Hamburg. Warum St. Paulis 3:1-Sieg im Topspiel gegen den FC Schalke 04 bei Trainer Fabian Hürzeler noch längst keine Euphorie auslöst.
Stadionsprecherin Dagmar Hansen hatte hörbar viel Spaß daran, in ihrer letzten Ansage des Abends im Millerntor-Stadion die Tabellenspitze der 2. Fußball-Bundesliga zu verkünden. Durch den Sieg über Schalke 04 hatte schließlich der FC St. Pauli sein Punktekonto auf 13 erhöht und so mit dem HSV gleichgezogen.
Mehr noch: Weil dank des späten Treffers des eingewechselten Carlo Boukhalfa zum 3:1 die Tordifferenz auf plus sieben anwuchs, verdrängte das Millerntorteam den Lokalrivalen sogar von Platz zwei der Tabelle. Natürlich löste diese Ansage noch einmal großen Jubel unter den St.-Pauli-Fans aus, die sich an diesem Abend in Sachen Lautstärke ohnehin schon in Erstligaform präsentiert hatten.
St. Paulis Fans singen wie nach einem gewonnenen Stadtderby
„Die Nummer eins der Stadt sind wir“, stimmten die Anhänger daraufhin an. Diese Zeilen waren bisher üblicherweise nach den Siegen in den Stadtderbys gesungen worden. Jetzt reichte schon dieses eine Tor in der Nachspielzeit dafür.
Wie üblich wollte St. Paulis Cheftrainer Fabian Hürzeler nicht allzu viel von der neuen stadtinternen Tabellenkonstellation wissen. „Für mich hat das keine Bedeutung“, sagte er, „ich bin niemand, der groß in Euphorie verfällt. Vielmehr lebe ich Demut und Bescheidenheit vor.“ Sein Ehrgeiz, das Spiel seiner Mannschaft auf einem hohen Niveau immer noch weiter zu perfektionieren, ist allerdings unübersehbar.
St. Pauli ist weiter unbesiegt in der Zweiten Liga
Gleichwohl ist Hürzeler sehr wohl bewusst, dass für die Fans das Überholen des HSV, selbst wenn es nur für eine Woche sein sollte, eine große Bedeutung hat. „Ich weiß, dass ihnen das sehr wichtig ist. Das haben sie auch verdient, weil sie uns Woche für Woche unterstützen. Es war wieder unfassbar laut. Die Fans haben die Gabe zu merken, wann das Team die Unterstützung braucht“, lobte er.
Auch nach sieben Spieltagen ist St. Pauli weiter unbesiegt, als einziges Team in der so ausgeglichenen Zweiten Liga. Und auch wenn der Erfolg gegen den Bundesliga-Absteiger aus Gelsenkirchen bis zum Treffer zum 3:1 latent gefährdet schien, so belegten doch alle relevanten statistischen Daten eine Überlegenheit des FC St. Pauli. Vor allem, dass die Hamburger annähend sechs Kilometer mehr liefen als ihre Gegner, war ein eklatanter Unterschied.
Ausfall von Irvine fällt nicht ins Gewicht
Wie schon beim 5:1 gegen Kiel fiel nicht entscheidend ins Gewicht, dass St. Pauli weiterhin auf den am Sprunggelenk verletzten Kapitän Jackson Irvine, der sich schon wieder im Lauftraining befindet, verzichten musste. Die Kapitänsrolle übernahm Marcel Hartel in vorbildlicher Manier, auf Irvines Position im Mittelfeld überzeugte dessen australischer Landsmann Connor Metcalfe vor allem in der Defensivarbeit. Dazu führte sein zweiter Torschuss, den Schalkes Lino Tempelmann mit den Händen abwehrte, per Videobeweis zum Strafstoß und dank Hartel zum 1:0.
„Jackson Irvine wird weiter der Kapitän sein und ein Spieler, der nicht zu ersetzen ist. Das wird sich nicht ändern, nur weil wir zweimal gewonnen haben“, stellte Fabian Hürzeler klar. „Auf der anderen Seite zeigt es mir, dass wir einen guten Kader haben. Wir können Jackson Irvine als Team ersetzen.“ Metcalfe habe auch von der Struktur im Team profitiert.
Befreiungsschlag für Carlo Boukhalfa
„Wir haben eine Breite im Kader. Die Spieler, die nicht regelmäßig spielen, hören gut zu und setzen Dinge um“, sagte Hürzeler weiter. Tatsächlich fällt immer wieder auf, dass auch die Ersatzspieler, wenn sie denn zum Einsatz kommen, das von Hürzeler vorgegebene Spielsystem verinnerlicht haben.
