Hamburg. Hamburger Serdar Dursun entwickelte sich bei Darmstadt 98 zum begehrten Stürmer – seinem Bruder traut er beim FC St. Pauli Großes zu.
Der Respekt von Timo Schultz ist groß, ziemlich groß. „Er ist ein Topstürmer in der Zweiten Liga, kopfballstark, robust, arbeitet gut für die Mannschaft“ sagt der Trainer des FC St. Pauli über einen Hamburger in Hessen. Serdar Dursun (29) hat sich bei Darmstadt 98 zu einem Star im Fußball-Unterhaus entwickelt, der nach elf Toren in der vergangenen Rückrunde (und 16 Treffern insgesamt) im Sommer zahlreiche Begehrlichkeiten sogar aus England geweckt hatte. „Wir wissen, was uns erwartet“, sagt Schultz vor dem Spiel am Böllenfalltor in Darmstadt am Sonnabend (13 Uhr/Sky), „hundertprozentig verteidigen kannst du ihn nicht.“
Wenn Serdar Dursun versucht, mit dem Tabellen-Elften Darmstadt gegen die Kiezkicker zu gewinnen, schaut in der Heimat Hamburg Serkan Dursun vor dem Fernseher ganz genau hin. Der kleine Bruder ist zehn Jahre jünger und kickt für die U 23 des FC St. Pauli in der Regionalliga, normalerweise. Derzeit ist er nach einer Verletzung in der Reha. Beide Brüder haben ein ganz enges Verhältnis. „Ich liebe ihn, er ist mein Ein und Alles“, sagt Serdar. „Wir haben täglich Kontakt“, erzählt Serkan, „wir sprechen viel über Fußball, aber auch über die Familie. Wenn er mal frei hat, kommt er auch hoch und besucht uns mit seiner Frau.“
Als Jugendlicher trainierte Serdar den kleinen Bruder
Für den 19-Jährigen ist sein Bruder ein Vorbild, „auf fußballerischer und menschlicher Ebene“. Serdar ist der, zu dem er immer aufgeschaut hat, schon als kleiner Junge. Wie das oft so ist bei Brüdern. „Als er 15, 16 Jahre alt war und noch zu Hause gelebt hat, hat er mich immer mitgenommen zum Fußballspielen“, erzählt Serkan: „Er hat mich immer in seine Mannschaft gewählt und vorne reingestellt. Dann hat er alle ausgedribbelt und mich so angespielt, dass ich den Ball nur noch reinschießen musste.“ Serdar erinnert sich auch gerne an diese Kinder- und Jugendtage auf dem Bolzplatz: „Als er vier, fünf, sechs Jahre alt war, war er noch keine wirkliche Hilfe“, erzählt er, „aber irgendwann war er dann richtig gut, sodass ich ihn nicht mehr gewählt habe, weil er mein Bruder war, sondern weil er einfach gut kicken konnte.“
Als 17-Jähriger hat Serdar (damals für Concordia aktiv) den jüngeren Bruder sogar ein Jahr lang im Verein trainiert, „das war eine schöne Erfahrung. Draußen beendeten wir die Saison auf dem ersten Platz.“ Als Jugendlicher wurde Serkan beim Niendorfer TSV ausgebildet bevor der Mittelstürmer vor drei Jahren in das Nachwuchsleistungszentrum des FC St. Pauli ging. „Mein Bruder könnte sogar etwas talentierter sein als ich, weil er mit beiden Füßen dribbeln und schießen kann“, lobt der „Große“: „Er bringt vieles mit, ich hoffe, dass er bald den Sprung schafft.“ Immerhin durfte Serkan in diesem Sommer schon mit den Profis trainieren und war auch mit im Trainingslager in Herzlake.
„Wie er lange Bälle sichert, wie er seinen Körper reinstellt“, das könne er von seinem großen Bruder abschauen, „auch seinen Riecher im Strafraum.“ Natürlich reden sie darüber, wie das geht. Denn Serdar kümmert sich, will dem „Kleinen“ helfen, wo immer er kann. Das hat sogar Timo Schultz schon genutzt, als er noch Serkans Trainer in der U 19 war. „Er hat mir geholfen, als Serkan am Anfang nicht ganz so fleißig war, sondern eher ein Hallodri“, erzählt St. Paulis Cheftrainer: „Da habe ich Serdar auf ihn angesetzt – und danach lief es deutlich besser.“ Der Große kümmert sich eben: „Ich analysiere seine Spiele und gebe ihm Tipps, wie er sich verhalten oder verbessern kann“, erzählt Serdar.
Serdar hat sich wieder zurückgekämpft
Er selbst hat in seiner Karriere schließlich schon eine Menge erlebt. Dabei waren sicher auch Dinge, die willst du als großer dem kleinen Bruder nicht unbedingt zumuten. „Serdar ist ein gutes Beispiel dafür, dass es im Fußball nicht immer nur geradeaus und immer steil nach oben geht“, weiß Schultz, „er hat sich wieder zurückgekämpft.“
Lesen Sie auch:
- Schock für FC St. Pauli: Guido Burgstaller wird operiert
- "Nehmt Corona ernst“: James Lawrence warnt vor der Infektion
Denn eigentlich war er schon so gut wie gescheitert auf seinem Weg. Als 17-Jähriger verließ er den SC Concordia trotz Anfragen vom HSV und St. Pauli Richtung Hannover 96 in die U 19. Den erhofften Sprung in den Profibereich hat er da aber nicht geschafft und verschwand mit 20 in die Türkei, wo er fünf Jahre teilweise sogar in der Dritten Liga kickte. Bis er 2016 von der SpVgg Greuther Fürth in den deutschen Profifußball zurückgeholt wurde. Von da an ging’s bergauf. „Er hat in seiner Karriere viele Tiefen durchgemacht, aber sich immer durchgekämpft und hart an sich geglaubt“, sagt Serkan Dursun, der ebenfalls als Offensivspieler für das Toreschießen zuständig ist: „Jetzt stellt er sein Können unter Beweis.“
Vor allem gegen den HSV ist er bislang besonders erfolgreich gewesen
Natürlich will Serkan Dursun das auch am Sonnabend gegen den FC St. Pauli zeigen. Doch, Spiele gegen Hamburger Vereine seien für ihn als Hamburger Jung schon speziell. Die Verbindung in die Heimat ist noch stark. „Meine Eltern leben hier noch. Ich bin alle zwei bis drei Monate in der Stadt, leider schaffe ich es nicht öfter“, erzählt er. Auch die alten Kameraden aus der Jugendzeit bei „Cordi“ hat er nicht vergessen: „Zu den Jungs habe ich noch Kontakt. Ich bin sehr dankbar für meine Zeit bei Concordia.“
Vor allem gegen den HSV ist er bislang besonders erfolgreich gewesen. Drei Tore in vier Spielen, das ist schon was. Gegen St. Pauli war es „nur“ ein Tor in sieben Partien mit Fürth und Darmstadt. Der Respekt ist zwar groß, dennoch glaubt Schultz: „Ich bin überzeugt davon, dass wir ihn von seiner Wirkung einschränken können, wenn wir uns gut gegenseitig unterstützen.“
Und wie löst Bruder Serkan den Loyalitätskonflikt am Sonnabend zwischen Bruder und Verein? Wem drückt er die Daumen? „Wenn das Spiel 4:3 für St. Pauli ausgeht und mein Bruder einen Hattrick macht, bin ich glücklich“, sagt er: „Dann passt es für mich.“