Die Hamburger offenbaren so große Defizite, dass trotz fünf Punkten Vorsprung die Angst vor dem Abstieg bleibt.

Das Beste am Sonntagnachmittag war für alle, die es mit dem FC St. Pauli halten, das Ergebnis. Der 2:1-Heimsieg (2:0) gegen den FC Erzgebirge Aue, der als auswärtsschwächstes Team der Zweiten Liga ans Millerntor gereist war und auch wieder abreiste (acht Punkte aus 15 Spielen), war so überaus glücklich, dass er für die verbleibenden drei Ligaspiele bestenfalls eine kleine Portion neues Selbstvertrauen im weiter anhaltenden Kampf um den Klassenverbleib beschert haben dürfte.

„Wir sind froh, dass wir mal wieder ein Spiel gewonnen haben“, sagte nach 94 nervenaufreibenden Minuten St. Paulis Cheftrainer Jos Luhukay und vermittelte mit diesem Satz deutlich mehr Erleichterung als Siegesfreude nach zuvor vier Partien am Stück ohne Erfolgserlebnis. „Es war schwer für uns, weil wir keine Sicherheit in unserem Defensivverhalten hatten. Wir hatten vor allem in der ersten halben Stunde Glück, dass die Auer oft nicht die richtige Entscheidung für den letzten Pass getroffen haben.“

„Aue ist es gelungen, unsere Nerven zu strapazieren“, fasste Kapitän Daniel Buballa, der nach seiner kurzen Verletzungspause wieder als Innenverteidiger neben Leo Östigard aufgeboten worden war, treffend zusammen. „Wir sind in der ersten Halbzeit zum Teil fahrig mit dem Ball umgegangen und haben ihn zu oft verloren“, sagte er weiter.

Diamantakos trifft aus dem Nichts …

Nur in einem Punkt gebührte St. Pauli in den ersten 45 Minuten das Prädikat „Gut“ – bei der Chancenverwertung. Besser gesagt war sie geradezu absurd gut. So traf Stürmer Dimitrios Diaman­takos gleich mit dem ersten ernst zu nehmenden Torschuss zum 1:0 (22. Minute) ins Netz, nachdem zuvor die Auer durch Philipp Zulechner (10.) und vor allem Dimitrij Nazarov (18.) sehr gute Möglichkeiten zur Führung ausgelassen hatten. Wenn der (zu) oft genutzte Begriff von einem „Tor aus dem Nichts“ wirklich zutrifft, dann auf diesen Führungstreffer nach zuvor durchweg misslungenen Angriffsbemühungen.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich auch Linksverteidiger Matt Penney und Innenverteidiger Leo Östigard Gelbe Karten eingehandelt, was grundsätzlich denkbar schlechte Voraussetzungen für den weiteren Verlauf eines umkämpften Spiels sind.

Als sich dann aber der diesmal überraschend im defensiven Mittelfeld eingesetzte Sebastian Ohlsson erstmals mit einem entschlossenen Vorstoß in einen Angriff über links einschaltete und flach und scharf in den Strafraum passte, versenkte der dort heraneilende Diamantakos den Ball mit seinem starken linken Fuß im Auer Tor.

… und scheitert vom Punkt

Es war der zehnte Saisontreffer des nach der Saison ablösefrei zu Hajduk Split wechselnden Griechen, der seit 2017 der erste St.-Pauli-Profi ist, der einmal wieder die Zehn-Tore-Marke in einer Saison erreicht hat. Damals hatte Aziz Bouhaddouz in seiner besten Saison 15 Treffer erzielt.

Trainer Luhukay hatte sich auch aufgrund des Ausfalls von Ryo Miyaichi entschieden, gegen Aue auf klassische Außenstürmer zu verzichten und stattdessen Henk Veerman neben Diamantakos als zweite zentrale Sturmspitze aufzubieten. Prompt nutzte der Niederländer, der nach der Corona-Pause weit von seiner Form aus dem Winter entfernt und torlos geblieben war, seine erste gute Chance ziemlich abgebrüht zum 2:0 (41.), als die Auer Abwehr einen Flankenball von Matt Penney nicht unter Kontrolle bekommen hatte.

