Hamburg. Stefan Orth kritisiert im Podcast „Millerntalk“, dass bei St. Pauli zu viel Energie und Geld auf Nebenschauplätzen verloren geht.

An diesem Sonnabend wird Stefan Orth wieder zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn auf der Gegengeraden des Millerntor-Stadions mit der Mannschaft des FC St. Pauli mitfiebern und die Daumen drücken, dass gegen die punktgleiche Mannschaft von Fortuna Düsseldorf der 13. Sieg der Zweitliga-Rückrunde gelingt.

Er wird dann eine rund 250 Kilometer lange Anreise hinter sich haben, denn der 56 Jahre alte Geschäftsmann, der von 2007 bis 2014 dem Präsidium des Kiezclubs angehörte, davon die letzten vier Jahre als Präsident, lebt mittlerweile im Ostseebad Zingst in Mecklenburg-Vorpommern, wo er seit Dezember vergangenen Jahres als Tourismuschef tätig ist.

Orths Liebe zum FC St. Pauli ist ungebrochen

Seine Liebe zum FC St. Pauli ist ungebrochen. Das wird sehr schnell deutlich, als er im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“ mit großer Leidenschaft seine Einschätzungen zum aktuellen und vergangenen Geschehen auf dem Platz und in der Vereinsführung vertritt.

Dabei nimmt Orth wie gewohnt kein Blatt vor den Mund. Denn die atemberaubende Erfolgsserie der Zweitligamannschaft seit dem Beginn der Rückrunde mit zwölf Siegen aus 14 Spielen und die immer noch vorhandene, kleine Aufstiegschance haben nichts daran ändern können, dass er vieles im Verein kritisch sieht.

Ganz oben steht für ihn dabei, dass es der Club seit dem Bundesligaabstieg im Frühjahr 2011 trotz aller Personalwechsel in den hauptamtlichen Führungspositionen nicht mehr geschafft hat, ins Oberhaus zurückzukehren, während dies Vereinen, die wirtschaftlich und strukturell schlechtere Grundvoraussetzungen hatten und haben, gelungen ist.

St. Pauli stieg vor zwölf Jahren aus der Bundesliga ab

Als Beispiele seien der SC Paderborn, Eintracht Braunschweig, die SpVgg. Greuther Fürth oder auch der SV Darmstadt 98 genannt, der aktuell vor seinem nächsten Aufstieg steht, nachdem er dies auch schon 2015 geschafft hatte.

„Der FC St. Pauli nimmt sehr viel soziale Verantwortung wahr, positioniert sich politisch sehr klar und setzt sich auch in verschiedenen Bereichen sehr stark ein. Das kostet Kraft, das kostet Geld und das kostet unwahrscheinlich viele Mitarbeiter“, sagt Stefan Orth und kritisiert: „Das Personaltableau des Vereins ist zu groß, aber um sich auf den Profifußball zu fokussieren, geht zu viel Geld verloren.“

Stefan Orth gehörte von 2007 bis 2014 dem Präsidium des FC St. Pauli an.
Stefan Orth gehörte von 2007 bis 2014 dem Präsidium des FC St. Pauli an. © Getty | Bongarts/Getty Images

Zudem seien der Aufsichtsrat, das Präsidium und die Geschäftsführung zu homogen zusammengesetzt. „Das ist alles eine Suppe, alle kommen aus einer Richtung und wollen sich gegenseitig nicht wehtun“, sagt Orth dazu wörtlich. „Deswegen passiert sportlich relativ wenig.“

Orth: Wirtschaftliche Stärke und Strahlkraft wird nicht genutzt

Immerhin erkennt Orth an, dass die Vereinsführung ihre Strategie und Ausrichtung „nach außen einigermaßen gut verkauft“ bekommt. Dann aber kommt er zum Kern seiner Kritik: „Es wird nicht diese wirtschaftliche Stärke, die dieses Stadion, diese Unabhängigkeit und dieser Merchandising-Umsatz ermöglichen, und die daraus resultierende Strahlkraft rein in den sportlichen Erfolg investiert. Deswegen bleibt es beim Mittelmaß. Es gibt nur mal ein paar Ausreißer nach oben, aber auch immer die Gefahr, dass es nach unten geht.“

Dann nennt Stefan Orth ein Beispiel, das ihn besonders schmerzt. „Union Berlin hat damals bei uns angefragt, wie wir es machen mit dem Stadionbau.“ Auch sonst habe der Club aus Berlin-Köpenick St. Pauli beobachtet und als Vorbild genommen, dann aber mit geliehenem Geld „alles auf eine Karte“ gesetzt, sei 2019 in die Bundesliga aufgestiegen und habe sich dort etabliert.

Im Podcast "Millerntalk" spricht Ex-Präsident Orth Klartext

„Union hat trotz ihrer Fans und ihrer Verantwortung für das Umfeld den Fokus stark auf den Erfolg im Fußball gelegt. Das wird beim FC St. Pauli so nicht gemacht“, betont er. „Deswegen bleibt das Team eine Fahrstuhl-Mannschaft innerhalb der Zweiten Liga. Das scheint auch so gewollt zu sein.“

Den aktuellen Höhenflug hält Stefan Orth auch eher für einen der genannten Ausreißer nach oben. Es sei ein Fehler, heute zu glauben, das werde in der neuen Saison einfach so weitergehen. „In dieser Rückserie lief bisher auch vieles für uns. Da war viel Spielglück dabei. Dafür können wir sehr dankbar sein“, sagt er und wird sich trotz aller Kritik am Sonnabendabend von seinem Platz aus für St. Pauli „die Seele aus dem Leib schreien.“

Und einen speziellen Trumpf bei der Jagd auf den HSV glaubt Stefan Orth auch noch im Ärmel zu haben. „Mein Freund Rachid Azzouzi hat mir versprochen, dass Greuther Fürth am nächsten Wochenende beim HSV etwas holen wird.“

Fürths Sportvorstand Azzouzi verspricht Hilfe für St. Pauli

Azzouzi war im Frühjahr 2012 von Orth als Sportchef verpflichtet worden, ehe er Ende 2014 von Orths Nachfolger Oke Göttlich und dessen Mitstreitern beurlaubt wurde. Längst ist Azzouzi als Geschäftsführer Sport nach Fürth zurückgekehrt und konnte vor zwei Jahren den Bundesliga-Wiederaufstieg feiern – auf den der FC St. Pauli seit zwölf Jahren wartet.