Hamburg. Er gilt als einer der besten Sechser der Liga und hatte viele Angebote. Der gebürtige Berliner entschied sich für den FC St. Pauli.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Marvin Knoll in Hamburg angekommen ist, lieferte ihn der Mittelfeldspieler des FC St. Pauli, als er das Abendblatt zum Gespräch ins Restaurant Elbfisch nach Altona bestellte. Hier, wo es den „Knolli-Teller“ mit Lachs, Köfte, einer türkischen Frikadellenspezialität, und Grillgemüse gibt, ist der gebürtige Berliner zum Fischesser geworden. Wie überhaupt gutes Essen für den 28-Jährigen zur Lebensqualität gehört. Im Abendblatt spricht der Fußballprofi über Glücksgefühle im Job, seine Kindheit in einer Hochhaussiedlung und was ihn mit den Weltmeistern Jerome Boateng und Toni Kroos verbindet.
Hamburger Abendblatt: Herr Knoll, Sie plagen sich gerade mit Oberschenkelproblemen herum, was jeden Sportler nervt. Wann hatten Sie das letzte Mal unabhängig vom Fußball so richtig schlechte Laune?
Marvin Knoll: Puh, gute Frage. So richtig lang anhaltende schlechte Laune hatte ich ewig nicht.
Woher rührt Ihre ansteckende gute Laune?
Knoll: Auf der Welt geschehen tagtäglich so viele schlimme Dinge. Ich habe eine wundervolle Familie, der es gut geht. Meine kleine Tochter ist mein Ein und Alles. Wenn es ihr gut geht, geht es mir auch gut. Sie hat auch immer gute Laune. Dazu noch gutes Essen, Freunde, und nicht immer nur an Fußball denken. Das ist Lebensqualität für mich.
Sie sind kein Fußball-Nerd, der sich jedes Spiel im Fernsehen anschaut?
Knoll: Das war früher so, aber mittlerweile gibt es einfach zu viel Fußball. Man braucht Sky, DAZN, Eurosport Player. Das geht mir auf den Keks . Aber ich genieße es ohnehin, dass ich in meiner Freizeit auch mal über andere Dinge sprechen kann als über Fußball.
Dabei wirkt es so, als wäre kein Spieler bei St. Pauli glücklicher in seinem Job als Sie.
Knoll: So ist es auch. Ich bin froh, dass ich Fußball spielen darf, genieße jeden Moment, den ich auf dem Platz stehen darf. Ich wache auf und freue mich aufs Training. Das ist geil. Auch weil ich weiß, dass es irgendwann vorbei sein wird. Es gibt nichts Schöneres, als Spaß an seinem Beruf zu haben. Aber ich möchte nicht nur auf den Fußballer Knoll reduziert werden.
Was macht Ihren Job zum Traumberuf?
Knoll: Ich hatte schon immer Spaß am Fußball. Aber wenn ich mal reflektiere, was ich in meinem Beruf schon alles durchgemacht habe, genieße ich es umso mehr, dass ich jetzt hier bei St. Pauli in einem tollen Umfeld mit geilen und lustigen Mitspielern bin, die genauso mit Freude zum Training kommen wie ich. Hier in Hamburg hat der Spaß am Fußball noch mal ein neues Level erreicht. St. Pauli und ich: Es hat einfach gefunkt!
Sie waren einer der begehrtesten Spieler der Zweiten Liga, hatten viele Angebote. Was hat den Ausschlag für Hamburg gegeben?
