Hamburg. Von Kaderplanung bis Torwartfrage – die Gründe für den Niedergang sind vielschichtig. Zwei Aspekte geben St. Pauli aber Hoffnung.

Die nächste schlechte Nachricht musste der FC St. Pauli am Montag, einen Tag nach der 1:2-Niederlage in Fürth, verbreiten. Roger Stilz, seit 2016 sportlicher Leiter des Nachwuchsleistungszentrum (NLZ), verlässt den Club mit sofortiger Wirkung, um beim belgischen Erstligisten Waasland-Beveren als Sportdirektor tätig zu werden.

Auch wenn dieser Verlust unmittelbar nichts mit der dramatischen Situation der Zweitligamannschaft als Tabellen-17. zu tun hat, passt es doch in das aktuelle Bild des Vereins, bei dem die sportliche Entwicklung seit Monaten (letzter Sieg am 27. September) in die falsche Richtung läuft. Die größten Probleme und Fehlentwicklungen sind folgende:

Die Kaderplanung. Im Transfersommer baute Sportchef Andreas Bornemann den Kader radikal um und ließ etliche Stammkräfte ziehen oder gab ihnen keinen neuen Vertrag. Dies war nach dem 14. Platz in der abgelaufenen Saison eine nachvollziehbare Strategie. Von den als Ersatz geholten Profis, die überwiegend für keine oder wenig Ablöse kamen, hat bis heute aber kein einziger durchweg überzeugt. Besonders bedenklich ist, dass Spieler wie Daniel-Kofi Kyereh oder Rodrogo Zalazar, die in den ersten Spielen noch Leistungsträger waren, immer mehr nachgelassen haben. Spielten sie anfangs unbeschwert drauflos, so kommen sie jetzt mit der Last der Tabellensituation offenbar nicht klar.

Größtes Manko im Kader ist das Fehlen eines körperlich robusten, zentralen Mittelfeldspielers für die wichtige „Sechser-Position“ als feste Größe. Die Hoffnung, der 21 Jahre junge Afeez Aremu könnte diese Rolle ausfüllen, hat sich als zu naiv erwiesen, wie gerade sein Startelf-Debüt in Fürth gezeigt hat. Jetzt muss hier zügig nachgebessert werden. Problem dabei ist, dass die Nachverpflichtungen im Januar-Transferfenster keine Gelegenheit zum Eingewöhnen haben werden, da es keine Trainingslager und Testspiele gibt.

Die Torwartfrage. Offenbar auch auf Zureden von Sportchef Bornemann löste Trainer Timo Schultz Stammtorhüter Robin Himmelmann ab und ersetzte ihn durch Eigengewächs Svend Brodersen. Diese Maßnahme sollte offenbar auch ein Signal an andere Spieler sein, die sich ihres Platzes im Team zu sicher wähnen. Nach Brodersens schwerem Patzer vor dem 0:2 in Fürth ist das Problem auf der Position noch größer geworden, als es zuvor war. Dazu kommt, dass Schultz mit der Streichung des gesunden Himmelmanns für den 20er-Kader in Fürth noch einen Schritt weiter ging. Grundsätzlich ist die Besetzung im Tor viel zu sensibel, um sie als Experimentierfeld zu nutzen.

Die Verletzungen. Etliche potenzielle Stammspieler wie Ryo Miyaichi, Christopher Buchtmann, James Lawrence, Guido Burgstaller, Christopher Avevor, Philipp Ziereis und Luca Zander haben bisher gar kein oder nur wenige Spiele bestritten. Diese hohe Ausfallquote ist seit Jahren ein Thema, gelöst wurde das Problem trotz einiger Personalwechsel etwa beim Athletiktrainer nicht.

