Kiel. Elfmeter, Eigentore, Rudelbildung, Platzverweis – wahrlich kein langweiliger Saisonausklang im Kieler Holstein-Stadion.

Es war ein Fußball-Spektakel voller Emotionen. Der FC St. Pauli war dabei im Nordduell bei Holstein Kiel die glücklichere Mannschaft, konnte sich am Ende als 4:3 (1:1)-Sieger feiern lassen. Es war für die Hamburger der 13. Sieg in der Zweitliga-Rückrunde und damit die Einstellung des bisherigen, ligaweiten Rekordes. An dem Abend, als sich Darmstadt 98 mit dem 1:0-Erfolg gegen den 1. FC Magdeburg den Aufstieg in die Bundesliga sicherte, wahrte St. Pauli seine kleine theoretische Chance auf Rang drei.

"Wir waren effektiver und konsequenter im letzten Drittel als zuletzt beim 0:0 gegen Fortuna Düsseldorf", sagte zusammenfassend St. Paulis Trainer Fabian Hürzeler. "Es gibt aber immer noch viel zu tun." Dabei bezog er sich vor allem auf die wilde Schlussphase, in der sein Team fast noch die so sicher scheinende 4:1-Führung fast noch komplett verspielt hätte.

Holstein Kiel verabschiedete vor dem Anpfiff elf Profis

Schon eine Stunde vor dem Anpfiff hatte die KSV Holstein nicht weniger als elf Profis verabschiedet, die den Nordclub am Saisonende verlassen. Dabei erhielt der im Winter kurzfristig verpflichtete Robin Himmelmann (34) einen besonders großen Applaus – und zwar verständlicherweise auch aus dem St.-Pauli-Fanblock. Der Keeper hatte bis zum Januar 2021 achteinhalb Jahre am Millerntor gespielt, ehe er aussortiert worden war. Seine sportliche Zukunft ist jetzt wieder offen.

Zu den Verabschiedeten gehörten auch der Ex-St.-Paulianer Fin Bartels sowie Kapitän und Defensivspieler Hauke Wahl, der vor einem Wechsel ans Millerntor steht. Beide standen im Nordduell am Freitagabend auch in der Startelf. Gleiches galt für die ebenfalls verabschiedeten Mikkel Kirkeskov, Stefan Thesker, Alexander Mühling und Fabian Reese.

Bei Letzterem konnte sich der Stadionsprecher nicht verkneifen zu sagen, dass man ihn in der kommenden Saison gern wieder im Holstein-Stadion begrüßen werde. Hintergrund: Der Stürmer wechselt zum Bundesligaletzten Hertha BSC. Auf dem Feld zeigte Reese danach, dass er bundesligareif ist. Er war mit Abstand Kiels gefährlichster Spieler.

St. Pauli spielte mit der Startelf vom 0:0 gegen Düsseldorf

Die Zuschauer, unter ihnen FDP-Spitzenpolitiker Wolfgang Kubicki und Handball-Star Patrick Wienczek (THW Kiel), sahen eine gegenüber dem 0:0 gegen Fortuna Düsseldorf unveränderte Startelf des FC St. Pauli. Die wiederum sah sich von Beginn an einer aggressiv anlaufenden und offensiv ausgerichteten Kieler Mannschaft gegenüber, die sich vor ihren eigenen Fans würdig aus der Saison verabschieden wollten. Sportlich war für sie seit Wochen klar, dass sie weder mit dem Auf- noch mit dem Abstieg etwas zu tun haben würden.

Auch St. Paulis Trainer Fabian Hürzeler hatte vor dem Spiel herausgestrichen, dass es immer noch um viel für sein Team gehe. Man wolle sich selbst am Ende nichts vorwerfen müssen, sagte er in Bezug auf die minimalste Chance auf Platz drei.

Trainer Hürzeler zürnte über den Strafstoßpfiff gegen sein Team

Um diese schien sich St. Pauli dann aber selbst zu bringen. Dem völlig unnötigen hohen Ball in den eigenen Strafraum von Manolis Saliakas ließ Torwart Nikola Vasilj ungestümes Rempeln gegen Bartels folgen, was Schiedsrichter Robert Kampka mit einem Strafstoß ahndete. Videoassistent Martin Petersen hatte nichts einzuwenden. Und so erledigte Kiels Routinier Steven Skrzybski seinen Job aus elf Metern zum 1:0 (28.).

Fabian Hürzeler konnte hingegen die Entscheidung nicht nachvollziehen. "Der Schiedsrichter hat mir gesagt, Niko habe Fin Bartels am Kopf getroffen. Davon war aber nichts zu sehen", sagte er später. Es sollte nicht die letzte strittige Szene bleiben.

Torschütze Oladapo Afolayan sah kurz vor Schluss Gelb-Rot

Doch das Aufbäumen der St. Paulianer nach dem Rückstand war von Erfolg gekrönt. Oladapo Afolayan ließ nach einigen unglücklichen Aktionen seine Klasse aufblitzen, dribbelte sich von rechts in den Kieler Strafraum, spielte mit Jackson Irvine Doppelpass und versenkte den Ball mit links im Tor. Ganz glücklich sah Kiels Keeper Thomas Dähne dabei allerdings nicht aus.

