Hamburg/Oslo. Im Viertelfinale bei Union könnte ein Elfmeterschießen entscheiden. Der norwegische Professor Geir Jordet kennt Chancen und Gefahren.

Elfmeterschießen! Das ist der ultimative Spannungs-Klimax in K.o.-Spielen, der 1975 beschlossen wurde, um Wiederholungspartien oder gar das unsägliche Losverfahren abzuschaffen. In den nun anstehenden Viertelfinalspielen des DFB-Pokals kann es also wieder zum Schießen vom Elfmeterpunkt kommen. „Es ist keine Lotterie, aber schwer zu trainieren“, sagt St. Paulis Trainer Timo Schultz vor dem Spiel seines Teams am Dienstag beim 1. FC Union Berlin: „Die Erschöpfung der Spieler, der mentale Druck spielen eine Rolle.“

Der Norweger Geir Jordet kennt sich mit dem Elfmeterschießen so gut aus, wie sonst wahrscheinlich niemand. Er ist Professor am Norwegischen Institut für Sportwissenschaften in Oslo. Die Bezeichnung „Elfmeter-Professor“ wird ihm aber gerechter. Fünf Jahre lang hat er jedes einzelne Elfmeterschießen bei Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und in der Champions League analysiert. Im Abendblatt erklärt er, worauf es dabei ankommt.

Herr Jordet, am Sonntagabend hat ein bereits legendäres Elfmetermeterschießen den englischen Ligapokal entschieden (siehe Bericht rechts). Wie ordnen Sie die Geschehnisse ein?

Geir Jordet: Da sind in der Tat einige Dinge zusammengekommen. Die Fußballer beider Teams haben außerordentlich gut geschossen. 21 Treffer bei 22 Versuchen, das gibt es nur sehr selten. Tuchels Entscheidung, den Torhüter auszuwechseln, war fair. In der Vergangenheit waren sie mit dieser Strategie auch mit Kepa schon erfolgreich. Kepa stand bei Chelseas letzten drei Elfmeter-Siegen im Tor, und seine Statistiken sind besser als die von Mendy: Mit Kepa im Tor treffen insgesamt nur 71 Prozent der Schützen, mit Mendy sind es 94 Prozent. Liverpool hingegen konnte auch von den Fans hinter dem Tor profitieren. Das gelingt, wenn man es als Mannschaft schafft, sich davon nicht unter Druck setzen zu lassen, sondern positive Energie daraus zieht.

Geir Jordet, „Elfmeter-Professor“.
Geir Jordet, „Elfmeter-Professor“. © Privat


Beide Teams sind mit Superstars gespickt, die Keeper gehörten eher nicht dazu. Wer ist da eigentlich im Vorteil?

Geir Jordet: Sogenannte Superstars können tatsächlich ein Schwachpunkt sein, sie scheitern häufiger, als wir denken. Nachdem sie eine große individuelle Auszeichnung erhalten haben, treffen sie zu 89 Prozent, nach Erhalt des Awards nur zu 65 Prozent. Vermutlich, weil der Druck in einer ohnehin schon druckbelasteten Situation noch größer geworden ist.

Gibt es bestimmte Gefühle, die Spieler in diesen Situationen teilen?

Geir Jordet: Es gibt eine ganze Palette an Emotionen - hilfreich wie schädlich. Ein Gefühl, das absolut jeder Spieler mit in den Gesprächen beschrieb, ist Angst. Wer glaubt, Elfmeterschießen sei nur eine Lotterie, erlebt öfters eine destruktive Angst.

Wie kann der Schütze diese Situation dann möglichst gut kontrollieren?

Geir Jordet: Indem er sich vorbereitet, trainiert und einen Plan hat. Kurz nach dem Pfiff zu schießen, ist erfolgsträchtiger, als lange zu warten. Positive Gedanken helfen. Spieler, die treffen müssen, um eine Niederlage zu vermeiden, tun dies nur zu 62 Prozent. Wer vor dem Schuss zum Sieg steht, trifft zu 92 Prozent.

Und wie kann der Torwart seine Chancen erhöhen?

Geir Jordet: Seine Hausaufgaben erledigen, auf jeden Schützen individuell vorbereitet sein – und Psychospielchen spielen, um den Schützen aus seiner Komfortzone zu bringen. Beispielsweise ist es clever, den Schuss nach dem Pfiff durch Bewegungen, auch regelwidrige, hinauszuzögern, sodass der Schiedsrichter ihn erst ermahnen muss. Somit ist der Schütze dem Druck noch länger ausgesetzt.

Sollte der Torwart eine Ecke wählen oder in der Mitte stehen bleiben?

Geir Jordet: Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Bei Spielern, die sich früh für eine Ecke des Tors entscheiden, sollte man entweder auf eine Aktion des Schützen warten oder sich sehr früh entscheiden. Bei Spielern, deren Entscheidung auf den Bewegungen des Torhüters basiert, wartet man am besten so lange wie möglich oder versucht, ihn mit einer Bewegung auf die falsche Seite zu täuschen.

Können die Mitspieler helfen?

Geir Jordet: Aber ja! Torschüsse sind ein individuelles Ereignis, aber das Elfmeterschießen ist ein Teamevent. Kommunikation ist entscheidend. Einen Treffer intensiv mit dem Schützen zu feiern, erhöht die Siegchancen. In einem regulären Spiel sollten die Mitspieler den Schützen lange abschirmen, um ihn den Spielchen des Torhüters nicht auszusetzen.

Im EM-Finale 2021 zwischen Italien und England haben zwei junge englische Spieler die entscheidenden Elfmeter verschossen. Sollten lieber erfahrene Akteure antreten?

Geir Jordet: Nein, historisch gesehen treffen Spieler unter 23 Jahren etwas häufiger als ältere.

Treffen Stürmer besser als Verteidiger?

Geir Jordet: Ja, vermutlich wegen der besseren Schusstechnik.

Gibt es Unterschiede zwischen Rechts- und Linksschützen?

Geir Jordet: Nein, darauf deutet nichts hin. Ebenso gering ist der Unterschied zwischen eingewechselten Spielern und welchen, die bereits länger auf dem Feld waren.

In Deutschland existiert der Mythos, dass der gefoulte Spieler nicht zum Elfmeter antreten sollte. Was sagen Ihre Daten dazu?

Geir Jordet: Es gibt nur wenige Studien darüber, aber die Unterschiede sind sehr, sehr gering. Eine Studie, die ich mal gesehen habe, hat herausgefunden, dass der Gefoulte zu zwei Prozent seltener trifft. Also spielt das aus meiner Sicht keine Rolle.

Haben Sie den ultimativen Tipp fürs Elfmeterschießen parat?

Geir Jordet: Ich kann nur immer wieder betonen: Ein Elfmeter betrifft das ganze Team. Geht ihn als Mannschaft an, unterstützt euch, auf jede erdenkliche Art.