Hamburg. Am Sonnabend gastieren die Franken im Millerntor-Stadion. Was die beiden Clubs in dieser Saison verbindet.
Benno Möhlmann müsste eigentlich gestresst sein. Als Präsident des Bunds Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL) hat er den internationalen Trainerkongress im Juli in seiner Heimatstadt Bremen zu organisieren. An diesem Wochenende trifft sich der BDFL-Bundesvorstand dazu in der Hansestadt, DFB-Präsident Bernd Neuendorf ist zu Gast, die nächste Videokonferenz nur Minuten entfernt, als das Abendblatt den 68-Jährigen erreicht. Und der? Erkundigt sich seelenruhig nach dem Wetter: „Schneit’s in Hamburg auch?“
Es muss die Gelassenheit des Ruhestands sein, denn auch über die Trainerkarriere Möhlmanns, die 1992 beim HSV begann, ist mittlerweile Schnee gerieselt. Bis 2017 arbeitete der gebürtige Lohner noch für den SC Preußen Münster im Profibereich, bis vor drei Jahren im Nachwuchsleistungszentrum von Greuther Fürth. Seitdem haben sich seine Prioritäten verschoben, außer für den BDFL ist Möhlmann als Ehrenpräsident der Vereinigung der Vertragsfußballspieler aktiv.
FC St. Pauli tauschte seinen Trainer mit Erfolg aus
Dass das Trainerleben häufig allerdings eher einem Schneesturm denn einem entspannten Schneespaziergang gleicht, weiß auch kaum jemand besser als der Bremer. Mit 520 Spielen ist er Rekordtrainer der Zweiten Liga, neun Entlassungen und acht Jobübernahmen während der Saison inklusive. Wenn jemand aus Erfahrung vom Effekt eines Trainerwechsels sprechen kann, dann ja wohl er.
Sein Ex-Club Fürth, bei dem Möhlmann insgesamt viermal in unterschiedlicher Funktion beschäftigt war, hat’s in dieser Saison schon getan, der FC St. Pauli, bei dem die Franken an diesem Sonnabend (13 Uhr/Sky) im Millerntor-Stadion gastieren, ebenfalls. Und wie. Dass die Wechsel bei beiden Vereinen etwas bewirkt haben, ist offenkundig. Über die Serie von Fabian Hürzeler (30), der sich seit 23. Dezember als Nachfolger von Timo Schultz (45) offiziell Cheftrainer nennen darf und seitdem sämtliche sechs Pflichtspiele gewonnen hat, ist alles gesagt.
Alexander Zorniger (55), der exakt zwei Monate zuvor als neuer Mann an der Seitenlinie der damals letztplatzierten „Kleeblätter“ auf Marc Schneider (42) folgte, hat die Spielvereinigung mit fünf Siegen aus zehn Begegnungen binnen kürzester Zeit fast aus jeglicher Abstiegsgefahr befreit. „Seine Handschrift ist deutlich erkennbar“, sagt Hürzeler anerkennend über den erfahrenen Kollegen, der auf eigenem Platz auffällig häufiger erfolgreich ist als in der Fremde. In Fürth gab es vier Siege und ein Unentschieden, auswärts nur einen Erfolg, ein Remis und drei Niederlagen.
„Beide Trainer haben es von Anfang an geschafft, ihre Mannschaften zu stabilisieren"
„Beide Trainer haben es von Anfang an geschafft, ihre Mannschaften zu stabilisieren, Ordnung und Balance im Team anzupassen“, sagt Möhlmann und sieht vor allem im dritten Satzteil den Baustein für einen spürbaren Trainereffekt. „Es geht gar nicht darum, alles auf den Kopf zu stellen. Es genügt häufig, ein paar spezielle, neue Details zu implementieren, um schnell etwas zu bewegen.“ Der Grund hierfür: „Die Sinne der Spieler sind nach so einem einschneidenden Erlebnis wie einem Trainerwechsel geschärft, zumal sie meist selbst unzufrieden mit ihrer vorherigen Leistung sind. Wenn die ersten Spiele unter neuer Leitung dann von Erfolg begleitet werden, hat der neue Trainer die Mannschaft meist schon gewonnen“, sagt Möhlmann.
