Hamburg. St. Paulis Aufsichtsratschefin Sandra Schwedler spricht über ihr Engagement bei der Einführung einer Quotenregelung im Fußball.
Die Initiative „Fußball kann mehr“ um das ehemalige HSV-Vorstandsmitglied Katja Kraus hat in den vergangenen Wochen für Aufsehen gesorgt. Neun Frauen aus allen Bereichen des Fußballs haben darin acht konkrete Forderungen erhoben. Es geht unter anderem um eine Quotenregelung von mindestens 30 Prozent in Führungspositionen im deutschen Fußball, insbesondere in den Verbänden vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) bis hinunter in die Regionalverbände und Vereine.
Durch die aktuelle DFB-Führungskrise mit dem Rücktritt von Präsident Fritz Keller vergrößerte sich die Aufmerksamkeit für die Initiative. Sandra Schwedler (41), die Aufsichtsratsvorsitzende des FC St. Pauli, gehört dieser Gruppe an, sie erläutert im Gespräch mit dem Abendblatt, wie es zu dieser Initiative kam, was die nächsten Ziele sind und warum eine Quotenregelung auch im Fußball wichtig ist.
Hamburger Abendblatt: Frau Schwedler, erzählen Sie uns doch bitte einmal, wie es überhaupt zu dieser Initiative gekommen ist.
Sandra Schwedler: Das hat Katja Kraus ein bisschen angestoßen. Dadurch, dass es relativ wenig Frauen in Führungspositionen im Fußball und im Fußballbusiness gibt, sind wir uns immer wieder über den Weg gelaufen. Katja hat dann irgendwann gesagt, lasst uns mal überlegen, ob wir gemeinsam etwas machen können. Ich denke, es war Januar, Februar, als wir das erste Mal zusammen telefoniert haben. Für uns war immer klar, wie haben Positionen, wir haben eine Haltung, und wir wollen mit dieser Haltung an die Öffentlichkeit gehen.
Ihre Forderungen nach mehr Partizipation von Frauen im Fußball sind also viel älter als die aktuelle DFB-Krise?
Schwedler: Total. Ich finde es ein bisschen schade, dass unsere Ideen dadurch oft verkürzt werden zu der Forderung nach Erneuerung im DFB. Im Papier steht aber viel mehr drin. Natürlich spielt der DFB eine Rolle, und natürlich spielen auch die Führungspositionen beim DFB eine Rolle. Aber es geht auch um die DFL, die Vereine sowie die Regional- und Landesverbände.
Sind Sie denn auch schon auf den Hamburger Fußball-Verband zugegangen?
Schwedler: Nein, ich habe keine Gespräche mit dem HFV geführt. Es gab jetzt jedoch mit einem Brief einen ersten offiziellen Kontakt mit den Landes- und Regionalverbänden.
Und beim FC St. Pauli?
Schwedler: Da sind Veränderungen ja schon im Gange. Es gab bei der Mitgliederversammlung 2019 einen Antrag, der angenommen wurde. Dabei ging es um das Ziel, mehr Frauen in Führungsebenen zu bekommen. Auf der ehrenamtlichen Ebene wurde deshalb eine AG Diversität gegründet, die herausgefunden hat, dass sich ohne Quote nichts ändern wird. Eine Quote wird deshalb jetzt zum Antrag auf der Mitgliederversammlung gestellt. Bei der Hauptamtlichkeit geht der Blick weiter. Ob es eine Quote wird und wie die Quote dann lautet, das wird die Steuerungsgruppe Diversität herausfinden beziehungsweise empfehlen.
Warum ist eine Frauenquote überhaupt wichtig? Sollte es nicht um Qualifikation für ein Amt gehen, unabhängig vom Geschlecht?
