Hamburg. St. Paulis Vizekapitän war bei allen vier Zweitligaspielen gegen den HSV dabei. Wie Knoll an das Stadtderby herangehen will.
Nach einem freien Montag startete Marvin Knoll gemeinsam mit seinen Kollegen vom FC St. Pauli am Dienstagvormittag in die Vorbereitung auf das schon an diesem Freitag (18.30 Uhr) anstehende Stadtderby im Volksparkstadion gegen den HSV. Erfrischend ehrlich spricht der 29 Jahre alte Mittelfeldspieler über die Bedeutung dieses Matches. Das ist bei dem gebürtigen Berliner ohnehin nicht anders zu erwarten, aber auch sonst sind die Zeiten offenbar passé, in denen vor einem solch emotionalen Aufeinandertreffen von einem „ganz normalen Spiel“ fabuliert wurde, „in dem es nur um drei Punkte geht“.
„Ich weiß sehr gut, was dieses Spiel unseren Fans und für den ganzen Verein bedeutet. Und auch wenn die Fans nicht da sein werden, wissen wir, dass sie hinter uns stehen und wie brisant das Spiel ist“, sagte Knoll am Dienstag nach der rund 90 Minuten langen Einheit. „Ich selbst merke das Kribbeln im Bauch schon jetzt, weil es auch für mich ein ganz besonderes Spiel ist.“
In allen vier bisherigen Zweitliga-Stadtderbys hat der Vizekapitän aktiv mitgewirkt
In allen vier bisherigen Zweitliga-Stadtderbys hat der Vizekapitän aktiv mitgewirkt, aus St. Paulis aktuellem Kader trifft dies sonst nur auf Torwart Robin Himmelmann und Verteidiger Daniel Buballa zu. Beim HSV sind lediglich Rick van Drongelen und Aaron Hunt jedes Mal dabei gewesen. Knolls Erfahrungen in diesen vier Derbys reichen von Ekstase bis zu totaler Niedergeschlagenheit, wobei die positiven Erinnerungen noch deutlich frischer sind.
In der vergangenen Saison siegte er mit St. Pauli bekanntlich zweimal mit 2:0. Beim Erfolg in der Hinserie im Millerntor-Stadion hatte er beide Treffer durch Dimitrios Diamantakos und das Eigentor von van Drongelen vorbereitet. Beim „Auswärtssieg“ im Volkspark wurde er schon in der 34. Minute für Talent Finn-Ole Becker eingewechselt, um mit seiner körperlichen Präsenz den 2:0-Vorsprung zu sichern. „Diese beiden Derbys waren natürlich etwas ganz Besonderes. Es waren auch zwei sehr gute Spiele von uns“, sagt er. Sie bescherten St. Pauli nicht nur den inoffiziellen Titel des „Stadtmeisters“, sondern vor allem im Nachhinein auch den Klassenverbleib. Denn ohne die sechs Punkte gegen den HSV wäre der Kiezclub in Liga drei abgestiegen – und der HSV wiederum in die Bundesliga zurückgekehrt.
Positive Entwicklung
„Nach dem 2:0 im Volksparkstadion haben wir ordentlich gefeiert. Ich denke, das ist normal. Es gab laute Musik und ein paar Bierchen. So will ein Derbysieg gefeiert werden“, schwärmt Knoll von den Ereignissen am 22. Februar, als noch niemand ahnte, dass schon drei Wochen später das Coronavirus auch den Bundesligafußball lahmlegen würde.
„Es gab aber auch schon ein Derby, bei dem wir richtig auf den Arsch bekommen haben“, fasst Knoll das 0:4 am Millerntor am 10. März 2019 treffend zusammen, als sein Team mit einer vom damaligen Trainer Markus Kauczinski ausgegebenen Angsthasentaktik scheinbar wehrlos unterging. Vier Wochen und zwei Niederlagen später war Kauczinski seinen Job los, obwohl das Team noch auf Platz sechs stand. Gegen diese Extreme fällt Knolls erstes Hamburger Derby, das 0:0 am 30. September 2018, emotional deutlich ab. Das Match im Volkspark war damals genauso langweilig, wie es das Ergebnis vermuten lässt.
Eine Wiederholung dieser sportlichen Tristesse ist trotz der nahezu leeren Ränge jetzt nicht zu erwarten. 15 Treffer hat der HSV bereits in den ersten fünf Spielen erzielt, St. Pauli immerhin schon zehn, was gemeinsam mit Hannover 96 derzeit der zweitbeste Wert der Liga ist. „Man sieht an unserer Spielweise, dass Timo sehr offensiv denkt und Fußball spielen lässt“, sagt Knoll über die von Trainer Timo Schultz vorgegebene Ausrichtung.
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Gleichzeitig sieht er in der Zusammensetzung des Kaders für diese Saison eine positive Entwicklung. „Wir haben verschiedene Charaktere, die sich gut ergänzen, ein paar Künstler und ein paar Arbeiter zum Beispiel“, sagt Knoll, der selbst eher zur zweiten Kategorie zählt. Über einen der neuen „Künstler“ gerät er derweil geradezu ins Schwärmen: Rodrigo Zalazar. Der 21 Jahre alte Uruguayer war zuletzt der auffälligste Akteur im St.-Pauli-Spiel. „Er ist ein richtiger Straßenfußballer, kommt gern hierher, macht sich keine Gedanken und spielt einfach drauflos. Er traut sich etwas, das gefällt mir“, sagt Knoll über Zalazar, der zudem in den beiden jüngsten Spielen jeweils einen Strafstoß nervenstark verwandelte und somit an den Punktgewinnen maßgeblich beteiligt war.
„Wenn man den Punktestand sieht, ist der HSV der Mister Perfect der Zweiten Liga. Aber bei einem Derby zählen die vorherigen Spiele eigentlich gar nicht. Wir müssen mit einem kühlen Kopf und heißen Herzen an die Sache herangehen“, lautet Knolls Devise, um weiter „Stadtmeister“ zu bleiben. Dazu verweist er auf die schon drei erfolgreichen Aufholjagden in dieser Saison: „Wir haben eine gute Moral, der Teamspirit ist da. Wir geben uns nach einem Rückstand nicht geschlagen.“ Auf verbaler Ebene hat das Stadtderby also schon begonnen.