Knoll: Natürlich hatte ich Angebote auf dem Tisch, die finanziell besser waren oder vielleicht auch eine höhere Wahrscheinlichkeit auf Erfolg gehabt hätten. Aber ich habe auf mein Bauchgefühl gehört und gemerkt, dass St. Pauli am besten zu mir passt. Das habe ich schon in Regensburg so gemacht. Ich bin dorthin, als sie in der Dritten Liga gespielt haben, und ich wurde ausgelacht, als ich sagte, dass das Potenzial für die Zweite Liga da ist. Wir sind dann in die Regionalliga abgestiegen, aber ich wusste, dass wir es schaffen können, in die Zweite Liga zu kommen. Und das ist uns gelungen. Darauf bin ich stolz. Ohne die Aufstiege hätte es das neue Stadion und die neuen Trainingsplätze nicht gegeben. Ich habe meinen Teil beigetragen, dass die späteren Generationen von den Gegebenheiten profitieren.
Es lief bei Ihnen nicht nur rund in der Karriere. Welche Kehrseiten des harten Profigeschäfts haben Sie kennengelernt?
Knoll: Vielleicht war ich als junger Spieler zu ungeduldig. Ich wollte schnell durchstarten, war aber womöglich noch gar nicht so weit. Das sieht man als junger Spieler natürlich nicht, aber ich habe mich gerade in Sandhausen, wo es richtig schlecht lief, immer professionell verhalten. Ich konnte immer in den Spiegel schauen.
War Ihre Zeit in Sandhausen unter Trainer Alois Schwartz der bisherige Tiefpunkt?
Knoll: Ja! Ich war selten im Kader, durfte nicht mittrainieren, wurde in den Wald geschickt, durfte nicht aufs Mannschaftsfoto. Mir wurde nahegelegt, den Club zu verlassen. Aber wie es so ist: Wenn du spielst, bist du gefragt, wenn nicht, interessiert sich keiner für dich. Solche Dinge tun in dem Moment unglaublich weh, ich war am Boden. Wenn du es schaffst, da rauszukommen, haut dich später nichts mehr so schnell um. Das hat mich im Kopf nur noch stärker gemacht.
Wer hat Ihnen in den Momenten geholfen?
Knoll: Viel Hilfe bekommt man im Fußball nicht, wenn es nicht läuft. Da ist man auf sich gestellt, muss sich selbst bei Laune halten, sich zu noch einer Extraschicht im Fitnessstudio aufraffen, noch einen Extralauf absolvieren. Der innere Antrieb ist gefragt. Aber mein Berater Daniel Scheinhardt, ein ehemaliger St.-Pauli-Profi, hat immer zu mir gehalten. Heute weiß ich, alles, was so negativ klingt, war im Nachhinein doch für etwas gut.
Haben Sie diese Mentalität von Ihren Eltern mit auf den Weg bekommen?
Knoll: Wir hatten damals nicht viel, aber wir haben das Beste daraus gemacht. Und meine Mutter hat mir alles ermöglicht. Fußballschuhe, einen Ball. Sie hat alles für mich getan. Es ist der Verdienst meiner Mutter, dass ich so stark bin.
Wie sind Sie im Berliner Problemstadtteil Spandau aufgewachsen?
Knoll: Es war schwierig. Ich bin im Hochhaus-Block groß geworden. Wir hatten eine Wiese und einen Bolzplatz. Ich musste mich gegen die älteren Jungs durchsetzen. Da hieß es: Ey, Kleiner, geh weg. Ich habe dann gesagt: Nein, ich will auch spielen. Das ist eine Mentalität, die mich weiterhin prägt.
Wie würden Sie ihre Jugend beschreiben?
Knoll: Es war eine unglaublich geile Zeit. Ich bin ein Kind der 90er. Handys gab es nicht. Man ist einfach raus, hat bei seinen Kumpels geklingelt und gehofft, dass einer da ist, um zu bolzen. Wenn der eine Freund nicht da war, bist du zum nächsten gegangen, der einen Kilometer entfernt gewohnt hat. Ich werde versuchen, meiner Tochter genau das mitzugeben. Dass es ein Leben außerhalb von Handys und sozialen Netzwerken gibt.
Spandau ist bekannt für eine hohe Kriminalitätsrate. Waren Sie gefährdet?
