Hamburg. Der aussortierte Christian Spreckels widerspricht Bornemann. Unklare Spielerzukunft sei Hauptgrund für verpassten Aufstieg.
Offiziell bekannt gegeben hat es der FC St. Pauli bis heute nicht, dass Sportpsychologe Christian Spreckels schon mit dem Ende der vergangenen Saison nicht mehr Teil des offiziellen Betreuerstabs des Zweitligateams ist. Erst als das Abendblatt in der vorvergangenen Woche bei Sportchef Andreas Bornemann (50) nachfragte, bestätigte dieser, dass die Zusammenarbeit mit Spreckels in der Sommerpause zwar nicht ganz beendet, aber doch deutlich reduziert wurde.
Konkret hält sich der 57-Jährige seit Saisonbeginn nicht mehr im Kreise der Mannschaft auf, beobachtet nicht mehr einmal wöchentlich das Training und gehört somit auch nicht mehr zum offiziellen Funktionsteam. Das äußerte sich auch darin, dass er nicht mehr auf dem offiziellen Mannschaftsfoto zu sehen ist – im Gegensatz zur Saison davor.
„Wir sind grundsätzlich sehr offen für Neuerungen, zum Beispiel auch im medizinischen und athletischen Bereich. Deshalb hatten wir auch die Zusammenarbeit mit Christian Spreckels begonnen. Wir wägen aber auch immer wieder ab, auf welche Maßnahmen wir den Fokus legen wollen. Daher haben wir uns für diese Saison entschieden, die Zusammenarbeit wieder zu reduzieren“, hatte Bornemann Mitte September im Abendblatt gesagt.
Sportpsychologe Spreckels verwundert über St. Pauli
„Ich war überrascht, dass die Zusammenarbeit so zu Ende gegangen ist. Herr Bornemann hat entschieden, dass ich nicht mehr bei der Mannschaft sein soll und dass die Zusammenarbeit reduziert wird. Warum, weiß ich im Prinzip auch nicht genau“, sagte Spreckels jetzt im Gespräch mit dem Abendblatt.
Und weiter: „Ich verstehe das Argument nicht, man wolle sich mehr auf das Fußballerische konzentrieren. Man kann das nicht trennen. Die mentale Betreuung des Teams und der einzelnen Spieler habe ich als kontinuierlichen Prozess betrachtet, was ich auch für sinnvoll halte, weil die mentale Betreuung im Prinzip nie zu Ende ist. Sie sollte ebenso wie das fußballerische und das athletische Training ein fester Bestandteil sein.“
Spreckels widerspricht Bornemann
Bornemann hatte unterdessen weiter gesagt: „Es ist ohnehin so, dass die Spieler sehr unterschiedliches Interesse an der Arbeit mit einem Sportpsychologen haben. Wenn einige das als Pflicht oder Zwang empfinden, ist es auch nicht zielführend. Die Spieler sollen nicht das Gefühl haben, dass es ihnen negativ ausgelegt wird, wenn sie das Angebot nicht annehmen.“
Diese Aussage des Sportchefs hat Christian Spreckels sehr verstimmt und nun veranlasst, sich zu wehren und explizit zu widersprechen. „Ich sehe es gar nicht, dass Spieler es als Zwang empfunden haben, mit mir zu arbeiten. Es wurde ab und zu mal Spielern angeraten, zu mir zu gehen. Aber die Hürde war überhaupt nicht hoch. Ich habe auch mal Spieler angesprochen oder die Trainer darauf hingewiesen, wenn mir im Training etwas aufgefallen ist“, stellte Spreckels jetzt klar.
Begonnen hatte die Zusammenarbeit kurz nach der Berufung von Timo Schultz (45) zum Cheftrainer am 12. Juli 2020. „Ich kannte Timo und Co-Trainer Loic
Favé schon länger. Sie haben mich am Anfang ihrer Amtszeit mit ins Boot geholt. Es war von Anfang eine sehr entwicklungsorientierte und wertschätzende Zusammenarbeit. Das ist es auf dem jetzt niedrigeren Niveau auch immer noch“, sagt Spreckels.
