Hamburg. Der Hamburger Kiezclub trifft auf Hannover 96 – Andreas Bergmann hat beide Clubs durch schwierige Zeiten begleitet und gibt Einblicke.

Andreas Bergmann war schon einmal besser auf den FC St. Pauli zu sprechen. Ausgerechnet bevor der Trainer des Fußball-Regionalligisten Altona 93 im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“ über seinen Ex-Club sprechen sollte, hatte dieser mit seiner U23 der Bergmann-Mannschaft am vergangenen Wochenende eine 1:0-Pleite zugefügt.

„Die tut jetzt noch weh“, sagt Bergmann zerknirscht. Nachdem ihn St. Paulis früherer Kult-Stadionsprecher Rainer Wulff, der die Podcast-Gäste vorstellt, als „Vater unserer legendären Bokal-Serie“ betitelte, konnte der 62-Jährige schon wieder schmunzeln. Später hatte er schwer zu schlucken. Doch der Reihe nach.

FC St. Pauli: Bergmann wurde Jugendkoordinator

Die Reise, auf die Bergmann die Zuhörer mitnimmt, beginnt mit einem rosa T-Shirt. 2001 hatte er den Posten als Jugendkoordinator des FC St. Pauli übernommen. Zwei Jahre später drohte dem Stadtteilverein der finanzielle Kollaps. Also stand er da nun, in Rosa gekleidet neben dem damaligen Präsidenten Corny Littmann auf einem Wagen beim Christopher-Street-Day und verkaufte Retter-Shirts.

Die Kleidung wurde adretter, die Herausforderungen aufreibender. Im Jahr 2004 wurde Bergmann zum Cheftrainer der Profis befördert, die damals vor dem Absturz in die Viertklassigkeit standen. „Wenn das passiert wäre, nach der Retteraktion, das hätte sich niemand ausmalen wollen. Da war mir schon sehr bewusst, welche Aufgabe da auf mich zukommt“, erinnert sich der frühere Oberligaspieler.

Bergmann führte Club ins Halbfinale des DFB-Pokals

Andreas  Bergmann war Trainer des FC St. Pauli und von Hannover 96. Heute trainiert er den Regionalligaletzten Altona 93.
Andreas Bergmann war Trainer des FC St. Pauli und von Hannover 96. Heute trainiert er den Regionalligaletzten Altona 93. © WITTERS

Er meisterte die Prüfung, führte St. Pauli 2005/06 sensationell ins Halbfinale des DFB-Pokals – und an dringend benötigte Geldtöpfe. Die meisten Geschichten der „Bokal-Serie“, in der Burghausen, Bochum, Berlin und Bremen ausgeschaltet wurden und erst gegen die Bayern Schluss war, sind längst auserzählt. Dennoch wird Bergmann nach wie vor regelmäßig auf diese Zeit angesprochen, in der er den Kiezkickern neues Leben einhauchte. „Wir haben uns nichts erstolpert, sondern frech und aktiv gespielt“, sagt er über die erste prägende Station seiner Trainerkarriere.

Die zweite folgte auf seinen Rausschmiss bei
St. Pauli 2006, der sich als Glück im Unglück erwies. Denn im Anschluss ging es für Bergmann geografisch nach unten, sportlich nach oben: zu Hannover 96. Erst die zweite Mannschaft, im August 2009 dann die Bundesligaprofis. Wieder Krise, wieder Abstiegskampf. Alles irre­levant. Stattdessen: der 10. November 2009. Die meisten Fußballfans wissen bis heute, wo sie waren, als am frühen Abend vermeldet wird, dass 96- und National-Torwart Robert Enke Suizid begangen hat.

Bergmann beschäftigte sich mit dem Thema Depressionen

„Warum hat er nichts gesagt? Bis heute habe ich den naiven Wunsch, er hätte mit mir darüber gesprochen.“ Diese Gedanken quälen Andreas Bergmann nach wie vor. In den Folgejahren beschäftigt sich der gebürtige Steinfelder intensiv mit dem Thema Depression, engagiert sich als Botschafter in der
Robert-Enke-Stiftung von dessen Frau Teresa, kämpft gegen die Tabuisierung der Krankheit. „Seelische Erkrankungen werden gern als Schwäche hingestellt. Wir begehen aber einen großen Fehler, wenn wir versuchen, sie zu verstecken.“

Robert Enke sei das beste Beispiel: Er habe Top-Leistungen gebracht, niemand habe es ihm anmerken können. „Ich wünschte, wir würden das offener thematisieren, denn diese Ängste, Sorgen und Probleme sind alle therapierbar. Es hilft schon, einfach nur zu sagen, dass es einem nicht gut geht.“ Bergmanns raue Stimme bricht nicht, wenn er darüber spricht, doch es ist zu spüren, wie sehr ihn die Thematik bewegt. „Das hat schon etwas mit mir gemacht“, resümiert Bergmann, „ich hoffe, dass ich etwas Positives daraus machen kann.“

FC St. Pauli: Bergmann lebt in Bundesligen weiter

Seine Trainerkarriere verlor nach der Zeit in Hannover, in der er den allmächtigen und bis heute polarisierenden Präsidenten Martin Kind als „jemanden erlebt, der es nur gut meint“, wieder an Fahrt. Eine Saison beim VfL Bochum, eine bei Hansa Rostock, nun Altona, wo er „langfristig etwas aufbauen“ möchte, sich als sportlicher Leiter stark im Jugendbereich engagiert.

Doch der Geist von Bergmann lebt in den Bundesligen fort. Drei seiner ehemaligen Assistenten sind heute Trainer im Oberhaus: Thomas Reis (Bochum), Marcel Rapp (Holstein Kiel) und Christian Eichner (Karlsruher SC). Und dann wäre da noch sein früherer Spieler Christoph Dabrowski, der als Trainer von Hannover am Sonntag am Millerntor gastiert. Beim FC St. Pauli. Der ohne Bergmann heute womöglich kein Zweitliga-Gastgeber wäre. Und bei dem noch oft und gut über ihn gesprochen wird.