Hamburg. Jos Luhukay lobt das Offensivspektakel seines Teams beim 4:3-Heimsieg gegen Jahn Regensburg. Wovor er die Spieler warnt.
Am Vormittag nach dem ersten Sieg seit dem 2. März konnten den Spielern des FC St. Pauli weder der Temperatursturz noch der Dauerregen etwas anhaben, als sie ihr Regenerations- und Spielersatztraining absolvierten. Der 4:3 (1:2)-Erfolg gegen den SSV Jahn Regensburg am Nachmittag zuvor hatte für große Erleichterung nach acht Wochen voller Frust gesorgt und gleichzeitig die Hoffnung geweckt, die Saison nun doch noch mit Erfolgserlebnissen und in der Konsequenz auch mit einem guten Gefühl im Hinblick auf die kommende Spielzeit abschließen zu können. Mehr noch: Das Team vom Millerntor zeigte insbesondere in der zweiten Halbzeit die Art von Fußball, die der seit dem 10. April amtierende Jos Luhukay propagiert.
Knolls starker linker Fuß
„Die zweite Halbzeit war unsere beste in der ganzen Saison“, sagte Mittelfeldspieler Marvin Knoll in einem Anflug von Euphorie. Diese war gerade bei ihm nachvollziehbar, weil er zu einer entscheidenden Figur des Spiels avanciert war. Hatte der 28-Jährige in den vergangenen Wochen fast alle Stärken, die ihn in der erfolgreichen Hinrunde noch ausgezeichnet hatten, weitgehend vermissen lassen, so brachte er jetzt gegen seinen ehemaligen Club aus Regensburg diese Qualitäten wieder auf den Rasen. Dazu gehörte neben seinem Einsatz und dem Willen, das Spiel an sich zu reißen, vor allem auch sein starker linker Fuß bei Freistößen und Ecken.
Dem Treffer zum 2:2-Ausgleich ging sein Freistoß an den linken Pfosten voraus, die darauf folgende Flanke des aufgerückten Innenverteidigers Florian Carstens nutzte Kapitän Johannes Flum per Kopf zu seinem ersten Saisontor. In die Kategorie „Frechheit siegt“ gehörte Knolls Treffer zur 3:2-Führung, als er sich traute, einen Freistoß aus der Linksaußenposition direkt, flach und an der Regensburger Zwei-Mann-Mauer vorbei direkt auf das Tor zu schießen. „Ich hatte gesehen, dass die Mauer nicht so perfekt gestellt ist. Da habe ich mir gesagt, dass ich es einfach mal direkt versuche. Ich hatte ein ziemlich gutes Gefühl“, erzählte Knoll später über sein ganz persönliches Erfolgserlebnis. Das Gefühl trog nicht. Noch am Nachmittag waren Videos dieses Treffers aus allen möglichen Zuschauerperspektiven in den sozialen Netzwerken zu sehen.
Mit Diamantakos funktionierte das Pressing
Knoll schwärmte in seiner typisch offenen Art: „Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Es ist doch einfach geil, wenn du völlig tot bist und hast gewonnen. Ich hoffe, dass das Spiel jetzt nicht nur ein Ausrutscher von uns war.“ Die Betrachter des Spiels waren von Knolls starkem Auftritt beeindruckt, fragten sich aber zugleich, welche Position er eigentlich spielen sollte. Mal reihte er sich zwischen die beiden Innenverteidiger Florian Carstens und Justin Hoogma ein, dann wiederum agierte er als Abräumer vor der Abwehr, aber auch offensiver im Mittelfeld. „Ich will ja nicht zu viel verraten, aber wir hatten einen Plan A, B und auch C. Angefangen habe ich als Sechser, dann war ich Innenverteidiger, Achter und dann wieder Sechser“, sagte er dazu.
Tags darauf bestätigte Trainer Luhukay, dass er Knoll je nach Spielsituation auf andere Positionen gestellt hatte. „Er ist vom Naturell her ein Mittelfeldspieler und kann die Momente erkennen, wann er weiter nach vorn gehen kann.“
Ein anderer Gewinner des Spiels neben Knoll war Stürmer Dimitrios Diamantakos, der seit dem Jahreswechsel wegen zweier Muskelverletzungen insgesamt acht Spiele komplett verpasst hatte und nur zu zwei Einsätzen gekommen war. Jetzt schenkte ihm Trainer Luhukay erstmals das Vertrauen und verzichtete dafür auf Alexander Meier, der erst für die Schlussphase eingewechselt wurde. Mit dem flinken Diamantakos funktionierte das von Luhukay gewünschte Pressing besser als zuvor. Dazu bewies der Grieche seine Schussqualität mit links beim Treffer zum 1:1-Zwischenstand aus rund 18 Metern.
Luhukay warnt vor Selbstzufriedenheit
Zur Wahrheit des ersten Sieges nach einer gefühlten Ewigkeit gehörte auch, dass St. Pauli durch haarsträubende Fehler und Nachlässigkeiten in der Abwehr zweimal in Rückstand geriet und in der Nachspielzeit den Anschlusstreffer kassierte. Nicht immer wird St. Pauli künftig selbst so viele Tore erzielen, dass solche Defensivprobleme ohne negative Auswirkungen bleiben. „Die Mannschaft hat die Rückstände mental besser verkraftet als in den Spielen vorher“, analysierte Luhukay. „Sie hat die Dynamik und Energie aus sich herausgeholt, um so ein Spiel abzuliefern. Wir haben unseren Fans etwas geboten, hatten gute Spielzüge, sind zum Abschluss und zu Toren gekommen.“
Trotz der starken zweiten Halbzeit warnte Luhukay auch vor Selbstzufriedenheit. „Es gibt keinen Grund, sich zurückzulehnen. Hundertprozentig zufrieden ist man ja nie.“ Grundsätzlich will St. Paulis Trainer Offensivfußball von seinem Team sehen. „Ich mag das Spektakel“, sagte er. „Je mehr Tore fallen, desto mehr Begeisterung ist auf den Rängen. Ich habe nichts gegen hohe Ergebnisse.“ Zudem sei die Chance zu gewinnen höher, wenn man viele Tore schieße.
Der Sieg gegen Regensburg bestätigte diese These, wobei der Treffer zum vorentscheidenden 4:2 durch Ryo Miyaichi durchaus fragwürdig war, weil der im Abseits stehende Alexander Meier sich zunächst aktiv dem Ball näherte, ehe er ihn Miyaichi überließ, der nicht im Abseits war. Daran störten sich die St. Paulianer am Tag danach genauso wenig wie am Regen.