Hamburg. Küster vom FC St. Pauli, Deutschlands beste Blindenfußballerin und Hamburgs weibliches Sporttalent 2022, bangt um ihren WM-Start.
Fußball-Weltmeisterschaft! Das ist das Größte, was man als aktiver Kicker erreichen kann. Daran teilzunehmen ist der Traum fast jeden Sportlers, der mit den Füßen gegen einen Ball tritt. Da macht es auch keinen Unterschied, ob man hoch bezahlter Profi ist und jetzt in Katar sein Land vertritt oder ob der Ball klingelt und man Blindenfußball spielt. „Natürlich möchte ich da gerne spielen“, sagt also Thoya Küster, „aber ob das geht, ist noch nicht so ganz klar.“
FC St. Pauli: Blindenfußball für Frauen gibt es noch nicht lange
Vom 18. bis 27. August 2023 finden in Birmingham (England) die Weltspiele der Blindensportler statt. Fußball ist ein Teil des Programms. Bei der WM der Männer geht es um Qualifikationsplätze für die Paralympischen Spiele 2024 in Paris. Für die Frauen geht es „nur“ um die Ehre. Blindenfußball der Frauen ist ziemlich neu – und deshalb nicht paralympisch.
Das hat Konsequenzen: „Der Deutsche Behindertensportverband DBS und die Sepp-Herberger-Stiftung des DFB haben unsere Anträge auf finanzielle Förderung der WM-Teilnahme abgelehnt“, sagt Wolf Schmidt, der Erfolgscoach des deutschen Meisters FC St. Pauli, der auch die deutschen Frauen trainiert, „es soll sich voll auf die Männer konzentriert werden.“ Der DBS erklärt dazu, das Budget sei begrenzt, „es müssen Prioritäten gesetzt werden, sodass nicht alle berechtigten Interessen und Vorstellungen bedient werden können. Dies trifft leider auch den Blindenfußball der Frauen.“
Mit rund 45.000 Euro Kosten für Mannschaft und Betreuer rechnet Schmidt für das Abenteuer Birmingham. Möglicherweise müssen die Spielerinnen und ihre Angehörigen selbst in die Tasche greifen. Oder man lässt es.
„Ich habe jahrelang immer nur gegen Männer gespielt"
Das wäre ein bitterer Rückschlag für Thoya Küster nach einem unglaublichen Jahr 2022, in dem sie so viel erreicht hat, für sich, ihre Mannschaften, aber auch für ihren Sport überhaupt. Die Schülerin aus Winterhude ist zu einer Pionierin im Blindenfußball für Frauen geworden. Anfang Oktober ist Thoya sogar als Hamburgs „weibliches Sporttalent 2022“ ausgezeichnet worden. „Ich konnte es gar nicht glauben“, sagt sie, „das ist nicht nur eine große Ehre für mich, sondern auch super für die Aufmerksamkeit für meine Sportart.“
Erst im Januar dieses Jahres hatte der FC St. Pauli eine Frauenmannschaft gegründet. Mit der ebenfalls neuen deutschen Nationalmannschaft gewann Thoya Küster im Juni in Italien die erstmals ausgetragene Europameisterschaft. Bei den beiden 4:0-Siegen gegen England erzielte sie alle Tore. Die 16 Jahre alte Hamburgerin ist Messi und Ronaldo zugleich im Blindenfußball der Frauen.
Da ist es kein Wunder, dass sie als einzige Frau einen Stammplatz im Bundesligateam hat. Die Liga ist zwar für alle Geschlechter offen, wird aber von Männern dominiert. Thoya wurde mit St. Pauli deutscher Meister 2021 und 2022. „Ich habe jahrelang immer nur gegen Männer gespielt, dieses Jahr endlich auch gegen Frauen. Das war richtig toll“, sagt sie.
Thoya Küster hat schon früh den Fußball für sich entdeckt
Mit neun Jahren hat sie mit dem Sport angefangen. Ihre Augen sind extrem lichtempfindlich, sie ist farbenblind und hat nur noch zehn Prozent Sehstärke. Da ist es nicht so einfach, einen passenden Sport zu finden. Sie ist aber auch großer Fan der Zweitligakicker vom Millerntor, insbesondere des ehemaligen Kapitäns Jan-Philipp Kalla, dessen Rückennummer 27 sie trägt. Und weil die Blindenfußballer des Vereins in unmittelbarer Nähe ihres Elternhauses trainieren, ist sie schon als Neunjährige einfach mal dahin gegangen – „und dann bin ich geblieben“.
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„Sie hat dadurch den Sport sehr früh gelernt, war schon im goldenen Lernalter von etwa zehn Jahren dabei“, sagt Wolf Schmidt, der der Macher hinter den Erfolgen der Kiezkicker mit dem Klingelball ist, „Thoya hat dadurch sicherlich einen Vorteil gegenüber Spielerinnen, die erst später angefangen haben. Sie hat eine sehr gute Ballbehandlung und einen ersten Kontakt, der besser ist als bei vielen männlichen Spielern“, sagt der Trainer: „Sie ist deshalb anderen im Frauenteam um Längen voraus.“ Unterfordert fühlt sie sich deshalb bei den Frauen aber nicht.
FC St. Pauli: Küster will Vorbild für andere Frauen sein
„Die Fortschritte der anderen Spielerinnen sind enorm“, sagt sie. Es macht ihr in beiden Teams gleichermaßen Spaß. Physisch, mit vielen Zweikämpfen, gehe es überall gleich zu, „da merke ich keinen Unterschied“. In den Frauenteams ist sie natürlich klar die Führungsspielerin. Eine Rolle, die sie gerne annimmt. „Als sie zu uns kam, war sie eher schüchtern und zurückhaltend“, erinnert sich Schmidt, „inzwischen ist eine selbstbewusste junge Frau aus ihr geworden.“
Thoya Küster hofft, dass ihr Vorbild auch andere junge Frauen dazu bringt, Blindenfußball für sich zu entdecken. Viele Frauen mit Sehbeeinträchtigung wissen noch gar nicht, dass es den Sport gibt. Oder hätten Hemmungen, weil er überwiegend von Männern gespielt wird. „Ich würde es toll finden, wenn in Deutschland auch in vielen anderen Städten Frauenteams gegründet werden“, sagt sie. Das Potenzial dafür hält Trainer Schmidt für „riesig“. Der nächste Schritt für den Sport könnte bei der WM gemacht werden. Es braucht schließlich Vorbilder – es braucht aber auch ausreichend Förderung.