Knoll: Nein, nie. Ich habe keinen Mist gebaut, habe nie Ärger gemacht. Ich wurde einfach gut erzogen. Ein paar meiner Kumpels sind damals auf die schiefe Bahn geraten, aber ich bin in einem tollen Elternhaus aufgewachsen. Meine Mutter hat mich zu einem guten Kerl gemacht und daher war ich nie in Versuchung. Meine Freizeit bestand aus Fußball.
Haben Sie noch Kontakt zu ihren Kumpels?
Knoll: Ich bin nicht der Typ, der sich für etwas Besseres hält, bloß weil er Profifußballer ist. Das sind meine Freunde, wir sind zusammen groß geworden. Ich respektiere meine Jungs und ihre Jobs. Einer meiner besten Freunde ist Taxifahrer in Berlin. Das ist ein Beruf, in dem man für nicht so viel Geld viel arbeitet. Davor habe ich riesigen Respekt.
Sie engagieren sich für soziale Zwecke? Eine Herzensangelegenheit?
Knoll: Ja, absolut. In Spandau engagiere ich mich seit Jahren für die Aktion „Mitternachtssport“. Kinder werden von der Straße geholt, um zu kicken, statt Blödsinn anzustellen. Wir machen das gemeinsam mit einem Café, wo die Kinder Mittagessen und Hausaufgaben erledigen können. Wenn ich in Berlin bin, schaue ich da gerne vorbei. Dann kommen auch mal Fragen wie: „Ich habe jetzt eine neue Freundin. Was soll ich mit ihr unternehmen?“ Das fragen die mich, der seit acht Jahren vergeben ist? Ich sage immer: Essen gehen ist besser als Kino. Dabei kann man sich besser unterhalten. Spaß beiseite. Es ist wirklich ein tolles Projekt. Jerome Boateng ist auch Botschafter.
Sie haben in der Jugend zusammen gespielt.
Knoll: Ja, das war eine coole Zeit. Wir sind zusammen deutscher Meister mit der U 17 geworden. Jerome war damals schon unglaublich. Mir war klar, dass er mit seinen Fähigkeiten Bundesligaspieler wird.
Boateng ist nicht der einzige Weltmeister, mit dem Sie eine Vergangenheit haben.
Knoll: In der U-17-Nationalmannschaft spielte auch Toni Kroos. Leider wurde ich kurz vor der Junioren-WM aussortiert, obwohl ich zuvor alle Spiele gemacht hatte. Das hat mich getroffen, aber vor dem Turnier wurde ein neuer Trainer verpflichtet: Heiko Herrlich.
Der auch in Regensburg ihr Chef wurde. Haben Sie ihm die Ausbootung nachgetragen?
Knoll: Nee, da war ich ganz cool. Die U 17 wurde damals Dritte beim Turnier. Als er mich fragte, ob ich noch böse sei wegen damals, meinte ich nur: Nein, aber mit mir hättet ihr das Ding gewonnen.
Was war wichtig auf dem Weg zum Profi?
Knoll: Es gehören für mich drei Dinge dazu: Talent, Biss und eine große Portion Glück. Es gibt in Deutschland viele talentierte Kicker, aber man braucht einen Scout, einen Trainer, der etwas in einem sieht. Bei mir war es bei Hertha BSC Dirk Kunert, der später beim HSV in der zweiten Mannschaft war. Im Profibereich habe ich viel von Jos Luhukay gelernt. In Regensburg hatte ich mit Achim Beierlorzer und Heiko Herrlich zwei Trainer, die Klasse waren.
Klasse scheint auch Ihr Bartwuchs zu sein. Werden Sie sich beim Aufstieg rasieren?
Knoll: Von mir aus kann der Bart dann ab.
Linksverteidiger Daniel Buballa fällt mit einer Teilruptur des Außenbandes im Sprunggelenk für das Spiel am Montag beim VfL Bochum aus.