Hamburg. Die Zweitliga-Fußballer sind am Sonnabend in Düsseldorf zu Gast. Peter Neururer sieht die „klare Handschrift“ des Trainers.
Peter Neururer muss zunächst kurz überlegen. Ob er denn morgen für ein Telefongespräch über den FC St. Pauli und Fortuna Düsseldorf, wo er 1999 kurzzeitig als Trainer angestellt war, zur Verfügung stehe? „Morgen? Welchen Tag haben wir denn morgen?“ Am Freitagmorgen wiederum stand der 67-Jährige nicht nur zur Verfügung, er musste auch nicht mehr lange überlegen, was er über die beiden Clubs, die an diesem Sonnabend (13 Uhr/Sky) in der Düsseldorfer Merkur Spiel-Arena aufeinandertreffen, zu sagen hatte.
Gespräche mit Neururer sind simpel. Sie führen sich praktisch von allein, haben fußballerischen Tiefgang und benötigen häufig nur ein Stichwort, um den langjährigen Coach, der inzwischen unter anderem als Experte für den Fernsehsender Sport 1 arbeitet, Fahrt aufnehmen zu lassen. „Expected Points“ ist beispielsweise so ein Schlagwort. Nach der angesichts der abgegebenen Torschüsse und deren Qualität errechneten Tabelle steigt am Rhein nämlich das absolute Spitzenspiel zwischen dem Vierten und Zweiten der Zweiten Liga.
FC St. Pauli: "Expected Goals auch der größte Schwachsinn"
Die harte Realität sieht anders aus. Der Sechste, immer noch gut, empfängt den Dreizehnten, gar nicht mehr gut. „Deshalb sind Expected Goals auch der größte Schwachsinn. Das Gleiche mit der Laufleistung, die ist überhaupt nicht aussagekräftig. Sie sagt nichts darüber, wie oft die Spieler vergeblich gelaufen sind und ob der Gegner sie einfach nur hat laufen lassen“, sagt Neururer. Sicher, St. Pauli sei außerordentlich spielstark, sehr gut organisiert, lauffreudig und „ein Genuss beim Zusehen“. Alle Zahlen können allerdings noch so schön sein, sie nützen wenig, solange es vorne an der Durchschlagskraft mangele.
Es ist alles andere als eine neue Erkenntnis, dass den Kiezkickern ein Torjäger fehlt. Interessant ist allerdings, welchen Blickwinkel Neururer, der sich vor allem als Retter kriselnder Mannschaften über mehr als drei Dekaden hinweg einen Namen gemacht hat, auf die beinahe eine komplette Hinrunde andauernde Ergebniskrise der Braun-Weißen wählt: „Ich kenne die Situation sehr gut aus meiner Karriere. Mannschaften, die eigentlich spielerisch klar favorisiert, aber plötzlich da unten drin sind, gehen mit einer Habachtstellung ins Spiel. Dann geht häufig die Balance zwischen Aktion und Reaktion verloren. Wo attackiere ich? Wie positioniere ich mich?“
Balance scheint dem FC St. Pauli abhandengekommen zu sein
Diese Balance scheint bei St. Pauli abhandengekommen zu sein. Immer Attacke, immer sofort in die Initiative, nicht erst morgen – was für ein Tag dann auch immer ist. „Im Millerntor-Stadion verstehe ich das, in diesem Stadion geht das einfach nicht anders. Aber auswärts wäre es mitunter ratsam, sich ein wenig mehr hinten reinzustellen“, sagt Neururer. Vor allem gegen Düsseldorf, das seine kurze Schwächephase mit zwei Siegen in Serie überwunden hat, könne dies eine probate Strategie sein. „Die Fortuna ist keine Mannschaft, die unbedingt selbst gern und gut das Spiel macht“, sagt der gebürtige Westfale.
Die Stärken des zweikampfstarken Teams von Ex-HSV-Trainer Daniel Thioune sind definitiv in der Verteidigung zu suchen. Kaum eine Mannschaft schafft es besser, gegnerische Torschüsse zu verhindern. Allerdings: Die Leistungen der Offensivkräfte stehen denen der Defensiveinheit kaum in etwas nach. Und im Gegensatz zu St. Pauli hat Düsseldorf in Person von Dawid Kownacki einen Torjäger, der diese Saison schon sechsmal selbst erfolgreich war und dazu fünf Vorlagen gegeben hat.
"Mit dem Abstieg dürfte St. Pauli nichts zu tun haben"
Sturmpartner Shinta Appelkamp ist ebenso ein Gefahrenherd. „Sie sind taktisch sehr flexibel, haben Spieler, die sowohl über die Außen mit Tempo im Eins-gegen-eins spielen können als auch gute Zocker im Mittelfeld sind, sodass sie das Zentrum überladen können“, sagt St. Paulis Trainer Timo Schultz.
Den 45-Jährigen nimmt Neururer übrigens explizit aus der Schusslinie: „Soweit ich das von außerhalb beurteilen kann, macht er taktisch und systematisch keine gravierenden Fehler. Stattdessen ist eine tolle Handschrift von ihm erkennbar, richtig klasse.“ Richtig daneben scheint Neururer hingegen bislang mit seinem Tipp zu liegen, als er St. Pauli vor der Saison als einen der Aufstiegskandidaten eingeordnet hatte. „Die Qualität in der Mannschaft ist auf jeden Fall besser als der Tabellenplatz, auf dem sie steht. Mit dem Abstieg dürfte St. Pauli nichts zu tun haben. Aber die ganz großen Ziele müssen zumindest für diese Saison heruntergeschraubt werden, leider“, sagt Neururer.
Terodde „würde viele Probleme lösen“
Ein Simon Terodde (34/FC Schalke 04), sinniert er dann, „der würde viele Probleme lösen“. Doch eine Verpflichtung des besten Zweitligatorschützen der Geschichte gilt als ausgeschlossen und sowieso irrelevant im Vorwege der Begegnung in Düsseldorf.
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Dort ist zu erwarten, dass die Gäste abermals mit einer Fünferkette beginnen werden. Diese Variante ist nicht nur vom verfügbaren Personal her die sinnvollste Option, sondern sorgte seit ihrer Einführung auch für eine deutliche Stabilisierung der Defensive. Neururer erwartet ein Duell auf Augenhöhe, in dem die Hamburger die große Chance hätten, der Geschichte endlich einen positiven Verlauf geben zu können.
FC St. Pauli muss gewinnen, um etwas zu verändern
Die jahrzehntelange Erfahrung als „Feuerwehrmann“ von tabellarischen Kellerkindern habe ihn nämlich eines ganz besonders gelehrt: Die Motivationsideen und taktischen Veränderungen können noch so ausgefeilt sein, „um wirklich etwas zu verändern, muss man, so primitiv es klingt, auch einfach mal gewinnen“. Damit fängt der FC St. Pauli besser nicht erst morgen an, sondern an diesem Sonnabend in Düsseldorf.
Fortuna Düsseldorf: Kastenmeier – M. Zimmermann, Oberdorf, Klarer, Karbownik – Bodzek – Klaus, Hendrix, Peterson – Kownacki, Hennings.FC St. Pauli: Vasilj – Saliakas, Dzwigala, Smith, Fazliji, Paqarada – Aremu – Irvine, Hartel – Daschner, Amenyido.