Dann war jedoch Schluss mit der effektiven Chancenverwertung. Als in der Nachspielzeit der ersten Hälfte Rechtsverteidiger Luca Zander bei einem mutigen Vorstoß in den Strafraum im Duell mit dem früheren St.-Pauli-Verteidiger Jacob Rasmussen zu Fall kam, entschied Schiedsrichter Thorben Siewer auf Strafstoß. Diamantakos aber nutzte diese Möglichkeit, das Match schon zur Pause praktisch zu entscheiden, nicht und scheiterte mit einem schwachen Schuss in die Mitte an Keeper Martin Männel. Das war immerhin insofern eine Steigerung, weil er zuletzt beim 0:4 in Darmstadt am Tor vorbeigeschossen hatte.

Der FC St. Pauli in der Einzelkritik

„Die zweite Halbzeit wäre uns leichtergefallen, wenn wir vor der Pause das dritte Tor erzielt hätten. Das war vielleicht der Knackpunkt im Spiel. So blieb es bis zum Ende spannend, auch weil Aue den Anschluss erzielen konnte“, analysierte Luhukay. „Es war ein glücklicher Sieg, der aber vielleicht auch nicht unverdient war, weil wir am Ende standgehalten haben.“

Der von Luhukay angesprochene Gegentreffer, den ausgerechnet St. Paulis früherer Kapitän Sören Gonther (74.) per Kopf nach einem Eckball erzielte, bescherte den Hamburgern noch einmal einen reichlich unnötigen Nervenkitzel. „Das Gegentor nehme ich auf meine Kappe, weil ich einmal nicht aufpasse und Gonther mir im Rücken wegläuft“, sagte Kapitän Buballa erfrischend ehrlich. „Aber am Ende bringen wir den Vorsprung über die Zeit. Es sind enorm wichtige drei Punkte.“

Fünf Punkte sind kein großes Polster

Diese Einschätzung gewann insbesondere durch den gleichzeitigen 2:1-Sieg des zuvor auf Rang 16 stehenden KSC gegen den VfB Stuttgart an Bedeutung. Schon mit einem bis in die Schlussphase drohenden Unentschieden wäre St. Paulis Vorsprung auf den Abstiegsrelegationsplatz 16 auf drei Punkte geschmolzen. Aber auch jetzt sind die je fünf Punkte Abstand zu Karlsruhe (15.) und den auf Platz 16 abgestürzten 1. FC Nürnberg bei drei ausstehenden Spielen längst kein beruhigendes Polster bei noch drei ausstehenden Spielen und damit neun zu vergebenden Punkten.

Die nicht zu übersehenden Unsicherheiten im gesamten Defensivverhalten, die Aue zur vergleichsweise hohen Zahl von 17 Torschüssen einluden, zeugen von wenig Fortschritt gegenüber den vorherigen Niederlagen in Bochum (0:2) und Darmstadt (0:4). Anders gesagt: Ein echter Befreiungsschlag war dieser erst neunte Saisonsieg weder von der Tabellenkonstellation her noch vom gesamten Auftritt.

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Angesichts immer wieder deutlich veränderter Startformationen fehlt es dem Team an Automatismen und Feinabstimmung. Ein guter Griff war allerdings Luhukays taktische Maßnahme, Sebastian Ohlsson als „Bewacher“ von Aues torgefährlichem Spielmacher Nazarov ins Rennen zu schicken.

„Am besten machen wir am Mittwoch in Hannover so weiter“, sagte Luca Zander ausgepumpt nach dem Abpfiff. Aus St.-Pauli-Sicht kann das nur im Hinblick auf das Ergebnis unterschrieben werden. Ansonsten wird eine deutlich konzentriertere Defensivarbeit nötig sein, um nicht die nächste Auswärtsniederlage zu kassieren und die eigene Lage im Abstiegskampf wieder zu verschlechtern.