Hamburg. Beim Abschiedsspiel von St. Paulis Urgestein Jan-Philipp Kalla am Millerntor „weinte der Himmel“. Dabei gab es Anlass zur Freude.
Am Ende konnte nicht einmal das Wetter Jan-Philipp Kalla und seinen vielen Weggefährten, die zu seinem Abschiedsspiel ins Millerntor-Stadion gekommen waren, die Laune verderben. Dabei goss es wie aus Eimern, als die letzten Spielminuten über die Bühne gingen und sich danach die Spieler beider Teams – hübsch Hand in Hand – die Ovationen der 10.367 Zuschauenden abholten, ehe sie komplett durchnässt in die Kabine und die warmen Duschen eilen durften.
„Das Hamburger Wetter gehört eben dazu. Man könnte ja sagen, dass der Himmel weint, weil ich nicht mehr spiele“, scherzte Kalla, der allen Grund hatte, zufrieden auf den Sonnabendnachmittag in seiner langjährigen sportlichen Heimat zu blicken. 17 Jahre lang hatte er bis zum Sommer 2020 für den FC St. Pauli gespielt.
„Ich freue mich tierisch, dass die Vorbereitungszeit vorbei ist, das ganze Event so wie erhofft stattgefunden hat und so viele Leute hierher gekommen sind“, sagte er, nachdem er das Spielfeld verlassen hatte. „Ich freue mich aber auch für die Spieler, die bisher noch keinen Abschied bekommen hatten“, betonte er weiter.
Sieben Ex-Profis des FC St. Pauli verabschiedet
Damit sprach er an, dass im Rahmenprogramm auch Robin Himmelmann, Marvin Knoll, Johannes Flum, Henk Veerman, Korbinian Müller, Tore Reginiussen und Marc Hornschuh offiziell verabschiedet wurden, nachdem eine zeitnähere Zeremonie vor Zuschauern vor allem von der Corona-Pandemie verhindert worden war.
„Es ist überragend, dass für so einen Kick mehr als 10.000 Leute gekommen sind“, sagte „Schnecke“ Kalla weiter, der dem Kiezclub als Trainer der Frauen-Regionalligamannschaft und als Botschafter der bundesweiten „Rabauken“-Fußballcamps auch künftig erhalten bleibt.
Dass es in den 90 Minuten auf dem Rasen ein paar Kabinettstückchen und hübsche Kombinationen zu sehen gab, hier und da ein Bäuchlein das Trikot spannen ließ und inflationär viele Tore – exakt 16 – fielen, all das gehört zu einem Spiel dieser Art dazu.
Kalla verzichtete auf Wechsel-Option
Mit 10:6 gewann dann auch die „richtige“ Mannschaft, nämlich das in weiß gekleidete „Team Alt“, in das sich Jan-Philipp Kalla von Beginn an selbst einsortiert hatte. Von der Option, zwischendurch auch ins „Team Jung“ zu wechseln, um zum Siegerteam zu gehören, konnte er absehen. „Es stand ja nie zur Debatte, dass das Team Alt nicht gewinnen könnte.“ Dabei hatte es zur Pause nur 4:4 gestanden.
Dazu hatte auch Kallas 13 Jahre alter Sohn Leo schon mit einem Treffer beigetragen. Der ganz große Auftritt des Juniors aber sollte im zweiten Abschnitt noch folgen, als er weitere vier Tore erzielte. „Wir werden heute Abend Redebedarf darüber haben, wer hier wem ein bisschen die Show gestohlen hat“, frotzelte Kalla. „Nein, er hat das schon gut gemacht.
Fünf Tore: Lob für Kallas Sohn Leo
Ich freue mich auch, dass er hier einmal die Bühne bekommen hat, dass er zeigen konnte, was er drauf hat, und wir einmal zusammen auf dem Platz stehen konnten. Wer weiß, wann das in so einem Rahmen noch einmal möglich sein wird. Ich finde, das hat ganz gut hineingepasst“, sagte der stolze Vater.
Noch spielt Leo für den Amateurclub USC Paloma und in der Hamburger Auswahl. Doch, wer weiß, vielleicht wird es in ein paar Jahren ja auch wieder ein Mitglied der Familie Kalla in Punktspielen auf dem Rasen des Millerntor-Stadions zu sehen geben. Die Ansätze sind jedenfalls vorhanden. „Ich hätte nicht gedacht, dass er so stark am Ball ist. Gut, dass er da wenig vom Papa mitbekommen hat“, sagte schmunzelnd Verteidiger Ralph Gunesch (39), der von 2003 bis 2006 bei St. Pauli gespielt und das Profidebüt Kallas miterlebt hatte.
Sohnemann Leo profitierte bei seinen Offensivaktionen vor allem von Ex-Nationalspieler Max Kruse (35) und dessen immer noch genialen Pässen. „Neben Max kannst du auch nur gut aussehen“, sagte Gunesch. „Ich glaube, wir haben den legitimen Nachfolger für ,Ebbe’ gefunden“, sagte er weiter mit Blick auf Ex-Torjäger Marius Ebbers (45), der mit einem Fallrückzieherversuch seine spektakulärste Szene hatte, aber torlos blieb.
Viel Applaus für Blindenfußballer Celebi
Großen Jubel erntete auch Serdal Celebi (38) als Vertreter der erfolgreichen Blindenfußballer des FC St. Pauli. Für seinen Auftritt kurz vor der Pause kam der in dieser Sportart übliche Ball mit eingebauter Glocke ins Spiel, die Fans auf den Rängen kamen der Bitte nach Ruhe nach. Erst traf Celebi fulminant die Latte – und bei der nächsten Chance zum 4:4-Halbzeitstand.
Zu den amüsanten Geschichten des Abschiedsspiels gehörte auch, dass Ewald Lienen erst eine Viertelstunde nach Spielbeginn auf seinem Platz am Spielfeldrand eintraf, nachdem er vom Verkehrschaos im Süden Hamburgs – wegen Bauarbeiten gesperrter Elbtunnel und von Klimaaktivisten blockierte Elbbrücken – ausgebremst worden war.
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In seiner Not hatte der Trainer sein Auto in Harburg geparkt und war mit S- und U-Bahn nach St. Paulin gefahren. „Als ich hier ankam, habe ich nur gesagt: ,Sprecht mich nicht an’. In der Halbzeit hatte jeder Spieler einen blöden Spruch für mich“, erzählte der 69-Jährige.
Steigt St. Pauli auf? Lienen lobt Hürzeler
Einer Prognose, ob die aktuelle Zweitligamannschaft des FC St. Pauli nach acht Siegen in Folge noch in dieser Saison zu einem echten Aufstiegsanwärter werden kann, wich er, der das Team von Dezember 2014 bis Mai 2017 trainiert hatte, wortreich aus.
Immerhin rang er sich zu der Aussage durch: „Oke (Präsident Göttlich, die Red.) ist dabei, den erfolgreichsten Trainerwechsel der Vereinsgeschichte anzustreben. Wenn das nicht jetzt schon der Fall ist.“ Entscheidend sei, dass das Team unter Fabian Hürzeler jetzt „als Kollektiv verteidigt.“ Doch dies war am Tag, an dem es um Erinnerungen von und mit „Schnecke“ Kalla ging, nur Nebensache.