Die Personalrochaden. Lediglich Außenverteidiger Sebastian Ohlsson absolvierte bisher alle 13 Punktspiele von Beginn an. Dazu kommen lediglich drei Feldspieler (Buballa, Zalazar, Kyereh), die mindestens bei zehn Spielen in der Startelf standen. Das ist gerade bei einer neuformierten Mannschaft viel zu wenig, um die Abläufe im Spiel zu automatisieren. Die zahlreichen Personalwechsel waren bisher oft, aber auch längst nicht immer durch Verletzungen (siehe oben) erzwungen. Die von Trainer Schultz anfangs propagierte Idee, eher nicht auf eine feste Grundformation, sondern mehr auf personelle Variabilität zu setzen, hat sich nicht als erfolgsversprechend herausgestellt. Die in 13 Spielen insgesamt schon 25 eingesetzten Spieler sind ein Beleg für ein eher wildes Ausprobieren. Dass sich dabei der 17-Jährige Igor Matanovic als echte Alternative für den Sturm entpuppt hat, ist zwar erfreulich, zeigt aber auch, dass etwa Simon Makienok und Boris Tashchy weit hinter den Ansprüchen hinterherhinken.

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Der Abgang des NLZ-Leiters. In seiner viereinhalb Jahre währenden Amtszeit hat der 43-jährige Stilz, der auch den Fußballlehrerschein besitzt, das NLZ neu strukturiert. Zu nennen sind vor allem die Bereiche Sportpsychologie, Athletik, Videoanalyse, Torwarttraining und Administration. Zuletzt schafften mehr Talente als je zuvor den Sprung aus den Nachwuchsteams in den Profikader. Stilz hatte maßgeblichen Anteil daran, dass junge Spieler im Verein gehalten werden konnten. „Roger hat mit seiner Hingabe und Fachkompetenz viel im NLZ bewegt und vorangetrieben“, sagte Präsident Oke Göttlich, der jetzt mit Bornemann gefordert ist, den Verlust zu kompensieren. Dass Stilz perspektivisch eine Aufgabe im Profibereich anstrebt, war nicht unbekannt.

FC St. Pauli: Diese Aspekte machen Hoffnung

Bei all diesen Problemen gibt es immerhin zwei Punkte, die etwas Hoffnung darauf machen, dass der FC St. Pauli am Ende der Saison den drohenden Abstieg vermeiden kann. Diese sind:

Zugänge und Rückkehrer. Der bereits verpflichtete Innenverteidiger Adam Dzwigala scheint nach seinem akzeptablen Debüt in Fürth eine solide Verstärkung werden zu können. Die nächste Soforthilfe soll jetzt offenbar Stürmer Omar Marmoush (21) werden, der vom VfL Wolfsburg auf Leihbasis ans Millerntor kommen könnte. Er könnte die Baustelle auf der Rechtsaußen-Position schließen. Noch im Laufe des Januars soll James Lawrence nach seinen Wadenproblemen voll einsatzfähig sein. Zusammen mit Dzwigala könnte der Waliser ein stabiles Innenverteidiger-Duo bilden – vorausgesetzt, er bleibt über einen längeren Zeitraum einsatzfähig.

Drei schwache Konkurrenten. Eintracht Braunschweig (15. Platz, 12 Punkte), der SV Sandhausen (16., 11) und die Würzburger Kickers (18., 4) bilden mit dem FC St. Pauli (17., 8) das Quartett an Teams, aus dem sich aller Voraussicht die beiden direkten Absteiger und der Teilnehmer an der Relegation rekrutieren werden. St. Paulis derzeit einziges Ziel muss es also sein, diese drei Konkurrenten am Saisonende hinter sich zu lassen. Dringend notwendig ist daher ein Sieg im Nachholspiel bei den Würzburger Kickers (Mi., 18.30 Uhr), die sich am Wochenende beim 2:4 gegen den Karlsruher SC ebenfalls desolat präsentiert hatten.

Auch wenn noch nicht einmal die Hinrunde zu Ende ist, kann dieses Match schon als erstes Abstiegsendspiel eingeordnet werden. Es spricht immerhin für den FC St. Pauli, dass die drei Konkurrenten allesamt weniger Tore erzielt und mehr Gegentore hingenommen haben. Zudem müssen alle drei Gegner in der Rückrunde noch im Millerntor-Stadion antreten.