Hamburg. St. Paulis Innenverteidiger quält das lange Warten auf die Genesung. Einen Fehler will er auf keinen Fall wiederholen.

Es heißt ja, dass in Vor- und Nachgesprächen von Interviews das eigentlich Interessante erzählt wird. Just, als die Aufnahme des „Millerntalks“, des Abendblatt-Podcasts über den FC St. Pauli, beendet ist, sagt David Nemeth, was kein Österreicher je sagen würde: „Ich hasse Skifahren, ich hasse es einfach.“ Schon als es mit der Familie früher in die Alpen ging, blieb Klein David im Hotel, während die übrigen Nemeths auf die Piste gingen. Geändert hat sich daran auch als erwachsener Innenverteidiger nichts.

Und obwohl sich der 21-Jährige kein Beispiel an Nationaltorhüter Manuel Neuer, der sich bei einem Skiausflug das Bein gebrochen hat, genommen hat, bewahrte ihn dies nicht vor einem Schicksal, dass er mindestens genauso hasst wie das Skifahren. Seit dem 8. Oktober 2022, genauer gesagt der elften Minute des Gastspiels der Kiezkicker bei Eintracht Braunschweig, geht bei Nemeth: nichts mehr. Schambeinentzündung.

„Ich wusste sofort, dass das jetzt lang dauern wird, war schon auf dem Weg zur Ersatzbank ex­trem zerstört“, erinnert sich Nemeth. Sein harter Weg zurück ist ein besonders harter, weil es nur äußerst mühselig vorwärtsgeht. Die Ausfalldauer bei dieser Verletzung kann zwischen wenigen Wochen und fast einem Jahr variieren, Therapiemöglichkeiten sind begrenzt. Abwarten und Bergkräutertee trinken.

Skifahren, Schambein, Sitzfleisch – eine quälende Trilogie

Skifahren, Schambein, Sitzfleisch – eine quälende Trilogie für den Defensivakteur. „Mittlerweile nervt es mich einfach nur noch. Ich habe leider keine Ahnung, wann ich wieder einsatzbereit bin. Wir gehen es Tag für Tag an“, sagt er. Immerhin kann Nemeth inzwischen wieder am Ball trainieren und die Laufbelastung steigern. „Das nährt die Hoffnung, bald wieder voll auf dem Platz zu stehen.“

Bis es wirklich so weit ist, schuftet der Burgenländer aus der kleinen Landeshauptstadt Eisenstadt nahezu täglich. „Mindestens eine Einheit, Behandlung, in den Kraftraum. Es vergehen meist vier, fünf Stunden, ehe ich das Trainingszentrum wieder verlasse“, sagt Nemeth, der weiter engen Kontakt zum Team hält, auch beim Wintertrainingslager im spanischen Benidorm dabei war.

Das Unterstützungssystem aus dem Club und von Freunden genügen dem 1,91-Meter-Mann, um mental stabil zu bleiben. „Mit meinem Muskelfaserriss im Sommer bin ich viel schlechter umgegangen, weil es meine erste größere Verletzung war. Nun war es etwas anders, da ich durch Kollegen wusste, dass ich mir wirklich Zeit lassen muss, damit es nicht chronisch wird. Aber ich bin motiviert, etwas daraus mitzunehmen“, sagt Nemeth.

Nemeth ist ein stolzer Burgenländer

Mit nach Hamburg genommen hat er seine Freundin. Die beiden bewohnen ein Apartment in der HafenCity mit Blick auf die Elbe, fühlen sich sehr wohl. Da dem ehemaligen Juniorennationalspieler die Klischeeantwort „Millerntor“ beim „Millerntalk“ nicht als Lieblingsort durchgehen gelassen wird, nennt er alternativ die Sternschanze. Allerdings wegen der Atmosphäre und nicht etwa, weil dort das Bistro Vienna gelegen ist.

Was einerseits daran liegt, dass sich Nemeth der Existenz des kleinen österreichischen Lokals bis dato nicht bewusst war, andererseits, weil er sowieso „kein Wien-Fan“ ist. Für den Familienmenschen geht nichts über die Heimat im Burgenland, deren Dialekt seine Mitspieler in Hamburg „bewusst nicht verstehen wollen, damit ich den Satz wiederhole, und dann finden sie es witzig“.

Doch das Hochdeutsche mag Nemeth ohnehin nicht perfektionieren, er ist ein stolzer Burgenländer. Aufgewachsen in Sankt Georgen am Leithagebirge, jeweils rund 20 Kilometer von der ungarischen und slowakischen Grenze entfernt, „dort, „wo es sehr viel Natur gibt, alles sehr familiär ist. Man kennt jeden und ist gefühlt mit jedem verwandt. Das ist echt schön und immer wieder ein gutes Gefühl, nach Hause zu kommen.“

Nemeth wird erneut nur der Platz auf der Bank bleiben

Dorthin, wo er als Kind und Jugendlicher allenfalls als durchschnittlicher Fußballer glänzte, jenseits der Talentauswahlen. „Das hat mir, glaube ich, gutgetan. Ich bin so erst später ganz unbeschwert in eine tragendere Rolle hineingewachsen“, sagt Nemeth. Dann ging alles doch ganz schnell. Meister der Burgenlandliga mit dem SV Mattersburg, Insolvenz seines Stammvereins, Wechsel zum FSV Mainz 05 und Leihe an Sturm Graz. Nun endlich: Wieder etwas (oder zu viel) Ruhe und Perspektive, mindestens die kommende Saison beim FC St. Pauli zu verbringen. In fittem Zustand ist Nemeth als Stammkraft in der Innenverteidigung gesetzt. Acht Zweitligaeinsätze zur bis zur vermaledeiten Verletzung genügten, um das jedem internen wie externen Beobachter klarzumachen.

An diesem Sonntag, wenn St. Pauli Hannover 96 empfängt, lässt sich diese Einprägung wie an zu vielen Sonntagen der vergangenen Monate wieder nicht bestätigen. Nemeth wird erneut nur der Platz auf der Bank bleiben, von wo aus er stiller Beobachter ist. „Ich bin nicht so der emotionale Zuschauer“, sagt Nemeth, der den Eindruck erweckt, ohnehin nie emotional zu werden. „Vielleicht rufe ich dem Schiedsrichter mal zu, dass er mal reinpfeifen oder Elfmeter für uns geben soll“, merkt Nemeth noch an. Ein interessantes Nachspiel dürfte das nicht haben.