Hamburg. Der Kiezclub legt ein 16-seitiges Positionspapier vor und fordert: gerechtere Verteilung der TV-Gelder und mehr Einfluss der Fans.

Als die Corona-Krise im Frühjahr hierzulande ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte und das öffentliche Leben inklusive des Sports in weiten Teilen lahm gelegt war, gaben sich auch die führenden Köpfe des deutschen Profifußballs plötzlich ganz kleinlaut und demütig. Die real drohende Gefahr, dass 13 der 36 Clubs der beiden höchsten Profiligen einen Abbruch der Saison neun Spieltage vor Schluss und dem damit verbundenen Einnahmeverlust von rund einem Viertel der Fernsehgelder wirtschaftlich nicht überleben würden, hatte die Protagonisten aufgeschreckt.

So wie bisher, war die einhellige Meinung, dürfe es nicht mehr weitergehen. Reformen müssten her, um das – trotz bis dahin immer weiter steigender Einnahmen – höchst riskante Finanzgebaren vieler Clubs zu beenden.

Einige Wochen und neun weitgehend problemlos durchgezogene Geisterspieltage später scheint sich schon vieles von dem, was eben noch Konsens war, verflüchtigt zu haben, wie die zum Teil schon vollzogenen und geplanten Millionentransfers beweisen. Geht also im deutschen Profifußball im Wesentlichen doch alles so weiter wie zuvor, weil man bislang bloß ein blaues Auge davongetragen hat?

FC St. Pauli plant die Fußball-Revolution

Dieser Tendenz hat jetzt der FC St. Pauli einen Kontrapunkt entgegengesetzt, indem er ein 16 Seiten starkes Positionspapier zur Zukunft des deutschen Profifußballs erarbeitet und veröffentlicht hat. Eingebunden in die Erstellung dieses Werkes wurden auch Vertreter der Fans.

„Ein anderer Fußball ist möglich – den deuschen Profifußball reformieren“, lautet der Titel dieses Papiers, das der Millerntor-Club wohl nicht ganz zufällig nur wenige Tage vor der Versammlung der Deutschen Fußball Liga (DFL) am kommenden Dienstag publiziert hat.

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Die in dem Werk dargelegten Forderungen zielen insgesamt auf einen ausgeglicheneren Wettbewerb, eine Regulierung von Ausgaben insbesondere für Spielergehälter, Beraterhonorare und Ablösesummen, die Belohnung für nachhaltiges Wirtschaften, eine stärkere Berücksichtigung des Gemeinwohls, die Berücksichtigung dieser Punkte im Lizenzierungsverfahren, die finanziell vorrangige Behandlung der DFL für Vereine, die die 50+1-Regel beachten, die Talentausbildung bei der Verteilung von Einnahmen stärker zu gewichten und schließlich einen Fanbeirat zu gründen, der von der DFL bei allen fanrelevanten Themen angehört wird und Empfehlungen abgibt.

Präsident Göttlich fordert umgehend Reformen

„Die Corona-Krise hat überdeutlich die Schwächen des Systems Profifußball aufgedeckt. Wir sind aufgefordert, gemeinsam mit allen 36 Profifußballclubs und den Verbänden DFL und DFB, die Gelegenheit zu nutzen, aus einem eigenen Antrieb heraus, den Profifußball zu reformieren. Die anstehende neue Rechteperiode bietet uns die Gelegenheit, jetzt Reformen in Angriff zu nehmen“, sagte St. Paulis Präsident Oke Göttlich, der auch Präsidiumsmitglied der DFL ist.

Als kurz nach Beginn der Coronakrise die „Schwächen des Systems Profifußball mehr als offensichtlich“ geworden seien, hatten sich verschiedene Fans, so berichtet Sven Langner als Vertreter des Fanladens, an seine Institution mit der Idee gewandt, ein Positionspapier mit konkreten Forderungen nach Reformen zu erstellen. Schnell sei der Entschluss gereift, dies gemeinsam mit dem Verein zu tun. Dies sei dankbar aufgenommen worden.

„Aus Sicht der Fans sind die geforderten Reformen absolut notwendig, um die fortschreitende Entfremdung zwischen dem Fußball und seiner Fanbasis zu stoppen. Wir wollen zu einem Fußball zurückkommen, mit dem die Fans sich identifizieren können und in dem ihre Stimme Gewicht hat. Nachhaltigkeit, fairer Wettbewerb, Partizipationsmöglichkeiten und demokratische Teilhabe sind die Grundlagen, für einen gesunden Fußball und eine lebendige Fankultur“, sagt Langner.

Wird TV-Geld unsolidarisch verteilt?

Ein Kernpunkt der Forderungen besteht darin, dass bei den Einnahmen eines Clubs die Bereiche „Vom Ligenverbund generiert“, „durch den Club generiert“ und „Extern generiert/Zuführung ohne Gegenwert“ unterschieden werden. Dabei sollen künftig die Einnahmen aus dem dritten Bereich, wozu Zuwendungen durch Mäzene sowie Sponsorings mit Beträgen, die deutlich oberhalb eines marktüblichen Wertes liegen, nur noch im gemeinnützigen Bereich der Clubs verwendet werden und vor allem nicht mehr für das Lizenzverfahren relevant sein.

Gleiches soll für die Verlustabführungsvereinbarungen von Werksvereinen gelten. Anders gesagt: Für die Erteilung der Lizenz sollen nur noch die von der DFL für die gesamte Liga und die von den einzelnen Clubs direkt erzielten Einnahmen durch Tickets, Merchandising und Sponsoring in marktüblicher Höhe als Kriterium herangezogen werden. Es liegt auf der Hand, dass sich die Forderung gegen Clubs wendet, die von Konzernen wie Bayer und VW wirtschaftlich am Leben gehalten werden, auch wenn sie im operativen Geschäft regelmäßig Verluste einfahren.

Ebenso brisant ist die Forderung, die Erlöse aus der medialen Vermarktung deutlich gleichmäßiger auf die Clubs zu verteilen. Die Belohnung sportlichen Erfolgs führe dazu, dass Clubs immer mehr finanzielle Risiken eingehen, um mehr TV-Geld zu erhalten. Künftig solle nachhaltiges Wirtschaften und nicht der kurzfristige sportliche Erfolg mehr Gewicht bei der Verteilung bekommen. „Wir haben den unsolidarischsten Verteilungsschlüssel in Europa“, moniert Göttlich.