Benidorm. Der Schienenspieler ist in der Hierarchie der Hamburger weit oben angesiedelt. Wie er der Mannschaft damit hilft.

Zur Begrüßung auf dem Trainingsgelände gibt es einen lockeren Handschlag. Mitunter ein Schmunzeln, mal ein „Moin“. Den Bückling muss kein Profi des FC St. Pauli vor Fabian Hürzeler machen. Weil sowieso jeder sofort weiß, sieht und vor allem hört, wer der Boss ist.

Die Hierarchie beim Tabellenzweiten der Zweiten Liga ist dahingehend geregelt. „Come on, pressure! (Auf geht’s Druck) Ins Pressing kommen“, ruft der Cheftrainer, dessen Einheiten wegen der Internationalität seiner Spieler immer einer kleinen Englischstunde gleichen, am Freitag ständig über die Anlage des Meliá Villaitana oberhalb von Benidorm.

Philipp Treu ist ein Anführer beim FC St. Pauli

Defensivverhalten, Hürzelers Lieblingsthema, stand am zweiten Tag des Trainingslagers an der spanischen Costa Blanca auf dem Lehrplan. Im Sieben-gegen-Sieben, Neun-gegen-Neun und Elf-gegen-Neun wurden positionsspezifisches Verschieben und Kettenverhalten geübt.

„Wir haben uns dazu vorab Szenen aus der Hinrunde angeschaut. Es muss uns wieder gelingen, häufiger zu Null zu spielen. Defensiv haben wir uns zuletzt zu oft den Schneid abkaufen lassen“, sagt ein Aufmüpfiger. Wenn es an diesem Tag jemandem gelingt, Hürzelers Kommandos zu übertönen, dann ist das regelmäßig Philipp Treu. Weniger die Lautstärke, als die Deutlichkeit seiner Aussagen verleihen den Worten des erst 23-Jährigen Gewicht.

Hierarchie beim Kiezclub streng geregelt

Unterhalb vom Coach steht Kapitän Jackson Irvine in der Hierarchie der Kiezkicker, dahinter der Mannschaftsrat, dem neben dem Australier noch Marcel Hartel, Eric Smith, Hauke Wahl und Sascha Burchert angehören. Hürzeler ist kein Freund flacher Hierarchien.

„Ganz so streng hierarchisch funktioniert es heutzutage aber nicht mehr. Es darf, es muss sogar jeder kommunizieren, um dem Team zu helfen“, sagt Treu, der Anführer hinter den Anführern. „Der Papa ist gerade nicht da, also muss jemand einspringen“, scherzt der gebürtige Heidelberger angesichts der Abstinenz von Irvine, der mit der australischen Nationalmannschaft beim Asien-Cup ist. Treu, der Ersatz-Lautsprecher.

Ex-Vizekapitän: "In drei Jahren ist Treu Captain"

Der St. Paulianer Johannes Flum (36) sagte ihm unmittelbar nach seinem Wechsel vom Drittligisten SC Freiburg II ans Millerntor im vergangenen Sommer eine große Zukunft voraus. Binnen drei Jahren werde er Kapitän sein, also ein Amt oberhalb des Stellvertreters bei den Braun-Weißen, der Flum von 2018 bis 2020 war.

„Das war nett von Flumi, mit dem ich immer noch in Kontakt stehe“, sagt Treu, der die Breisgauer in der Vorsaison als blutjunger Captain völlig überraschend zur Vizemeisterschaft geführt hatte.

Zweikampf mit Lars Ritzka um Stammplatz

Seine Rolle überbewerten mag Treu, der Bescheidene, dennoch nicht. „Es ist auf meiner Position einfach wichtig, meine Vordermänner zu coachen, mit den Innenverteidigern zu kommunizieren, um die Höhe in der Kette zu halten“, sagt Treu.

„Meine Position“ – allein diese Bezeichnung ist von Interesse. Von Haus aus ein Rechtsverteidiger wird der frühere U-19-Nationalspieler bei St. Pauli links als Schienenspieler aufgeboten. Zu Saisonbeginn noch hinter Lars Ritzka, inzwischen als Stammspieler.

Als Rechtsfuß auf der linken Seite gut aufgehoben

„Zwischen uns herrscht ein fairer Konkurrenzkampf auf Augenhöhe, bei dem sich keiner ausruhen kann. Genau das habe ich gesucht, um mich zu entwickeln“, sagt Treu. Dass er als Rechtsfuß im Gegensatz zum linksfüßigen Ritzka auch Drang ins Zentrum entwickeln kann, gefällt Hürzeler, da dies zu seiner Offensividee passt.

„Mein linker Fuß ist gar nicht so schlecht, aber ich versuche schon, viel spielerisch in die Mitte aufzulösen“, sagt Treu. Einen Ansatz zu wählen, der höherer Fußballkultur entspricht und einer guten technischen Ausbildung bedarf, sei ihm in Freiburg beigebracht worden.

Freiburg II als Sprungbrett

„Daher kann ich jungen Spielern den Zwischenschritt über solche Sprungbrettclubs nur empfehlen, anstatt Ligen zu überspringen, um bei Clubs zu spielen, in denen klassischer Männerfußball mit vielen langen Bällen gespielt wird“, sagt Treu.

Zu erkennen, wann lange oder kurze Bälle gegen sein Team eingesetzt werden, ist eine der Hauptaufgaben des Siegtorschützen vom 2:1 gegen den Karlsruher SC. „Immer darauf zu achten, welche Höhe wir in der Kette haben, ob wir fallen müssen, wenn der Gegner einen freien Fuß hat. Da nimmt mich Karol extrem mit, von ihm schaue ich mir vieles ab“, sagt Treu über den linken Innenverteidiger Karol Mets, der am Freitag seinen ersten Dienstgeburtstag als St.-Pauli-Spieler feierte.

Kommunikation bringt viel Sicherheit

„Diese Kommunikation ist heutzutage und speziell bei unserer Herangehensweise einfach extrem wichtig, um aus einer guten Kompaktheit heraus direkt ins Pressing zu kommen“, ergänzt er.

Einen gewissen Selbstzweck erfüllt sein Redebedarf außerdem. „Im Spiel zu sprechen, hilft mir dabei, besser reinzukommen. Es gibt mir Sicherheit und strahlt vielleicht auch etwas Ruhe auf meine Mitspieler ab“, sagt Treu.

Niemand ist vor Treus "Späßle" sicher

Was definitiv ansteckt, ist sein sonniges Gemüt. Ohne Lächeln komme Treu nie auf den Platz und in die Kabine, merkt Defensivkollege Wahl an.

„Ab und zu mal einen Spruch zu drücken, mal ein Späßle zu machen, ist wichtig für die Lockerheit in einem Umfeld, in dem ständig Druck existiert“, sagt Treu, vor dessen Späßle sich niemand sicher fühlen kann. Nicht mal der Boss.

Außen vor: Stürmer Simon Zoller (32) trainierte am Freitag erneut nur individuell, lief seine Runden um den Platz.
Austausch: Regionalligist FC St. Pauli II hat den vereinslosen Innenverteidiger Luca Menke (23) verpflichtet. Linksaußen Nathanael Kukunda (20) verlässt den Club auf eigenen Wunsch.