Die konventionelle Weisheit des Geschäfts gibt ihm recht. Die Belege von Hürzeler und Zorniger ebenfalls. Die Wissenschaft? Zeichnet ein anderes Bild. Zu Trainerwechseln wurden vor allem in der vergangenen Dekade mehrere Studien durchgeführt. Deren nahezu einhelliger Tenor: bringt alles nix. Vor allem drei Details traten bei den Auswertungen zutage.
Die mittlere Tordifferenz rutschte messbar nach unten
Demnach sind die Resultate von Mannschaften, deren Übungsleiter während der Saison einen Termin bei der Arbeitsagentur vereinbaren müssen, häufig schlechter, als es angesichts der Statistiken zu erwarten war. Bestes Beispiel hierfür ist der FC St. Pauli der Hinrunde, der unter Schultz regelmäßig die überlegene Mannschaft war, dem das Matchglück aber erst unter Hürzeler hold wurde. Zudem laufen vor allem die letzten beiden Partien vor der Entlassung besonders schlecht, die mittlere Tordifferenz rutscht messbar nach unten. Zwei Tropfen, die den ohnehin geschundenen Stein aushöhlen.
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Zuletzt: Nach dem Wechsel erhöht sich diese mittlere Tordifferenz wieder – was allerdings auch bei Clubs auftritt, die die Notbremse nicht ziehen. Die klassische Regression zur Mitte.
Nicht von der Hand zu weisen sind allerdings Effekte, die Möhlmann ungern mit dem Wort Abnutzung, sondern eher als „nicht mehr hundertprozentige Wachheit“ beschreibt. „Die treten beispielsweise dann ein, wenn ich als Trainer Jungs, die unter mir eigentlich immer gut gespielt haben, ein paar schlechte Spiele verzeihe, anstatt nach den Ursachen zu forschen, und sie wieder aufstelle. Neue Trainer reagieren schneller“, sagt Möhlmann, zu dessen größeren Erfolgen neben dem Bundesligaaufstieg 2002 mit Arminia Bielefeld auch der Gewinn des unvergessenen DFB-Hallenmasters 2000 mit, natürlich, Fürth zählt.
"Jede Serie endet irgendwann"
Ein bedeutsamer Unterschied, der auch bei St. Pauli und der Spielvereinigung Greuther Fürth auftritt, ist es, ob der Co-Trainer die Hauptrolle übernimmt oder diese extern besetzt wird. Der Kiezclub entschied sich für die interne Lösung, der Bundesligaabsteiger für die namhafte und vermutlich weniger riskante. Möhlmann, der sein erstes Cheftraineramt beim HSV auch als vorheriger Assistent antrat, hält kein Modell für besser als das andere. „Der Vorteil des Co-Trainers ist, dass die Eingewöhnungszeit entfällt, er muss aber auch schnell eigene Akzente setzen“, sagt der 255-fache Bundesligaspieler.
Dann muss er aber wirklich in die Videokonferenz. Nicht, ohne vorher noch eine Prognose zu wagen: „Jede Serie endet irgendwann.“ Ob Möhlmann damit die von Hürzeler meint, lässt er offen. Sicher ist aber schon jetzt: Der Trainer des FC St. Pauli wird morgen im Regen stehen.
FC St. Pauli: Vasilj – Medic, Smith, Mets – Saliakas, Irvine, Hartel, Paqarada – Metcalfe, Daschner, Afolayan.Greuther Fürth: Linde – Griesbeck, Haddadi, Jung – Meyerhöfer, Christiansen, Raschl, Itter – Ache, Hrgota, Sieb.