Hamburg. Einer gönnte sich nach dem Derby-Triumph besonders wenig Schlaf. Wie der Kiezclub das 2:0 gegen den Stadtrivalen einordnet.
Der Regen prasselte auf den Trainingsplatz, dazu gab es immer wieder starke Windböen. Keine 20 Anhänger des FC St. Pauli hatten sich am Tag nach dem historischen Derbysieg gegen den HSV auf der Trainingsanlage des Kiezclubs an der Kollaustraße eingefunden, um den Siegern zu gratulieren und sie bei der Regenerationseinheit sowie die Reservespieler beim Spielersatztraining zu beobachten. Nichts war von Siegestrunkenheit oder Euphorie zu spüren, weder am Rande des Platzes noch auf dem Rasen selbst.
Die Spieler hatten am Abend zuvor schon in der Kabine ihren Erfolg ausgelassen gefeiert. Es war der erste Pflichtspiel-Heimsieg des FC St. Pauli über den HSV seit 1960, denn die beiden Erfolge in der Bundesliga 1977 und 2011 waren im Volksparkstadion jeweils in einem Heimspiel des HSV gelungen.
„Ich habe die Spieler nicht gefragt, wann sie schlafen gegangen sind“, sagte Trainer Jos Luhukay am Dienstagmittag. Es waren aber alle pünktlich zum Training erschienen. Das Pflichtbewusstsein und das Wissen, dass am kommenden Sonntag beim heimstarken Aufsteiger VfL Osnabrück die nächste schwierige Aufgabe ansteht, waren offenbar stärker als der Drang, siegestrunken durch die Nacht zu feiern.
Luhukay schaut das Spiel in der Nacht nochmal
Trainer Luhukay zog es auch nach Hause, und doch kam er erst spät zur Ruhe. „Für mich war es eine sehr kurze Nacht, ich bin erst gegen Viertel vor drei eingeschlafen. Ich habe mir das Spiel noch einmal angeschaut und bin dann mit einer gewissen Freude eingeschlafen. Um sieben Uhr bin ich wieder aufgestanden“, verriet er am Dienstag. „Wenn man so ein Spiel erlebt, das es nicht jeden Tag gibt, ist das ein Moment in einer Trainerkarriere, den man nicht vergisst“, sagte er weiter. Auf jeden Fall kann sich der Niederländer gewiss sein, sich mit dem Sieg über den HSV einen gewaltigen Vertrauensbonus auch bei jenen Anhängern erworben zu haben, die ihm aufgrund seiner kompromisslosen und wenig diplomatischen Art bisher skeptisch gegenüberstanden.
„Ich weiß, welche Bedeutung dieses Spiel für unsere Fans hatte. Der Sieg war eine Genugtuung nach der intensiven Arbeit der vergangenen fünf, sechs Wochen, in denen wir nicht immer die gewünschten Ergebnisse erzielen konnten. Ich habe der Mannschaft heute Morgen ein großes Kompliment gemacht“, berichtete Luhukay.
Luhukays Mix-Rechnung geht auf
Der Trainer kann sich dank des Ergebnisses und noch mehr dank des mutigen, engagierten, aber nicht etwa kopflosen, sondern weitgehend taktisch disziplinierten Auftritts seines Teams in seiner bisherigen Arbeit bestätigt fühlen. So fruchtete auch die mutige Entscheidung, mit dem erst 19 Jahre alten Leo Östigard und dem erst Ende August verpflichteten James Lawrence (27) ein Innenverteidiger-Duo aufzubieten, das zuvor noch nie zusammengespielt hatte.
Überhaupt setzte er im Derby gleich fünf Spieler ein, die zwischen 19 und 21 Jahre alt sind. „Die Mischung wird immer weiterwachsen zwischen den erfahreneren und ganz jungen Spielern“, sagte Luhukay voller Überzeugung. „Wie die Spieler füreinander da waren und sich gegenseitig geholfen haben in brenzligen Situationen ist auch wichtig für die nächste Aufgabe und zeigt, wie die Mannschaft weiter zusammenwächst“, sagte er weiter.
Ausgerechnet gegen den HSV erstmals zu Null
Das Spiel gegen den HSV bestätigte den bis dahin noch etwas vagen Eindruck, dass Luhukay aussichtsreich dabei ist, ein Team zu formen, das eine grundsätzliche Spielidee verfolgt, dabei aber taktisch flexibel agieren und auf die Qualitäten und Schwächen des jeweiligen Gegners reagieren kann. Was dabei herauskommen kann, war zuletzt schon bei der perfekten ersten halben Stunde bei Dynamo Dresden zu beobachten, als sich das St.-Pauli-Team eine 3:0-Führung herausspielte.
Mit Ausnahme des knappen 2:1-Erfolgs gegen Holstein Kiel aber war es St. Pauli vor dem Stadtderby nicht einmal gelungen, seine zeitweise überzeugenden Auftritte auch zu einem Sieg zu nutzen. Dass ausgerechnet jetzt gegen den offensivstarken HSV (acht Auswärtstore) das erste Saisonspiel ohne Gegentreffer gelang, hatte zum einen mit Glück und der Leistung von Torwart Robin Himmelmann, zum anderen aber auch mit einer positiven Weiterentwicklung des Teams zu tun, die es jetzt zunächst beim Auswärtsspiel am Sonntag (13.30 Uhr) beim VfL Osnabrück zu bestätigen gilt.
St. Pauli will den Derbyfluch besiegen
Dafür ist notwendig, dass der „Derbyfluch“, der zuletzt den HSV und schon zweimal den FC St. Pauli (1977 und 2011) in Form von Negativserien nach einem Derbysieg ereilt hatte, sich nicht wiederholt. „Irgendetwas ändert sich ja immer. Wir werden alles dafür tun, dass es schon am Sonntag in Osnabrück anders wird“, sagte am Montagabend St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann. Vielmehr soll der Erfolg gegen den HSV das Selbstvertrauen noch einmal stärken. „Gerade für die Spieler, die im März das 0:4 gegen den HSV miterlebt hatten, ist der Sieg ein mentaler Schub für die nächsten Aufgaben“, sagte Luhukay.
Unterdessen wies Sportchef Bornemann darauf hin, dass St. Pauli in den ersten sechs Spielen ein durchaus ambitioniertes Programm zu absolvieren hatte. „Unsere bisherigen Gegner waren ja keine Laufkundschaft, wenn man sich die Tabelle anschaut. Wir waren schon in Bielefeld und in Stuttgart nah dran. Heute haben wir es dann realisiert, so ein Spiel zu gewinnen“, sagte er. Tatsächlich hat St. Pauli schon gegen die ersten vier Teams der aktuellen Tabelle gespielt und war in keinem Match chancenlos.
Verteidiger Philipp Ziereis und Stürmer Henk Veerman können nach ihren auskurierten Kreuzbandrissen am Donnerstag wieder voll in das Mannschaftstraining einsteigen. Entwarnung gab es für den kurzfristig an einem Magen-Darm-Infekt leidenden James Lawrence.