Hamburg. St. Paulis 18 Jahre alter Mittelfeldspieler darf bei Trainer Jos Luhukay endlich zeigen, welche Qualität er besitzt.

Eine Gemeinsamkeit mit Jos Luhukay hat Finn Ole Becker schon erkannt – trotz des beträchtlichen Altersunterschieds von 37 Jahren. „Wir sind beide Fans vom FC Barcelona und von Ajax Amsterdam“, sagt der am 8. Juni 19 Jahre alt werdende Mittelfeldspieler des FC St. Pauli über seinen seit vier Wochen amtierenden Cheftrainer. Gemeint ist vor allem die Spielweise der beiden Topteams, die in dieser Woche im Halbfinale der Champions League zu sehen sind. Schnelles, direktes Passspiel ist das, was Barça und Ajax auszeichnet und von Luhukay auch bei St. Pauli – natürlich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten – propagiert wird.

Auch sonst haben sich mit Luhukay und Becker offenbar zwei gefunden, die zusammenpassen – jeder in seiner Rolle. Seit der Niederländer beim Millerntor-Club das Traineramt übernommen hat, setzt er auf Becker, gibt ihm Tipps und schenkt ihm Vertrauen, so wie zuletzt beim ersten 90-Minuten-Einsatz bei Dynamo Dresden. „Der Trainer spricht mehr mit mehr, als es vorher Markus Kauczinski getan hat“, berichtet Becker. „Vertrauen ist am wichtigsten.“ Das hatte Kauczinski offenbar nicht, jedenfalls hatte er Becker nie in den 18er-Kader für ein Zweitligaspiel berufen.

Finn Ole Becker ist schon eine Art Vorbild

In Dresden durfte Finn Ole Becker zentral-defensiv als alleiniger „Sechser“ spielen. „Da habe ich vorher noch nicht so oft gespielt. Aber ich sehe mir viele andere Spiele an und schaue mir einiges ab – zum Beispiel von Frenkie de Jong“, sagt er. Der 21 Jahre alte, niederländische Nationalspieler von Ajax Amsterdam ist derzeit eines seiner Idole. „Der Trainer hatte mir vorher gesagt, dass ich viele Freiheiten habe und es nicht schlimm ist, wenn ich mal einen Ball verliere. Das hat mir Mut gegeben“, berichtet Becker.

Inzwischen ist er auch selbst schon eine Art Vorbild. Für all jene, die derzeit in St. Paulis Nachwuchsteams spielen und von der großen Profikarriere träumen, ist er neben den inzwischen 21 Jahre alten Florian Carstens und Ersin Zehir sowie Torwart Svend Brodersen (22), der lebende Beweis dafür, dass es bei St. Pauli tatsächlich eine „Durchlässigkeit“ gibt, wie es immer gern formuliert wird. Soll heißen: es gibt für die besten Nachwuchsspieler des Clubs nicht nur die theoretische Möglichkeit, den Sprung in die Profimannschaft zu schaffen, sondern eine echte Chance.

„Den kannst du nicht verhindern“

Genau das hat es zuvor bei St. Pauli jahrelang nicht gegeben, obwohl immer wieder mal vielversprechende Talente aus dem eigenen Nachwuchs in den Profikader aufgenommen wurden. Den richtigen Durchbruch aber schafften weder Nico Empen und Dennis Rosin noch Maurice Litka und Bentley Baxter Bahn, um nur ein paar Namen aus der jüngeren Vergangenheit zu nennen. Es mag bei diesem Quartett und anderen zuvor auch daran gelegen haben, dass deren Qualität einfach nicht für eine der beiden deutschen Topligen ausreichte. Andere, wie Sam Schreck (Leverkusen) oder Youssoufa Moukoko (Dortmund), die es schaffen können, verließen dagegen schon früh den Kiezclub.

Im Nachwuchs heißt es intern schon seit längerer Zeit über Finn Ole Becker: „Den kannst du nicht verhindern.“ Anders ausgedrückt: Er wird sich im Profifußball durchsetzen, beim FC St. Pauli oder eben anderswo. Erleidet Becker keine massiven Rückschläge, könnte er schon in der kommenden Saison regelmäßig in der Zweiten Liga spielen und sich mithin auch für höhere Aufgaben empfehlen. Auf dem Radar der großen Clubs ist er als U-19-Nationalspieler ohnehin schon, vom Sommer an ist er dann Kandidat für das deutsche U-21-Team.

Wechselgedanken derzeit kein Thema

Im Oktober 2018 verlängerte der FC St. Pauli den Vertrag mit Becker vorzeitig bis 30. Juni 2022. Das zeugt von Vertrauen in seine Fähigkeiten, aber auch von der Einschätzung, dass das seit Jahren größte Talent des Clubs irgendwann nicht zu halten sein wird. Wenn dieser Tag kommt, soll wenigstens eine stattliche Ablösesumme fließen. Dass er jetzt auch von anderen Clubs mehr als zuvor wahrgenommen wird, sieht er selbst sehr gelassen: „So ist Fußball.“ Im Moment aber sind für Finn Ole Becker Wechselgedanken kein Thema. „Ich habe auch keinen Karriereplan. Darüber mache ich mir überhaupt keinen Kopf. Ich bin froh, dass ich jetzt mal spielen durfte“, bekräftigt er. „Hier bei St. Pauli weiß ich, dass man auf mich setzt. Das hat mir auch Andreas Rettig schon gesagt.“

Die Gelegenheit, sich auf dem Spielfeld zu profilieren, dürfte er am kommenden Sonntag (15.30 Uhr) erneut bekommen, wenn St. Pauli gegen den VfL Bochum spielt. Nach seinem erfrischenden 90-Minuten-Auftritt in Dresden spricht jedenfalls alles dafür.

Bis Saisonende muss der FC St. Pauli auf Kapitän Johannes Flum verzichten. An diesem Mittwoch lässt er sich in Frankfurt am Main eine Metallplatte und Drähte aus dem Knie entfernen, die ihm im Dezember 2015 nach einem Kniescheibenbruch eingesetzt worden waren. Am Dienstag beendete Jeremy Dudziak mit Schmerzen am linken Fuß das Training vorzeitig. Alexander Meier ließ seinen am Montag lädierten Fuß untersuchen.