Hamburg. Franziska Altenrath und Bernd von Geldern sprechen über die Maßnahmen des Kiezclubs. Dazu gehört auch, den Rasen schlafen zu legen.

Energiesparen, Umweltschutz, Müllvermeidung – das sind nur drei Stichworte, die unter dem großen Begriff Nachhaltigkeit einzuordnen sind. Dass hier der Profifußball ein Vorreiter sein könnte, scheint auf den ersten Blick widersinnig.

Wenn Zehntausende mit ihren Privatautos zum Stadion fahren, dort aus Plastikbechern Bier trinken und sie danach auf den Boden werfen, die Flutlichter schon mittags um 13 Uhr für ein noch besseres TV-Bild strahlen, die Auswärtsmannschaft per Charterflieger angereist ist, dann aber doch mit dem eigenen Teambus, der vorher leer quer durch das Land gelenkt wurde, am Stadion vorfährt, und schließlich auf einem Rasen gespielt wird, der durch eine unterirdische Heizung und eine künstliche Belichtung im Dauerbetrieb zum stetigen Wachstum animiert wird, dann hat dies alles mit Nachhaltigkeit so rein gar nichts zu tun.

FC St. Pauli nimmt das Thema Nachhaltigkeit ernst

„Dieses Thema ist groß und wird auch im nächsten Jahrzehnt das prägende Thema sein. Wir können und wollen uns als mitgliedergeführter Verein dem nicht entziehen“, sagte jetzt Bernd von Geldern, der Geschäftsleiter Wirtschaft des FC St. Pauli, im Abendblatt-Podcast Millerntalk. „Wir nehmen das Thema richtig ernst.“ Um dies zu untermauern, hat der FC St. Pauli in der 32 Jahre alten Franziska Altenrath eine Expertin auf diesem Gebiet angestellt und eigens für sie die Position als „Leitung Strategie, Veränderung & Nachhaltigkeit“ geschaffen. Fünf Personen umfasst ihr Team.

Ihren ersten öffentlichen Auftritt in dieser neuen Funktion hatte Franziska Altenrath jetzt im Podcast Millerntalk – und vermittelte von Anfang den Eindruck, sehr genau zu wissen, über was sie spricht. Bisher war sie selbstständig als Unternehmerin in diesem Bereich tätig und beriet Firmen aus der Mode- und Immobilienbranche, der Autoindustrie und zuletzt vor allem im Tourismusbereich zum Thema Nachhaltigkeit.

Totenkopf-Baumwollshirts auf Fairtrade umgestellt

Also alles ähnlich problematische Wirtschaftssparten wie der Profifußball. Auch den FC St. Pauli hatte sie schon rund zwei Jahre lang beraten. „Als sich die Chance dieser Position eröffnet hat, da habe ich eigentlich auch gar nicht wahnsinnig lange nachgedacht“, sagt sie. Schon vor Jahren hat der FC St. Pauli, auch angetrieben von einem Beschluss der Mitgliederversammlung, damit begonnen, Merchandisingartikel unter Nachhaltigkeitsaspekten herzustellen.

Als Erstes wurden die bekannten Totenkopf-Baumwollshirts auf Global Organic Tex­tile Standard (GOTS) und Fairtrade umgestellt. „Damit machen wir 50 bis 60 Prozent. Am nachhaltigsten wäre es gewesen, gar kein T-Shirt mehr zu verkaufen“, sagt von Geldern. „Dann aber wären wir kein nachhaltiger Arbeitgeber mehr.“ Personalabbau wäre in dem Fall die logische Konsequenz gewesen. „Wir versuchen also immer, die beste machbare Lösung zu finden“, sagt der 56-Jährige.

„Unser Kerngeschäft ist natürlich Profifußball"

So soll es auch künftig sein. „Unser Kerngeschäft ist natürlich Profifußball. Deshalb ist womöglich nicht alles, was richtig wäre, auch möglich. Es ist immer ein Spagat, den wir aber sehr ernst nehmen“, sagt von Geldern. Als Beispiel nennt er in diesem Zusammenhang auch die Reisen der Zweitligamannschaft zu ihren Auswärtsspielen. „Eine Anreise zum Beispiel nach Regensburg mit dem Zug mit zweimaligem Umsteigen ist ja heute schon eine Gefahr für sich. In den Zeiten von Corona ist nun einmal der Gesundheitsschutz der Mannschaft ein sehr wichtiger Aspekt. Daher chartern wir manchmal ein Flugzeug und kompensieren das dann. Das ist aber gewiss nicht unser Lieblings-Verkehrsmittel“, betont von Geldern.

