Hamburg. Andreas Rettig konzentriert sich auf einen Wunschkandidaten. Interims-Sportdirektor macht die Mannschaft mit harten Worten “rund“.

Andreas Rettig schaut genau hin. Bei jedem Training ist der kaufmännische Geschäftsführer des FC St. Pauli dabei, will ein Gefühl dafür bekommen, wer voll mitzieht, oder eben nicht. Nach der Misserfolgsserie von sechs Spielen ohne Sieg wurden die Zügel im Trainingsgelände an der Kollaustraße angezogen. Rettig, der nach der Trennung von Uwe Stöver auch interimsmäßig als Sportchef Verantwortung trägt, hat die Spieler am Mittwoch vor dem Training in einer Ansprache „rund“ gemacht. „Das waren harte und klare Worte“, berichtet Mittelfeldspieler Marvin Knoll aus der Kabine.

Denn auch wenn das letzte zarte Pflänzlein Aufstiegshoffnung durch die Minusleistung beim 0:3 in Heidenheim am vergangenen Sonntag brutal zertrampelt wurde und andererseits auch keine Abstiegsgefahr mehr droht, die Saison ist nicht zu Ende. „Wir haben eine Verpflichtung vier Spieltage vor Schluss“, erklärt Rettig. „Es geht darum, wieder Vertrauen bei Fans, Sponsoren und Partnern aus dem Umfeld zu erarbeiten.“

Rettig: "Als ob ich ewig bleiben würde"

Jeder weiß, dass der seit gestern 56-Jährige seine Tätigkeit bei St. Pauli am 30. September aus privaten Gründen beendet. Dennoch will er seinen Job nicht austrudeln lassen. Im Gegenteil: Rettig mischt an den Zukunftsentscheidungen mit. „Gute Manager haben immer auch ein Gefühl für die Zeit danach“, sagt er. „Ich arbeite immer so, als ob ich ewig bleiben würde.“ Rettig ist also informiert, wen das Präsidium als Nachfolger für seine Position und als neuen Sportchef im Auge hat. Diese Personalentscheidungen sollen zeitnah verkündet werden: „Wir sind in den Überlegungen was den Sportchef angeht so weit, dass ich davon ausgehe, dass es nicht mehr ewig dauert.“

Wunschkandidat hat schon Kaderanalyse erstellt

Im Hintergrund mischt der kommende Manager bereits an den Zukunftsplanungen mit. „Natürlich haben wir bei den Sportdirektorenkandidaten Kaderanalysen abgefordert. Wir sind ja keine Traumtänzer“, sagt Rettig. „Da alles auf einen Wunschkandidaten hinausläuft und der schon eine Kaderanalyse vorgenommen hat, schlafe ich ruhig, weil ich weiß, wie der tickt. Wenn der Verein diesen Kandidaten bekommt, wäre das eine gute Lösung.“

Möglicherweise wird allerdings einiges durcheinandergewirbelt bei St. Pauli. Dabei könnte es auch um Spieler gehen, deren Verträge erst kürzlich verlängert wurden – unter der alten sportlichen Leitung. „Jetzt haben wir eine andere Situation: Wir haben zwei neue Entscheidungsträger, Sportdirektor und Trainer“, erklärt Rettig. „Eventuell wird das Anforderungsprofil auf bestimmten Spielerpositionen anders. „Das meine ich mit harte Entscheidungen.“

Will St. Pauli ernsthaft oben angreifen?

Auf jeden Fall hat das Präsidium auf einer Sitzung am Dienstag bereits signalisiert, den Lizenzspieleretat für die neue Saison „in vertretbarem Rahmen“ zu erhöhen. Eben auch, damit es möglich ist, die Mannschaft zu verstärken. Ziele werden nicht ausgegeben, doch der Versuch, ernsthaft oben anzugreifen, soll offensichtlich unternommen werden.

Mit dem Spiel am Sonnabend (13 Uhr) gegen Jahn Regensburg beginnt für die Profis die finale Bewährungszeit. Im Training scheint die Botschaft angekommen. Zumal es im Saisonendspurt auch um viel Geld von der DFL geht. Jeder Platz in der Abschlusstabelle ist Bares wert. Rund 800.000 Euro mehr oder weniger bedeuten bessere oder schlechtere Platzierungen in der sogenannten TV-Geld-Tabelle. „Von Platz drei braucht hier niemand mehr zu reden“, sagt Rettig. „Es geht darum, um jeden Platz, um jeden Punkt zu kämpfen.“