Eine Folge dessen ist dann beispielsweise, dass auch Carlo Boukhalfa, der seit seinem Wechsel aus Regensburg im Sommer 2022 fast keine Rolle gespielt hatte, sich plötzlich profilieren kann. Sein Treffer zum 3:1-Endstand hatte schon etwas von einem Befreiungsschlag für ihn.
„Es freut mich sehr für Carlo. Er hat eine unfassbare schwere Zeit gehabt. Aber man sieht, was passiert, wenn man sich selbst aus dieser Phase herausarbeitet und herauskämpft. Man wächst in seiner Persönlichkeit und als Mensch“, sagte Hürzeler dazu und betonte: „Mir hat imponiert, wie sich die ganze Mannschaft für ihn freut.“ Das zeige sein Standing im Team.
Trainer Hürzeler benennt Schwächen seines Teams
Auffällig war nach dem für die Fans berauschenden Sieg gegen Schalke aber auch, wie klar Hürzeler Schwächen seines Teams benannte, an denen es zu arbeiten gilt. Vor allem die Phase nach der 2:1-Führung hatte ihm nicht gefallen.
„Wir hatten da ein wenig Angst vor der eigenen Führung“, stellte später auch Abwehrchef Eric Smith fest. Es war die Phase, in der Schalke zu seinen besten Chancen der zweiten 45 Minuten kam. Doch nach zehn Minuten hatte St. Pauli das Geschehen wieder in den Griff bekommen und konnte die zu erwartende Schlussoffensive der Schalker weitgehend im Ansatz ersticken.
Alles in allem strahlt der FC St. Pauli nach einem Fünftel der Saison eine Mischung aus Selbstvertrauen, Reife, Freude, aber auch Ehrgeiz aus. Lähmende Selbstzufriedenheit ist indes nicht zu beobachten. Dies alles sind Zutaten, die einen Aufsteiger auszeichnen.
Ärger bei Schalke nach Baumgartels Interview
Mehr Rede- und Handlungsbedarf löste das Spiel unterdessen bei Schalke 04 aus. Nachdem er im Interview bei Sky die mannorientierte Taktik von Trainer Thomas Reis offen kritisiert hatte, verhängte die Clubführung gegen Verteidiger Timo Baumgartl am Sonntag eine Geldstrafe und verfügte, dass er von Montag an eine Woche mit der Schalker U-23-Mannschaft trainieren müsse.
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Der direkte Aufstiegsplatz für St. Pauli hatte schließlich auch nach den drei Sonntagsspielen der Zweiten Liga weiter Bestand. Holstein Kiel (2:3 gegen Hertha BSC) und Hannover 96 (1:1 in Düsseldorf) verpassten es, an den beiden Hamburger Vereinen vorbeizuziehen. Und Spitzenreiter Düsseldorf ist nur einen Punkt entfernt.
St. Paulis Smith freut sich auf weitere Flutlichtspiele
„Wir lieben es einfach, diese späten Spiele vor allem hier am Millerntor zu bestreiten“, sagte Abwehrspieler Eric Smith zum Abschluss. Da trifft es sich gut, dass das kommende Auswärtsspiel bei Hertha BSC und auch das nächste Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg jeweils am Sonnabend um 20.30 Uhr angepfiffen werden.
FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas, Metcalfe (88. Nemeth), Hartel, Ritzka – Afolayan (82. Boukhalfa), Eggestein (60. Albers), Saad (82. Amenyido). FC Schalke 04: Langer – Brunner, Baumgartl (85. Kalas), Kaminski, Ouwejan – Schallenberg (82. Topp), Seguin (66. Ouedraogo), Tempelmann – Kabadayi (66. Kozuki), Polter, Murkin.
Tore: 1:0 Hartel (21., Handelfmeter nach Videobeweis), 1:1 Polter (29.), 2:1 Hartel (57.), 3:1 Boukhalfa (90.+2).
Schiedsrichter: Frank Willenborg (Osnabrück).
Zuschauende: 29.546 (ausverkauft), Gelbe Karten: Metcalfe (3) - Kaminski (2), Brunner (2), Schallenberg (2), Polter (2). Statistik: Torschüsse: 19:10, Ecken: 4:2, Ballbesitz: 52:48 Prozent, Zweikämpfe: 72:64. Laufleistung: 116,8:110,9 Kilometer.