Schwedler: Das Problem ist doch, dass es derzeit gerade nicht um Kompetenz, sondern nach Geschlecht geht. Durch die bestehenden Strukturen wird das männliche Geschlecht bevorzugt. Der strukturelle Sexismus ist im Fußball noch ausgeprägter als in der Wirtschaft oder in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Frauen wird Kompetenz erst mal abgesprochen, weil es ja um Fußball geht, um Herrenfußball. Eine Quote soll diese Ungerechtigkeit ausgleichen. Eine Quote führt dazu, das zeigen alle Studien, dass mehr Kompetenz in den Führungsgremien vorhanden ist.
Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen als Aufsichtsrätin eines Proficlubs?
Schwedler: Was typisch war, als ich gewählt wurde, waren Kommentare wie: Spielen wir nächste Saison in rosa Trikots? Es passiert auch, dass ich nicht als Funktionärin wahrgenommen werde in den Köpfen von Fußballfunktionären. Die sind meist männlich und eines gewissen Alters. Dass es jemanden gab, der mich offiziell angegriffen hat, das ist nicht passiert.
Die Hamburgerin Hannelore Ratzeburg gehört dem DFB-Präsidium seit 2007 an. Haben Sie versucht, sie einzubinden?
Schwedler: Nein. Wir sind gar nicht auf die Mitarbeiterinnen im DFB zugegangen, weil wir wussten, dass es schwer ist, ein seit Jahren bestehendes, sehr starres System von innen zu verändern. Hannelore Ratzeburg hat großartige Geschichten erzählt, wie sie angefangen hat, in den 70er-Jahren Fußball zu spielen. Das Erschreckende ist, es hat sich leider nicht viel verändert. Auch nicht im Denken.
Haben Sie ein Beispiel?
Schwedler: Warum sagen wir Frauenfußball und Fußball? Wenn Fußball gesagt wird, denken auch Frauen an Herrenfußball. Da ist immer dieses Narrativ, dass Frauenfußball anders ist und viel schlechter. Das kenne ich so bei keiner anderen Sportart.
Warum gehört Ihrer Gruppe eigentlich kein Mann an? Es gibt doch genug, die Ihre Forderungen unterstützen?
Schwedler: Es ist ein Thema, dass Frauen im Fußball gerade benachteiligt sind. Männer, die nicht dem Klischee oder Rollenbild entsprechen, die sind es allerdings auch. Wenn ich mich organisieren möchte, wende ich mich doch erst an die, die es betrifft, und nicht unbedingt an die, die das nur stützen können.
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Katja Kraus wird nun als mögliche DFB-Präsidentin gehandelt.
Schwedler: Das ist sehr faszinierend: Sobald so ein Forderungspapier aufschlägt, wird unterstellt, es gehe den Verfasser/-innen um Posten. Katja hat doch klar gemacht, dass es genau nicht um einen Posten geht. Wenn man sich unsere Gruppe anguckt, sind alle im Fußball recht erfolgreich und glücklich. Dass es nur um Veränderungen im Fußball geht, kommt den meisten Menschen nicht in den Sinn.
Wie sollte es jetzt weitergehen?
Schwedler: Drei Dinge: Wir wünschen uns so schnell wie möglich einen außerordentlichen DFB-Bundestag, wo Strukturänderungen beschlossen werden können, damit Veränderungen nicht noch sechs Monate ausgesessen werden können. Auch bei der DFL bedarf es Überlegungen, wie Frauen in Führungspositionen gebracht werden, gesehen und gestützt werden, die Kompetenz schon mitbringen. Auf der Ebene der Vereine sollten wir mindestens bei den Profiligen dafür sorgen, dass sich die Gesellschaft abbildet.
Der FC St. Pauli hat wie erwartet Linksverteidiger Lars Ritzka (23) vom Drittligisten SC Verl verpflichtet. Der walisische Nationalspieler und Innenverteidiger James Lawrence fällt derweil wegen einer Muskelverletzung für die Europameisterschaft aus. Der 28-Jährige war kurz zuvor vom walisischen Verband fest nominiert worden.