Kurioserweise bietet die alles andere als nachhaltige Fußball-Weltmeisterschaft in Katar vom 20. November bis 18. Dezember und die daraus resultierende, überaus lange Punktspielpause dem FC St. Pauli die Chance, massiv Ressourcen einzusparen. Nach dem letzten Heimspiel dieses Kalenderjahres am 8. November gegen Holstein Kiel wird das Spielfeld erst einmal sich selbst überlassen.

Feld muss für erstes Heimspiel bereit sein

„Wir werden den Rasen sechs Wochen lang sozusagen schlafen legen“, sagt von Geldern. Konkret bedeutet dies, dass die Rasenheizung ausgestellt wird und es auch keine künstliche Belichtung mehr gibt. Damit wird man sich auch das regelmäßige Mähen erst einmal sparen können. „Das machen wir nicht nur, um ein Zeichen zu setzen, sondern weil wir auch glauben, dass das die richtige Maßnahme ist“, sagt er weiter.

Doch dann kommen auch wieder die Notwendigkeiten des Profifußballs ins Spiel. „Wir müssen auch früh genug wieder mit der Rasenpflege anfangen, damit das Feld bereit ist, wenn wir am 5. Fe­bruar das erste Heimspiel der Rückrunde haben.“ Dann kommt Hannover 96 ins Millerntor-Stadion.

Auch die Deutsche Fußball Liga thematisiert Nachhaltigkeit

Ebenso sinnvolle wie umfangreiche und finanziell anspruchsvolle Nachhaltigkeitsprojekte sind die Umstellung aller Lichtquellen auf LED sowie große Fotovoltaikanlagen auf den Dächern des Stadions. Allein aus Eigenmitteln sei dies allerdings nicht zu realisieren, macht von Geldern deutlich. „Aber ich glaube schon, dass wir dafür gute Partner finden werden. Wir sind da sehr hinterher und sprechen intensiv mit Lichtblick“, verrät er. Der Stromanbieter ist schon jetzt auf der höchsten Ebene unterhalb des Hauptsponsors Congstar beim FC St. Pauli als Wirtschaftspartner engagiert.

Positiv bewertet Franziska Altenrath derweil, dass inzwischen auch die Deutsche Fußball Liga (DFL) das Thema Nachhaltigkeit stärker als bisher in den Fokus genommen und zu einem Lizenzkriterium erhoben hat. Eine finanzielle Belohnung für ein besonders starkes Engagement in diesem Punkt, also etwa bei der Verteilung der TV-Gelder, sieht sie allerdings derzeit nicht als zielführend an.

Proficlubs können voneinander lernen

„Wer sollte das nach welchen Kriterien denn bewerten“, fragt sie und schlägt statt eines Konkurrenzkampfes unter den Clubs in Sachen Nachhaltigkeit vor, dass die DFL von sich aus mehr Service bietet. „Ich würde mir mehr wünschen, dass die DFL eine Beratungsleistung für alle Clubs zur Verfügung stellt.“ Auch eine Beratung, wie man für welche Maßnahmen Fördergelder erhalten kann, sei eine Aufgabe, die die DFL übernehmen könne.

Ebenso wichtig sei es aber auch, dass sich die Proficlubs untereinander austauschen und in Sachen Nachhaltigkeit voneinander lernen oder sich gegenseitig coachen. „Dieser Austausch findet auch schon statt und wird sich sicherlich noch intensivieren in den nächsten Monaten, eben auch auf Grundlage des Engagements der DFL“, ist sie überzeugt.

FC St. Pauli: „Nachhaltigkeit ist keine Show"

„Nachhaltigkeit ist keine Show und auch nicht der Versuch, möglichst schnell irgendwelche Schlagzeilen zu generieren“, stellt Franziska Altenrath abschließend klar. „Vielmehr versuchen wir, uns ernsthaft mit den Themen zu beschäftigen, ganz klare Ziele zu formulieren und dann eben auch die notwendigen Schritte dahin zu gehen.“ Zu tun gibt es jedenfalls genug – beim FC St. Pauli, im Profifußball und für jeden Einzelnen im Alltag.