Hamburg. Der Stürmer wartet bei beim Hamburger Kiezclub immer noch auf sein erstes Saisontor. Warum das noch kein Grund zur Sorge ist.

Am vergangenen Wochenende hatte Finn Ole Becker gleich zwei Probleme. Das erste: Beim Spiel der TSG Hoffenheim, zu der der 22-Jährige in diesem Sommer vom FC St. Pauli gewechselt war, stand er nicht im Kader. Das zweite und bedeutend größere: Es handelte sich um den Kader der zweiten Hoffenheimer Mannschaft in der Regionalliga Südwest. Seit seinem Transfer hat der gebürtige Elmshorner schlappe 68 Minuten Spielzeit in der Regionalliga gesammelt. In der Bundesliga: null.

In etwa zum gleichen Zeitpunkt, als Becker das 3:3 beim VfB Stuttgart II verpasste, stand Igor Matanovic aufgekratzt in der Mixed-Zone des Millerntor-Stadions. St. Pauli hatte Tabellenführer SC Paderborn durch einen Treffer in der Nachspielzeit noch ein 2:2 abgerungen. Eigentlich war mehr drin. „In der ersten Halbzeit haben wir das Spiel in der Hand gehabt“, sagt Matanovic. Es ist ein bemerkenswerter Satz. Denn in besagter erster Halbzeit saß der 19-Jährige nur auf der Bank. Das ist ihm nicht egal.

FC St. Pauli schirmt Matanovic ab

Aber egal ist es für den Stürmer nun mal vor allem nicht, welche Resultate seine Mannschaft einfährt. Dass es noch zum Punkt reichte, hatte der gebürtige Hamburger mitzuverantworten. Nach seiner Einwechslung kam neuer Schwung ins Pressing. „Das tat mir gut, ein Schritt in die richtige Richtung. Wie ihr alle wisst, bin ich in dieser Saison noch nicht bei 100 Prozent“, sagte er. Sonst sagt er nichts. Der FC St. Pauli möchte sein in die Kritik geratenes Talent schützen, schirmt es vor Interviews außerhalb der Spieltage ab.

Für die Kritik gibt es zwei Gründe. Der simple: Matanovic trifft nicht. Nachdem er zum Ende der vergangenen Spielzeit auf Schalke in spektakulärer Abgeklärtheit seine beiden einzigen Saisontore erzielte, galt sein Durchbruch in dieser als gewiss, zumal der Deutsch-Kroate in der Startelf gesetzt war. Aber noch ist er ohne Treffer, vergab eine ganze Reihe an Großchancen.

Matanovic wechselt zu Eintracht Frankfurt

Der zweite Grund: Matanovic wird im kommenden Sommer zu Eintracht Frankfurt in die Bundesliga wechseln. Die Vermutung liegt nahe, dass er den gleichen Pfad beschreitet wie Becker, der nach Bekanntwerden seines Wechsels nach Hoffenheim bei St. Pauli kaum noch überzeugte, oder auch wie das ehemalige HSV-Juwel Faride Alidou. Der 21-Jährige ist schon seit dieser Saison in Frankfurt unter Vertrag, konnte aber ebenfalls nach feststehendem Transfer beim HSV kaum noch überzeugen und ist bislang nur 68 Minuten für die Eintracht zum Einsatz gekommen.

Und doch gibt es viele Indikatoren, die darauf hindeuten, dass es bei Matanovic – der extrovertierter als Becker und reflektierter als Alidou ist – anders laufen wird. Ganz anders. „Er ist eines der größten Talente seines Jahrgangs im deutschen Fußball“, sagt St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann über ihn. Wenngleich der 50-Jährige bis zum Ende der Transferperiode noch einen weiteren Angreifer suchte, stärkte er dem Youngster mit seiner letztlichen Inaktivität indirekt den Rücken.

Matanovic passt gut als Strafraumstürmer

Die Konkurrenz im Angriff ist zu bewältigen. Neben dem umtriebigeren Johannes Eggestein passt Matanovic sehr gut als klassischer Strafraumstürmer. Etienne Amenyido ist kein nomineller Angreifer und dazu oft verletzt. David Otto ist den Beweis bislang schuldig geblieben, permanente Torgefahr auszustrahlen.