Weiterhin führt er vorwiegend mit neuen Spielern Eingangsgespräche mit einem psychologischen Test. Dem schließt sich ein Auswertungsgespräch an. „Man erkennt an den Ausprägungen im Testergebnis sehr gut, was für unbewusste Motive der Spieler hat und was seine Stressoren sind“, erläutert Spreckels.
Spreckels hat Erklärung für verpassten Aufstieg
Auf der Hand liegt dennoch die Frage, was in der Rückrunde der vergangenen Saison in psychologischer Hinsicht falsch gelaufen ist, als das Team nach der Herbstmeisterschaft und starken 36 Punkten den Aufstieg verspielte. Überkam die Spieler Angst, etwas verlieren zu können?
„Das sehe ich nicht so. Das Motto war ja immer: Wir können aufsteigen, wir dürfen aufsteigen, wir wollen auch aufsteigen, aber wir müssen es nicht. Das hat, so haben mir Spieler berichtet, den Druck genommen. Ein Muss – das zeigen viele Beispiele aus der Sportwelt – hat äußerst selten zu guten Resultaten geführt“, erläutert Spreckels, der auch an der Hamburger Uni lehrt.
Stattdessen hat er eine ganz andere Erklärung für den Einbruch: „Die ungeklärte Zukunft von vielen Spielern hat eine viel größere Rolle gespielt. Viele haben sich gefragt: Was ist denn, wenn wir jetzt aufsteigen? Wie geht es dann mit mir weiter, bin ich dann noch dabei?“ Das habe nicht nur Auswirkungen auf die Spieler, die es betraf, sondern auf alle gehabt. „Ungeklärte Fragen verursachen Stress, das ist bekannt. Und Stress ist nicht leistungsförderlich, das ist genauso bekannt.“
Spreckels moniert fehlende Euphorie bei St. Pauli
Dann gewährt Spreckels noch einen Einblick in die teaminterne Stimmungslage in der Rückrunde: „Torwarttrainer Matze Hain hat es gut formuliert, als er sagte: ,Wo ist denn hier die Aufstiegseuphorie?‘ Alle haben sie ja erwartet, aber in der Mannschaft war sie nicht zu spüren, weil es aus meiner Sicht eine große Verunsicherung gab. Es war dann schwierig für mich, da noch an Schrauben zu drehen und dabei selbst glaubwürdig zu bleiben.“
Ganz anders waren davor noch die Rückrunde 2020/21 und die folgende Hinrunde mit zusammen 67 Punkten gelaufen. „Das tolle Jahr 2021 war aus sportpsychologischer Sicht ein echtes Vorzeigeprojekt und wurde mit der schwierigen Zeit Ende 2020 eingeleitet. Vertrauen in den Weg, der eingeschlagen wurde, hat das Team gefestigt, von Woche zu Woche immer mehr. Den Spielern ging es gut, und genau darum geht es. Wenn es Menschen gut geht, performen sie auch gut“, betont Spreckels.
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Er zieht ein positives Fazit seiner Tätigkeit beim FC St. Pauli. „Die Zusammenarbeit mit den Trainern war richtig gut, lösungs- und entwicklungsorientiert und sehr wertschätzend. Mit den Spielern auch, ich konnte einigen von ihnen helfen, das haben diese selbst mir gegenüber regelmäßig geäußert“, sagt er.
Einer von ihnen war Ex-Kapitän Philipp Ziereis, der nach zwei schweren Verletzungen schon mit Spreckels gearbeitet hatte, bevor dieser zu St. Pauli kam. „Wir haben uns ein paarmal getroffen, er hat mir wirklich weitergeholfen. Heute kann ich das jedem empfehlen, auch wenn man nicht verletzt ist“, sagte Ziereis einmal.