Hamburg. Der fünfte Platz täuscht über viele Schwächen der Mannschaft hinweg – aber die Breite des Kaders überzeugt.

Der Blick auf die aktuelle Tabelle der Zweiten Liga gäbe für die Anhänger des FC St. Pauli reichlich Anlass zu frohlocken – eigentlich. Platz fünf und mit 16 Punkten aus den bisherigen neun Spielen nur ein Zähler Rückstand auf einen direkten Aufstiegsplatz – diese Zwischenbilanz könnte sogar Anlass für kühnste Hoffnungen sein. Warum hier aber der Konjunktiv zwingend angebracht ist, liegt an den oft nur mäßigen sportlichen Darbietungen der Mannschaft, die gar nicht so recht zur erfreulichen Tabellensituation passen wollen.

Nach gut einem Viertel der Saison, nach Spielen gegen die Top drei, gegen Abstiegskandidaten und gegen Teams aus dem Tabellenmittelfeld stellen sich die Fans, aber auch die Verantwortlichen die Frage: Wie stark ist der FC St. Pauli der Saison 2018/19 wirklich? Über einen erfolgreichen Saisonstart mit zwei Siegen in den ersten beiden Spielen, danach vier Pflichtspielniederlagen in Folge und jetzt zehn Punkten aus den jüngsten vier Spielen ist St. Pauli auf dem fünften Rang angekommen.

Spielerisch ist mehr möglich

So schwankend wie der bisherige Saisonverlauf sind auch die Leistungen des Teams in vielen der einzelnen Spiele. Bestes Beispiel war der 3:1-Erfolg gegen den abstiegsgefährdeten SV Sandhausen am vergangenen Sonntag, als St. Pauli stark anfing, die Führung erzielte, das Spiel danach komplett aus der Hand gab, den Ausgleich und fast noch ein zweites Gegentor hinnehmen musste, sich wieder ins Spiel kämpfte und kurz vor Schluss noch zwei Treffer zum Sieg erzielte.

„Es beantwortet sich von selber, dass ich uns nicht als Spitzenteam ansehe“, sagte St. Paulis Trainer Markus Kauczinski am Tag nach dem 3:1 gegen Sandhausen. „Aber wir entwickeln uns. Wir sind ein Team, das Qualität hat, aber noch nicht konstant ist. Ich bin optimistisch, dass wir Stück für Stück besser werden können.“

Auch Außenbahnspieler Richard Neudecker, vor knapp zwei Wochen als eingewechselter Spieler Siegtorschütze beim 2:1 gegen Paderborn, weiß noch nicht so recht, wie er die scheinbar glänzende Tabellensituation in Relation zu den fußballerischen Darbietungen bewerten soll. „Wir müssen das selber erst einmal alles einordnen. Wir wissen, dass wir spielerisch auf jeden Fall mehr können. Das sehen wir jeden Tag im Training. Es ärgert uns, dass wir das im Moment nicht so auf den Platz bekommen“, sagte Neudecker am Montag.

Schlusslicht in der Kategorie Ballbesitz

Die verschiedenen Statistiken belegen, dass St. Paulis Mannschaft im ligainternen Vergleich eher im Mittelfeld als in der Spitzengruppe einzuordnen ist. So ist St. Pauli mit einer Quote von 49,97 Prozent an gewonnenen Zweikämpfen nur das zehntbeste Team der Liga. Die durchschnittliche Laufleistung des Teams in einem Spiel von 112,65 Kilometern bedeutet nur Rang 14. Schlusslicht ist St. Pauli sogar in der Kategorie Ballbesitz. Nur 43,5 Prozent der Spielzeit haben die Hamburger das Spielgerät in den eigenen Reihen. In Heimspielen liegt dieser Wert sogar bei nur 41,3 Prozent. Die Erfahrung der jüngeren Vergangenheit zeigt allerdings, dass St. Pauli oft die Spiele mit mehr eigenem Ballbesitz als der Gegner verloren hat.