Nach einem Schreckmoment zu Beginn der zweiten Halbzeit, als Vasilj gegen den nach einem Fehler von Jakov Medic frei vor ihm auftauchenden Reese stark rettete, drehte St. Pauli das Spiel zu seinen Gunsten. Dabei half Kiels Kapitän Hauke Wahl nach Hartels gefährlichem Freistoß von links kräftig mit. Per Kopf wuchtete der Verteidiger den Ball ins eigene Tor zum 2:1 (53.) für St. Pauli. Böse Zungen könnten behaupten, Wahl habe schon mal für seinen vermutlich künftigen Arbeitgeber geübt.

Traumtor von Stürmer Lukas Daschner zum 3:1

Es kam noch besser für St. Pauli, als Afolayan nach einem erfolgreichen Dribbling Lukas Daschner perfekt bediente. Ebenso perfekt verarbeitete der bis dahin kaum zu sehende Mittelstürmer die Vorlage und setzte den Ball direkt mit rechts zum 3:1 (61.) ins Netz. St. Paulis Tor Nummer vier besorgte dann wieder Holstein selbst, weil Mikkel Kirkeskov den Schuss von Leart Paqarada, der wohl sein Ziel verfehlt hätte, ins eigene Netz stolperte (74.).

"Danach dachten wir, das Spiel sei gelaufen", gab Hürzeler zu. "In dieser Phase haben wir sehr gut gespielt und lagen verdient auch so hoch vorn." die ganz großen Optimisten begannen schon zu rechnen, wie viele Tore St. Pauli noch auf den HSV aufholen müsste.

Doch Holstein Kiel gab nicht auf und kam dank des kurz zuvor eingewechselten Marco Komenda (78.) zum zweiten Treffer. "Es war wieder ein Gegentor nach einer Standardsituation. Dabei hatten wir die Situation eigentlich schon geklärt", ärgerte sich Fabian Hürzeler.

Und so wurde es noch einmal hektisch im Holstein-Stadion. Das lag auch daran, dass sich Afolayan die Gelb-Rote Karte einhandelte, weil er nach einer Behandlung angeblich zu früh wieder aufs Spielfeld gelaufen war. Später beteuerte der Engländer, der sich zuvor etlichen Fouls ausgesetzt gesehen hatte: "Der Schiedsrichter hat mir das Zeichen gegeben, dass ich wieder auf das Feld kommen soll. Und dann stellt er mich vom Platz. Ich weiß nicht, wen er mit dem Zeichen sonst gemeint haben könnte."

Holstein Kiel - St. Pauli: Beide Trainer sehen in der Schlussphase Gelb

Im Zuge der allgemeinen Aufregung um den Platzverweis sah auch noch St. Paulis Trainer Hürzeler Gelb. "Ich habe das Zeichen des Schiedsrichters für Afolayan selbst nicht gesehen. Aber wenn er mir versichert, dass es das Zeichen gab, glaube ich ihm natürlich", sagte der Coach später. Seine Beschwerden bei Kampka beantwortete dieser dann mit der Verwarnung.

Die finale Überzahl nutzten die Kieler noch zum 3:4-Anschlusstreffer durch einen Volleyschuss Reeses (90.+3). Kurz danach gab es noch eine Rudelbildung nach einem Foul an St. Paulis Mets kurz vor der Strafraumgrenze. Es passte ins Bild, dass auch Holstein-Trainer Marcel noch die Gelbe Karte sah.

Am Ende durfte Hürzeler dann aber doch mit seinem Team jubeln. Und Co-Kapitän Leart Paqarada sagte: "Man muss das auch realisieren und genießen, dass wir in der Rückrunde 13 Siege bei nur zwei Niederlagen eingefahren haben. Gleichzeitig muss man aber auch diese ,Bayernmentalität' haben und trotzdem immer wieder den absoluten Willen haben die Spiele zu gewinnen. Wir lehnen uns jetzt zurück und gucken was morgen passiert. Und dann wollen wir nächste Woche auch gewinnen."

Der FC St. Pauli kann jetzt noch zwei Liga-Rekorde aufstellen

Dann kommt der Karlsruher SC ins schon ausverkaufte Millerntor-Stadion zum letzten Punktspiel der Saison. Mit einem Erfolg würde St. Pauli gleich zwei neue Bestmarken für die Zweite Liga aufstellen. Weder 14 Siege noch 43 Punkte in einer Halbserie hat zuvor je ein Team erreicht. Doch Fabian Hürzeler blieb auch angesichts dieser Aussicht bei seiner Linie: "Mich interessieren solche Rekorde nicht."

Holstein Kiel: Dähne – T. Becker, Wahl, Thesker (68. Pichler), Kirkeskov – Sander, Mühling (75. Porath) – Bartels (89. Wriedt), Holtby, Reese – Skrzybski (75. Komenda).

FC St. Pauli: Vasilj – Medic, Smith, Mets – Saliakas (90.+4 Beifus), Irvine, Hartel (90.+1 Zander), Paqarada – Afolayan, Daschner (79. J. Eggestein), Saad (79. Metcalfe).

Tore: 1:0 Skrzybski (28., Foulelfmeter), 1:1 Afolayan (39.), 1:2 Wahl (53., Eigentor), 1:3 Daschner (61.), 1:4 Kirkeskov (74., Eigentor), 2:4 Komenda (78.), 3:4 Reese (90.+3). SR: Kampka (Mainz). Z.: 15.034. Gelb-Rot: Afolayan (88.) wegen Regelverstoßes. Gelb: T. Becker (6), Bartels (1), Pichler (2), Rapp (Trainer Kiel) – Hürzeler (Trainer St. Pauli).