Man sieht die Personalie Matanovic daher entspannt bei den Braun-Weißen, zu denen er schon als Siebenjähriger gewechselt ist. „Igor hat die ersten fünf Spiele begonnen und hat nun mal eine Pause auf der Bank bekommen“, formuliert es Trainer Timo Schultz locker. Ganz so lässig war es unlängst dennoch nicht. Nach dem schwachen Auftritt bei Hansa Rostock, bei dem Matanovic schon vor der Halbzeit ausgewechselt wurde, soll es nach Abendblatt-Informationen deutliche Worte gegeben haben.

Matanovic nahm sich die klaren Worte zu Herzen

Matanovic hat sie weggesteckt. Mehr noch, er hat sie sich zu Herzen genommen und analysiert, was er an Lehren daraus ziehen kann. „Es wurmt ihn schon, dass es momentan nicht nach Plan läuft. Aber Igor geht sehr bedacht damit um und versucht möglichst viel aus solchen Phasen zu lernen“, sagt jemand aus seinem direkten Umfeld, das Matanovic so stark und reif wirken lässt.

Seine Eltern, Freundin Jelena, enge Freunde, auf sie hört der Rechtsfuß, äußere Einflüsse lässt er kaum an sich heran. Wer mit Matanovic spricht, glaubt unweigerlich, Sätze aus dem Mund von jemandem zu hören, der seit mehreren Jahren fest im Profigeschäft etabliert ist. Während bei anderen Fußballteenies die Frage nach dem Kauf von Luxusgütern nach Unterschreiben des ersten Vertrags im Vordergrund steht, konnte sich Matanovic kaum zum Kauf eines Wagens der oberen Mittelklasse durchringen. „Er hat ständig überlegt, ob das nicht zu früh zu viel wäre“, so sein Bekannter, der anonym bleiben will.

„Zuallererst ist Igor ein Mensch mit klaren Werten"

„Zuallererst ist Igor ein Mensch mit klaren Werten und dem Herz am rechten Fleck. Dazu ist er extrem ehrgeizig“, beschreibt ihn Malte Schlichtkrull, sein früherer U-17-Trainer bei St. Pauli. Schon damals hatte Matanovic Anlaufschwierigkeiten. „Es hat acht Spiele gebraucht, bis der Knoten vor dem Tor geplatzt ist. Dafür hat er wie ein Wahnsinniger gearbeitet und fünf Treffer vorbereitet“, so Schlichtkrull. Eine weitere Parallele zur aktuellen Saison, in der Matanovic zwei Assists gesammelt hat, auf die er selbst oft verweist.

Wer den gewandten 1,94-Meter-Jungen, der körperlich zugelegt hat, im Training beobachtet, sieht regelmäßig längst mehr als nur die vielversprechenden Ansätze. Natürlich fehlt es dem 19-Jährigen fußballerisch noch an einigem. Das Kopfballspiel ist für seine Größe zu schwach, den Clevernessnachteil gegen gestandene Zweitligaverteidiger kann er noch nicht vollends wettmachen. „Der Einstieg in den Profifußball geht in Wellen vonstatten. Gerade als Stürmer braucht man ein bisschen Momentum und Menschen, die einen unterstützen. Die hat er im Trainerteam. Daher bin ich überzeugt, dass er mittelfristig bei uns und an anderen Stationen zur festen Größe wird. Seine Persönlichkeitsmerkmale und fußballerischen Fähigkeiten setzen ihm keine Limits“, sagt Schlichtkrull.

FC St. Pauli: Matanovic wird seine Krise bewältigen

Das sieht auch der kroatische Verband so, der sich extrem um Matanovic, dessen Familie aus der Nähe des bosnischen Banja Luka stammt, bemühte. Mit Erfolg. Im Frühling entschied sich der Umworbene – auch nach einem Gespräch mit Ex-HSV-Profi Ivica Olic –, künftig für die Heimat seiner Eltern anstelle des DFB-Juniorennationalteams zu spielen. Eine emotionale Entscheidung. „Mitglieder meiner Familie waren während des Krieges Flüchtlinge, deshalb hat Kroatien ihnen Zuflucht gewährt, als es für uns am schwierigsten war, und das wird nicht vergessen. Aber ich bin Ende der 80er nach Deutschland gekommen, habe einen Job bekommen, also haben mir beide Länder viel gegeben“, sagte Matanovics Vater Ranko kroatischen Medien.

Mit der gleichen Ruhe und Überlegtheit wird sein Sohn auch diese herbeigeredete Krise bewältigen. Vielleicht noch nicht an diesem Sonnabend in Fürth. Vielleicht erst in fünf Spielen. Aber Probleme – die haben andere.