Hamburg. Im ersten Spiel unter Trainer Jos Luhukay steigert sich der FC St. Pauli beim 1:1 gegen Bielefeld erst nach der Pause.
Neuer Trainer, neue Erfahrungen – das traf am Sonntag beim FC St. Pauli ganz besonders auf Marvin Knoll zu. Der am Mittwoch verpflichtete Jos Luhukay hatte den Mittelfeldspieler für das Heimspiel gegen Arminia Bielefeld nur als Ersatzmann und nicht als Akteur in der Startelf vorgesehen. Das war Knoll in allen Saisonspielen zuvor noch nicht widerfahren. Am Ende aber konnte sich Knoll als einer der wenigen Gewinner des Spiels fühlen, auch wenn dieses nach einer erschreckend schwachen ersten Halbzeit nur 1:1 endete und den FC St. Pauli nicht näher an den dritten Tabellenplatz heranbrachte.
Knoll war nicht allein deshalb die entscheidende Figur der zweiten Halbzeit, weil er nur knapp drei Minuten nach Wiederbeginn von der linken Seite die präzise, weite Flanke schlug, die Ryo Miyaichi per Kopf zum 1:1-Ausgleich (48.) verwertete. Mit dem kampfstarken Knoll im Team ließ St. Pauli den Bielefeldern bei Weitem nicht mehr den Platz im Mittelfeld, den sie in der ersten Halbzeit immer wieder zu gefährlichen Konterangriffen genutzt hatten.
Ineffektiver Daehli
„Wir mussten froh sein, dass wir nach der ersten Halbzeit nicht deutlich höher hinten lagen“, erkannte Knoll treffend. Dies sah auch Innenverteidiger Justin Hoogma so. „Bielefeld hat uns am Leben gehalten. Wenn es zur Pause 0:3 steht, kann man nichts sagen. Mit ein bisschen Glück haben wir das 0:1 gehalten“, sagte der Niederländer und Landsmann des neuen Trainers.
Neben der Einwechslung von Knoll für den wiederum enttäuschenden und ineffektiven Mats Möller Daehli stellte Luhukay sein Team auch taktisch anders ein, beorderte Sami Allagui auf die linke Angriffsseite und Knoll als dritten Mann ins Mittelfeld. „Man braucht einen zweiten Plan in der Hinterhand, wenn der erste Plan nicht funktioniert oder man Probleme damit hat. Wir hatten im Mittelfeld immer ein großes Loch“, sagte Jos Luhukay dazu.
St. Paulis neuer Trainer vergaß auch nicht, den zunächst degradierten Knoll mit einem Extralob zu bedenken. „Ich habe es Marvin erklärt, er war enttäuscht. Aber ich habe ihm gesagt, dass wir ihn auch heute brauchen werden im Laufe des Spiels. Ich muss sagen: Respekt. Er hat die Enttäuschung umgesetzt, er hat Charakter gezeigt und hat die Mannschaft auf dem Weg nach vorn ins Spiel kommen lassen.“
Trainer mit klaren Ansagen
Die Halbzeitansprache von Luhukay, die den Grundstein für eine deutlich bessere und ansehnlichere zweite Halbzeit seines Teams legte, war auch bei den anderen Spielern ein großes Thema. „Es war super, wie uns der Trainer darauf eingestellt hat, besser in die Zweikämpfe zu kommen“, sagte Kapitän Johannes Flum, der erstmals seit Wochen wieder in der Startelf stand. Überhaupt ist er vom Nachfolger des beurlaubten Markus Kauczinski angetan. „Er hat eine klare, gute Ansprache und eine klare Struktur. Das merkt man schon, auch wenn wir erst vier Tage zusammen sind. Er hat uns gezeigt, welchen Weg er mit uns gehen will“, sagte er. Nur in den Zwischentönen ist zu erahnen, dass ihm so etwas unter Kauczinski gefehlt hatte.
In diesem Zusammenhang verriet Torwart Robin Himmelmann, der beim – unberechtigten – Strafstoß von Bielefelds Fabian Klos zum 0:1 (5.) chancenlos war, dass es am Anfang vergangener Woche nach dem 1:2 in Kiel eine mannschaftsinterne Sitzung gegeben hatte. „Wir haben am Anfang in der Mannschaft gesprochen und gesagt, was machen wir jetzt? Es war klar, dass jeder gesagt hat, dass wir früh pressen und uns nicht hinten reinstellen und einigeln wollten. Wir wollten am Millerntor das Spiel kontrollieren und den Gegner früher unter Druck setzen“, erklärte Himmelmann.
Diese Ausrichtung ist quasi das Gegenteil von dem, wie Markus Kauczinski die Mannschaft vor allem im Stadtderby gegen den HSV (0:4) eingestellt hatte, was seinem ohnehin schon angekratzten Ansehen letztlich entscheidend schadete, auch wenn die Trennung erst rund einen Monat später erfolgte.
Interne Teamsitzung vor dem Trainerwechsel
Die Vorgabe von Luhukay, den Gegner früh zu pressen, war hingegen ganz im Sinne der Spieler. „Das, was er uns vorgegeben hat, hat uns in die Karten gespielt, weil wir genau das Gleiche als Idee ausgearbeitet hatten“, sagte Himmelmann.
Den Elfmeter, der zum frühen 0:1 führte, thematisierte nach dem Abpfiff auch der jetzt wieder zusätzlich als Sportchef agierende kaufmännische Geschäftsführer Andreas Rettig. „Das erste Gefühl war, dass das Foul knapp außerhalb war. Linienrichter Mike Pickel hatte mir spontan gesagt, dass das Foul auf der Linie war. Wer will das aus der Distanz entscheiden? Kurz nach Wiederanpfiff hat er sich bei mir entschuldigt. Fehler machen wir alle“, sagte Rettig.
Luhukay aufgeweckter als sein Vorgänger
Tatsächlich fand der höchst ungeschickte Tritt von Rechtsverteidiger Yiyoung Park, der sich zuvor bei einem lang geschlagenen Diagonalpass extrem verschätzt hatte, in den Bauch von Andreas Voglsammer recht deutlich vor der Strafraumgrenze statt. Schiedsrichter Sascha Stegemann ließ sich offenbar davon täuschen, dass Bielefelds Stürmer mit vollem Tempo in den Strafraum stürzte.
„Die Mannschaft hat den Charaktertest bestanden. Wie sie sich nach der schlechten ersten Halbzeit wieder herausgekämpft hat, auch dank der taktischen Umstellung des Trainers, mit welcher Leidenschaft und mit dem nach vorne gerichteten Spiel sie aufgetreten ist, kann man ein positives Fazit ziehen“, sagte Rettig weiter.
Der Interimssportchef zeigte sich während des Spiel rund um die St.-Pauli-Bank übrigens weit aufgeregter als Trainer Jos Luhukay, der seine Gesten nicht häufig, aber gezielt einsetzte. Insgesamt wirkt er beim Spiel aufgeweckter als sein Vorgänger. Interessant wird, wie sich das Team nach der ersten vollen Trainingswoche unter Luhukay beim 1. FC Heidenheim präsentieren wird.