau prüfen, wer Anteile erstehen will. „Auch hier kann ein zu niedriger Preis für einen Genossenschaftsanteil kontraproduktiv sein, falls zu viele Menschen nur aus Spaß oder um uns etwas zu ärgern in die FCSP-Genossenschaft einsteigen wollen“, sagt Engelbracht.

Martens hält aus dem Bauch heraus „eine Summe im niedrigeren dreistelligen Bereich“ für passend. „Dann würde ich mir das auch überlegen“, sagt er. Sein Vorteil: Genosse bleibt er so oder so.