Hamburg. Loic Favé und Fabian Hürzeler sind jünger als manche Spieler des FC St. Pauli – und trotzdem bei ihnen hoch angesehen.

Loic Favé steht da im Stangenwald, klatscht energisch in die Hände, ruft: „Komm jetzt!“ Die Kleingruppe passt den Ball hin und her, intensiv, Spaß und Anspannung wechseln sich ab. Weiter hinten eine ähnliche Szene, dort beschäftigt sich Fabian Hürzeler mit Spielern, lässt sie in Räume starten – typische Szenen beim Training des FC St. Pauli, auch bei der Vorbereitung auf das Zweitligaspiel an diesem Sonnabend (13.30 Uhr/Sky, Liveticker auf Abendblatt.de) beim 1. FC Heidenheim.

Die Arbeit der beiden Co-Trainer von Chefcoach Timo Schultz ist einer der Gründe für den Sprung der Kiezkicker an die Tabellenspitze der Zweiten Liga. Es sind zwei „Bessermacher“, die mit ihren Übungen und Analysen auch die erfahrenen Profis überzeugt haben.

St.-Pauli-Kapitän Ziereis schwärmt vom Trainerteam

„So gut hat noch nie zuvor ein Trainerteam mit mir gearbeitet“, sagt Kapitän Philipp Ziereis. Rechtsverteidiger Luca Zander ergänzt: „Beide Co-Trainer machen viele Videoanalysen und führen eine Menge Einzelgespräche. Das macht jeden von uns besser.“

Favé und Hürzeler sind beide erst 28 Jahre alt und damit jünger als einige der betreuten Spieler. Die zu Beginn ihrer Tätigkeit im Sommer 2020 an der Seite des im Herrenbereich auch noch unerfahrenen Timo Schultz (44) zu spürende Skepsis ist längst verflogen. Es zählen Ergebnisse und, sagt „Fabi“ Hürzeler, „die Macht der Idee“.

Wie Schultz, der bei St. Pauli zuvor für die U17 und U19 verantwortlich war, haben Favé und Hürzeler im Jugendbereich gearbeitet: der Hamburger Favé höchst erfolgreich beim Eimsbütteler TV, der Münchner Hürzeler als Co-Trainer der U20 beim DFB. „Im Nachwuchs ist Entwicklung ein großes Thema“, sagt Favé, „uns dreien war daher klar, dass dies ein großer Schwerpunkt werden wird.“

St. Paulis Co-Trainer arbeiten wie an der Uni

Nun ist Individualtraining keine Neuerfindung von der Kollau. Das sagt auch Chef Schultz. Aber: „Wir haben das von der Organisation und von der Struktur sehr gut aufgezogen. Ich muss den beiden ein riesiges Kompliment machen. Da ist ein roter Faden zu erkennen.“

So gibt es verschiedene Themenschwerpunkte, an denen die Spieler arbeiten. Zum Teil können sie sich wie bei Repetitorien oder Seminaren an der Uni in Arbeitsgruppen eintragen, zum Teil werden sie eingeteilt, wenn die Trainer das Gefühl haben, dies oder das helfe dem Spieler weiter.

„Wir haben verschiedene Gruppen. Zum Beispiel Vororientierung, Flanken, Entscheidung im Spielaufbau oder positionsspezifische Anforderungen“, erklärt Hürzeler. „Ziel ist, dass die Spieler sich bewusst mit den Themen auseinandersetzen und ihre Schritte langfristig machen.“

St.-Pauli-Profis werden individuell gecoacht

Als St. Pauli im Sommer 2020 die beiden Youngsters als Assistenten verpflichtete, gab es im Umfeld das eine oder andere Stirnrunzeln. Die Ergebnisse in den ersten 15 Spielen der vergangenen Saison schienen den Skeptikern auch recht zu geben. „Wenn Dinge vorher anders gelaufen waren, braucht der Mensch immer eine gewisse Zeit, um sich daran zu gewöhnen“, sagt Favé im Rückblick. Und weiter: „Es ist auch Teil der Arbeit, dass die Dinge, die wir technisch und taktisch besprechen, erst mit der Zeit zur Gewohnheit werden und die Spieler darüber im Spiel nicht mehr nachdenken.“

Diese Automatismen greifen nun offensichtlich seit einiger Zeit. Neben der Gruppenarbeit nehmen sich die Coaches „ihre“ Spieler auch noch einzeln vor. „Fabi und ich haben uns die Spieler aufgeteilt, um langfristig an Zielen dranzubleiben“, erklärt Favé. Sie führen ihnen auf Videos vor, wo sie Themen sehen, und zeigen Verbesserungsvorschläge auf. „Wir versuchen, die Spieler individuell zu fördern, was sind die Potenziale, die Waffen, die man weiterentwickeln kann“, sagt Favé.

Selbst erfahrene Profis wie Philipp Ziereis haben sich noch verbessert. Der 28 Jahre alte Innenverteidiger und Kapitän hat große Fortschritte im Stellungsspiel und bei der Spieleröffnung gemacht. „Mit mir arbeitet Loic Favé, das bringt unheimlich viel“, sagt er. Loic Favé sagt: „Entscheidend ist bei Ziere wie bei den anderen auch, dass die Bereitschaft da ist, an sich zu arbeiten und Dinge anzuschauen, und das ist bei den Jungs sehr ausgeprägt vorhanden.“

Hürzeler analysiert Gegner Heidenheim

Auch Timo Schultz hat eine Gruppe, aber auch die Analysten, Athletiktrainer und alle, die dem Staff angehören, sind an dieser Arbeit beteiligt. „Wir besprechen alles im Team. Wir haben einen langfristigen Plan, aber natürlich besprechen wir immer auch aktuell, ob uns etwas aufgefallen ist und wir Anpassungen vornehmen müssen“, erklärt Fabian Hürzeler.

Der Bayer, der Hamburg seine „neue Heimat“ nennt, ist auch für die Gegneranalyse zuständig. Natürlich hat er den nächsten Gegner 1. FC Heidenheim analysiert. „Sie spielen mit viel Intensität gegen den Ball und sehr Mann-orientiert“, sagt er: „Wir wollen wieder Spielfreude zeigen und viel in Bewegung sein. Das war ein Trainingsschwerpunkt in der Woche.“

Dass das alles ein gewaltiger Aufwand ist, kann man sich denken. Aber der Erfolg gibt St. Paulis Bessermachern recht und ist auch Lohn für die viele Arbeit. „Wenn du etwas mit Leidenschaft tust, dann tust du es zu jeder Tageszeit, da schaust du nicht auf die Uhr“, sagt Hürzeler.

Irgendwann wollen die beiden A-Lizenz-Inhaber auch noch den „Fußballlehrer“ machen. Den logischen nächsten Schritt in ihrer Karriere. Im Sommer 2022 endet ihr Vertrag ebenso wie der von Schultz bei St. Pauli. Über die Zukunft werden sie sich schon Gedanken machen, sprechen aber nicht darüber. Zu schön ist die Gegenwart. „Wir alle sind sehr froh, wie es im Moment läuft, und kommen jeden Tag mit großer Begeisterung an die Trainingsstätte.“