Hamburg. St. Paulis Sturmtalent Matanovic und Torwart Brodersen genießen auch im Kellerduell in Würzburg das Vertrauen

Auch in der seit Wochen angespannten Lage hat Timo Schultz seine erfrischende Selbstironie nicht verloren. „Es ist klar, dass wir die drei Punkte holen wollen, auch wenn wir nicht gerade die Auswärtskönige sind“, sagte der Trainer des FC St. Pauli am Dienstag vor der Abreise nach Würzburg. Dort steht an diesem Mittwochabend (18.30 Uhr, Sky und Liveticker bei abendblatt.de) das letzte Auswärtsspiel des Millerntor-Teams im Jahr 2020 an. Mit dem erhofften Erfolg beim Aufsteiger könnte St. Pauli seine Horrorserie von jetzt neun sieglosen Spielen in Folge beenden.

Noch belastender ist allerdings der inzwischen schon mehr als 21 Monate anhaltende Auswärtsfluch des Teams, den Schultz mit seinem Satz ansprach. Das Match am Würzburger Dallenberg wird seit dem 1:0 am 2. März 2019 in Paderborn bereits der 27. Versuch der St. Paulianer sein, ein Zweitligaspiel außerhalb Hamburgs zu gewinnen.

Partie gegen Würzburg ist das erste Abstiegsendspiel

Doch eines ist dabei schon vor dem Anpfiff neu: Zum ersten Mal innerhalb dieser traurigen Auswärtsserie trifft St. Pauli auf einen aktuellen Tabellenletzten. Da die Hamburger selbst mit gerade einmal acht Punkten aus den bisherigen elf Spielen Tabellenvorletzter sind, liegt die Bedeutung des Spiels bei den noch um vier Zählern schwächeren Würzburgern auf der Hand. Es ist im Grunde sogar schon das erste Abstiegsendspiel, auch wenn erst ein Drittel der Saison absolviert ist.

Dies gilt sicherlich noch etwas mehr für den mit ganz anderen Ambitionen in die Saison gegangenen Aufsteiger, der im Falle einer Niederlage auf jeden Fall sieben Punkte Rückstand auf Rang 17 hätte, der ja am Saisonende ebenfalls den direkten Abstieg zur Folge hat. Aber auch für St. Pauli wäre eine erneute Auswärtspleite ein weiterer herber Rückschlag beim Versuch, wieder Anschluss an die Nichtabstiegsränge herzustellen.

Trainer Schultz macht sich „auf einen heißen Tanz gefasst“

„Wir können uns auf jeden Fall auf einen heißen Tanz gefasst machen“, sagt angesichts der Konstellation St. Paulis Trainer Schultz, der in seiner Mannschaft nach dem am vergangenen Sonntag durch zwei Tore in der Schlussphase erkämpften 2:2 gegen Erzgebirge Aue „Anspannung und positives Knistern“ spürt. Trotz der großen Bedeutung, oder womöglich auch gerade deswegen, wird Schultz wie gegen Aue wieder zwei in der Zweiten Liga noch unerfahrenen, aber daher auch nicht vorbelasteten Akteuren aus dem eigenen Nachwuchs das Vertrauen schenken. So legte er sich schon am Dienstagmorgen fest, dass der 23 Jahre alte Svend Brodersen, den er gegen Aue für Robin Himmelmann ins Tor rotiert hatte, in Würzburg und auch in dem am Sonntag noch folgenden Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf spielen wird.

Ob dies auch die Dauerlösung für den weiteren Saisonverlauf sein wird, ließ Schultz vorerst offen. „Nach dem Düsseldorf-Spiel haben wir einen kleinen Cut. Da können wir ein bisschen durchpusten und werden, was die Thematik Torhüter angeht, auch einen etwas klareren Kopf haben. Wir werden nicht jetzt in der englischen Woche eine dauerhafte Entscheidung treffen“, stellte er klar. Sonderlich lang ist die Weihnachtspause aber nicht. Schon am 3. Januar steht das Spiel bei Greuther Fürth auf dem Programm. Sollte sich Brodersen in den kommenden beiden Partien keinen groben Patzer leisten, spräche wenig dafür, ihn zu Beginn des neuen Jahres wieder aus dem Tor zu nehmen.

Igor Matanovic hat Schultz’ Vertrauen

Ebenso genießt Sturmtalent Igor Matanovic nach seinem ersten 90-Minuten-Einsatz im Profifußball am vergangenen Sonntag Schultz’ Vertrauen. „Er ist mehr als zehn Kilometer gelaufen, hatte vier, fünf richtig gute Aktionen in der gegnerischen Box. Er hat gezeigt, dass er Akzente setzen kann. Das habe ich unmittelbar nach dem Spiel schon gesagt und fühle mich jetzt bestätigt, nachdem ich mir das Spiel noch einmal angeschaut habe“, lobte Schultz seinen mit 17 Jahren mit Abstand jüngsten Spieler.

Dabei ließ der Coach keinen Zweifel daran, dass er Matanovic weiter voll einplant. „Er ist permanent torgefährlich. Ich hätte mir für ihn gegen Aue ein Tor gewünscht, hätte aber auch nichts dagegen, wenn er sich das für Würzburg aufgehoben hat. Er ist ganz klar ein Kandidat für die Startelf und ein vollwertiger Teil unseres Kaders“, sagte Schultz.

Natürlich werde er genau hinsehen, wie Matanovic die Belastung seines ersten kompletten Profispiels verkraftet hat. „Als junger Spieler regeneriert er ja schneller als ein älterer“, gibt sich der Trainer aber in dieser Hinsicht gelassen.

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Unterdessen trifft Schultz in Würzburg auf einen Trainerkollegen, mit dem er vor mehr als 20 Jahren erste Erfahrungen gemacht hat. Der heute 55 Jahre alte Bernhard Trares war bei Werder Bremen ein etablierter Profi, als der zwölf Jahre jüngere Schultz als Nachwuchsspieler zum Kader des Bundesligateams gehörte. „Ich kann mich an einige Trainingseinheiten erinnern, in denen er immer auf 110 Prozent gegangen, zusammen mit Bruno Labbadia vorneweg marschiert ist und uns junge Spieler hart rangenommen, aber auch immer wieder Tipps gegeben hat. Er war eine absolute Autoritätsperson und ein Vorbild“, sagte Schultz am Dienstag.

Jetzt ist Trares schon der dritte Würzburger Cheftrainer in dieser Saison, nachdem Aufstiegscoach Michael Schiele (jetzt Sandhausen) nach zwei Spieltagen und dessen Nachfolger Marco Antwerpen nach nur fünf Spielen gehen mussten. So gesehen kann Schultz sich glücklich schätzen, dass St. Paulis Führung mit ihm bisher erheblich mehr Geduld bewiesen hat. Der erste richtige Auswärtssieg seit März 2019 wäre aber sehr hilfreich, damit dies auch so bleibt.

Würzburger Kickers: Giefer – Meisel, Hansen, Hägele, Feick – Sontheimer, Toko – Kopacz, Lotric, Herrmann – Baumann.

FC St. Pauli: Brodersen – Ohlsson, Lawrence, Buballa, Paqarada – Benatelli, Becker – Kyereh, Zalazar, Dittgen – Matanovic.