Hamburg. DFB-Lehrwart Lutz Wagner verteidigt die Handspielregel, die St. Paulis Trainer Timo Schultz aufbrausen ließ. Die Hintergründe.

Lutz Wagner ist den kompletten Dienstag beschäftigt. Ein Meeting des Europäischen Fußballverbands (Uefa) – und das Abendblatt stört ihn in der kurzen Mittagspause. Halb so wild, meint der 197-fache Bundesliga-Schiedsrichter freundlich. „Mit meinem Kollegen Peter Sippel habe ich sowieso gerade über Hamburg und St. Pauli gesprochen“, so der Schiedsrichter-Lehrwart des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Nämlich über die Szene, die aus Timo Schultz, dem Trainer des FC St. Pauli, einen Revoluzzer macht.

Bislang hatte es der Sohn eines Schiedsrichter-Lehrwarts tunlichst vermieden, über Entscheidungen der Unparteiischen zu reden. Doch als nach St. Paulis 1:0-Sieg gegen den 1. FC Heidenheim am vergangenen Freitag die Diskussion um ein vermeintlich elfmeterwürdiges Handspiel von Jakov Medic aufkam, ließ sich Schultz aus der Reserve locken.

FC St. Pauli: Schultz kann Schmidt verstehen

„Das ist so ein Durcheinander geworden in den vergangenen zwei Jahren mit der Handspielregel, dass da keiner mit glücklich wird. Als Letztes die Schiedsrichter“, sagte er über die Sequenz, in der sein Innenverteidiger eine Flanke aus dem Strafraum geköpft hatte, wobei ihm der Ball vom Kopf an die Hand sprang. Schiedsrichter Bastian Dankert pfiff nicht, Heidenheims Trainer Frank Schmidt beschwerte sich.

„Ich kann meinen Kollegen verstehen. Solche Elfmeter werden permanent gegeben. Aber was sollen die Jungs denn machen? Sich die Hand abhacken? Vielleicht sollte man die Regel revolutionieren und einen indirekten Freistoß geben, wenn keine Absicht vorliegt“, so Schultz.

„Wir sind allerdings kein Versuchslabor“

Folgt die nächste Handspiel-Revolution? „Der Vorschlag ist diskutabel“, sagt Wagner. Neuerungen dieser Art werden regelmäßig bei Innovationspanels besprochen und vom Weltverband Fifa in unteren und öffentlich weniger beachteten Ligen getestet, sofern sie denn sinnvoll erscheinen. „Wir sind allerdings kein Versuchslabor“, betont Wagner. Indirekte Freistöße wird es also so schnell nicht geben.

Vor einigen Jahren wurde die Handspiel-Regel komplett geändert und im vergangenen Sommer nochmals modifiziert. Es gelten seitdem zwei Kriterien, in denen ein Handspiel eines Verteidigers strafbar ist. Wenn ein Spieler mit einer absichtlichen Bewegung die Hand zum Ball führt. Oder wenn er durch seine unnatürliche Armhaltung die Intention verfolgt, den Ball aufzuhalten.

„Ich bin kein Fan von Pauschalurteilen"

Der Ermessensspielraum des Schiedsrichters in der Beurteilung ist somit größer geworden, was tendenziell zu mehr Handstrafstößen geführt hat. „Aus meiner Sicht ist es gut, den Schiedsrichtern ein bisschen mehr fußballerische Freiheit zum Denken zu ermöglichen“, sagt Wagner.

Ein weiteres Thema, das Wagner und seine Kollegen besprachen, war der Becherwurf von Bochum, bei dem Schiedsrichterassistent Christian Gittelmann verletzt und das Spiel abgebrochen wurde. „Ich bin kein Fan von Pauschalurteilen. Alkoholverbote oder Plexiglas würden nur die Wirkung bekämpfen. Stattdessen sollte man die Ursachen angehen. Fans dürfen anderen Fans so etwas nicht durchgehen lassen, nicht wegsehen“, sagt Wagner.

FC St. Pauli erwägt keine Maßnahmen

Beim FC St. Pauli werden derzeit keine Maßnahmen, wie beispielsweise ein Alkoholverbot, das in Bochum im Gespräch ist, erwogen. Bis zum nächsten Heimspiel am 9. April gegen Werder Bremen sind ohnehin noch zweieinhalb Wochen Zeit.

Und war es nun ein regelwidriges Handspiel von Medic? „Das war absolut an der Grenze“, meint Wagner, „so etwas wird es immer wieder geben, je nachdem, wo man die Grenze zieht.“ Sagt’s und verabschiedet sich ins Uefa-Treffen. Abpfiff der Mittagspause.