St. Pauli feiert Last-minute-Sieg am Millerntor:

St. Pauli feiert Last-minute-Sieg am Millerntor

Der FC St. Pauli siegt dank zwei Toren in der Nachspielzeit mit 3:1 gegen Sandhausen
Der FC St. Pauli siegt dank zwei Toren in der Nachspielzeit mit 3:1 gegen Sandhausen © dpa | Daniel Bockwoldt
Sami Allagui (M.) brachte den Kiezclub kurz vor Schluss erneut in Führung
Sami Allagui (M.) brachte den Kiezclub kurz vor Schluss erneut in Führung © Bongarts/Getty Images | Oliver Hardt
Vorausgegangen war eine starke Vorlage mit der Hacke des Holland-Riesen Henk Veerman
Vorausgegangen war eine starke Vorlage mit der Hacke des Holland-Riesen Henk Veerman © Bongarts/Getty Images | Oliver Hardt
Christopher Buchtmann (r.) machte mit seinem Treffer zum 3:1 alles klar
Christopher Buchtmann (r.) machte mit seinem Treffer zum 3:1 alles klar © dpa | Daniel Bockwoldt
Buchtmann (r.) feierte sein Tor ausgelassen mit Co-Trainer André Trulsen
Buchtmann (r.) feierte sein Tor ausgelassen mit Co-Trainer André Trulsen © Bongarts/Getty Images | Oliver Hardt
Leitwolf Knoll ließ Buchtmann hochleben
Leitwolf Knoll ließ Buchtmann hochleben © Bongarts/Getty Images | Oliver Hardt
St. Pauli holte zehn Punkte aus den vergangenen vier Spielen
St. Pauli holte zehn Punkte aus den vergangenen vier Spielen © Bongarts/Getty Images | Oliver Hardt
Dem sonst so souveränen Marvin Knoll unterliefen diesmal einige Fehlpässe
Dem sonst so souveränen Marvin Knoll unterliefen diesmal einige Fehlpässe © Bongarts/Getty Images | Oliver Hardt
Dimitrios Diamantakos schoss St. Pauli in Führung
Dimitrios Diamantakos schoss St. Pauli in Führung © Bongarts/Getty Images | Oliver Hardt
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In Sachen Fair Play sind die Kiezkicker dagegen schon ein Topteam. Lediglich 15 Gelbe Karten und noch kein Platzverweis bedeuten Rang vier im Ligavergleich.

Deutlich verbessert zeigt sich das Team auch bei der eigenen Torausbeute. Außer beim 0:0 im Stadtderby beim HSV hat St. Pauli in jedem seiner Spiele mindestens einen Treffer erzielt. Insgesamt sind es bereits 15 – gegenüber neun zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. „Es ist auch eine Qualität, regelmäßig Tore zu erzielen – und das manchmal sogar aus dem Nichts“, sagt Trainer Kauczinski. Gleichzeitig konnte in den jüngsten vier Spielen die zuvor bedrohliche Flut von Gegentoren (zwölf in drei Spielen) eingedämmt werden. Nur noch zweimal musste Torwart Robin Himmelmann einen Ball aus dem Netz holen. Beide Partien gewann St. Pauli dennoch.

„Glückliches Händchen“ mit den Jokern

Noch auffälliger war in den jüngsten vier Matches, dass die eingewechselten Spieler maßgeblich an den drei Siegen mit Treffern und Torvorlagen beteiligt waren. Namentlich waren dies Ryo Miyaichi, Ersin Zehir, Henk Veerman, Richard Neudecker und Sami Allagui.

Davon, dass er ein besonders „glückliches Händchen“ mit seinen Jokern habe, will Trainer Kauczinski nicht so viel wissen. „Wir haben eine gewisse Breite im Kader, die einem das auch möglich macht. Henk und Sami sind auch Kandidaten, die in der ersten Elf stehen können. Ryo hat gezeigt, dass er eine besondere Qualität hat, egal, ob er von Beginn an spielt oder reinkommt. Es wäre zu einfach, alles nur mit Glück zu erklären“, sagt er. Für den Kopf sei es zudem gut zu wissen, dass man zum Ende eines Spiels noch einmal zurückkommen könne, wenn es nicht so gut läuft.

Ein kurzer Blick auf die vergangene Saison zeigt aber auch, dass St. Paulis aktuelle Zwischenbilanz noch längst kein Anlass zu Euphorie ist. Auch vor einem Jahr hatte das Team vom Millerntor aus den ersten neun Saisonspielen 16 Punkte gesammelt, was damals Platz sechs bedeutete. Es folgten aber sieben Partien ohne Sieg, der Sturz auf Rang 14 und die Trennung von Trainer Olaf Janßen noch vor dem Ende der Hinrunde.