Hamburg . Der Lokalrivale hatte den ersten Technischen Direktor im deutschen Profifußball. Heute gilt Michael Reschke als das Maß der Dinge.
Der Titel hört sich ziemlich wichtig an, doch eine ganz genaue Definition, was ein „Technischer Direktor“ im Profifußball zu tun hat, gibt es offenbar nicht. Seit knapp zwei Wochen hat der bisherige Cheftrainer Ewald Lienen diese Funktion beim FC St. Pauli inne und vom Präsidium einen bunten Strauß von Aufgaben mit auf den Weg bekommen. Wertebotschafter soll Lienen ebenso sein wie sportlicher Berater des Präsidiums, Mentor für die Nachwuchstrainer, Sponsorenbetreuer und eine Art „Außenminister“, wenn der Kiezclub wie geplant Kooperationen mit ausländischen Clubs eingeht.
Doch wie wird die Funktion eines Technischen Direktors bei anderen Clubs interpretiert? Interessant ist zunächst einmal, dass es derzeit in der Ersten und Zweiten Bundesliga neben St. Pauli nur zwei weitere Vereine gibt, die diese Position überhaupt explizit besetzt haben – der FC Augsburg mit Stephan Schwarz und der FC Bayern München mit Michael Reschke.
Bewertung von signifikanten Entwicklungen
Vor nunmehr drei Jahren wechselte der heute 59 Jahre alte Reschke von Bayer Leverkusen zum deutschen Rekordmeister, wo er als „Technischer Direktor“ für die gesamte Kaderplanung in enger Abstimmung mit dem Vorstand verantwortlich ist. Dies umfasst nicht nur jeweils aktuelle Transfers, sondern ganz betont auch die mittelfristige Planung, die Beobachtung und Bewertung von signifikanten Entwicklungen auf dem internationalen Markt sowie die daraus für den deutschen Rekordmeister zu ziehenden Konsequenzen.
So gesehen unterscheidet sich Ewald Lienens neue, sehr vielschichtige Aufgabe bei St. Pauli vom klar umrissenen Aufgabenfeld Reschkes – trotz desselben Titels. Eine Schnittmenge ist allerdings im internationalen Bereich zu erkennen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich Reschke selbst als „Außenminister“ des FC Bayern sieht. Dieser Begriff fiel auch bei der Präsentation Lienens im Zusammenhang mit dessen neuer Beschäftigung. „Es ist das Ziel, irgendwann für den FC St. Pauli an der Außenministerkonferenz teilzunehmen“, hatte Lienen da gescherzt.
Ganz ernsthaft aber soll er die geplanten Kooperationen mit ausländischen Clubs mit Leben füllen. „Ewald Lienen ist parkettsicher und spricht mehrere Fremdsprachen“, sagte St. Paulis Geschäftsführer Andreas Rettig zu diesem Bereich. St. Paulis bisheriger Cheftrainer beherrscht auch dank seiner internationalen Stationen neben Englisch auch Spanisch und Französisch und spricht zudem etwas Griechisch.
Ewald Lienen: Best of Pressekonferenzen:
Bayern Münchens Technischer Direktor Michael Reschke ist derweil auch ohne Kooperation mit einem ausländischen Topclub auf internationaler Ebene bestens vernetzt und informiert. Als ihn die Bayern-Führung im Sommer 2014 von Bayer Leverkusen an die Isar holte, wurde seine Stelle eigens für ihn geschaffen. Auch dies ist eine Parallele zum FC St. Pauli, bei dem es diesen Posten zuvor nicht gab.
Öffentlich tritt Reschke sehr selten in Erscheinung, seine Definition der Stelle „Außenminister“ sieht er denn auch weniger darin, für Bayern München im Ausland Imagewerbung zu betreiben. Vielmehr ist er ständig auf der Suche nach Spielern, die kurz- oder auch mittelfristig für seinen Club interessant sein können. So hatte er den Franzosen Kingsley Coman (20) schon lange im Visier, ehe die Münchner ihn vor zwei Jahren verpflichteten.
Man muss man gut vernetzt sein
„Es gilt, in Zusammenarbeit mit der extrem wichtigen Scouting-Abteilung den nationalen und internationalen Spielermarkt im Spitzen- und Nachwuchsbereich einschätzen zu können. Zudem muss man so gut vernetzt sein, dass man wichtige Vertragskonstrukte wie Ausstiegsklauseln kennt“, beschrieb Reschke im April seine Funktion in einem Interview mit der spanischen Zeitung „El Pais“. Und weiter: „Selbstverständlich gilt es auch, die eigenen Talente sehr gut einschätzen zu können. Dieser ,Außenminister‘ muss dann gemeinsam mit dem Trainer, der Geschäftsführung und dem ,Innenminister‘ eine Kaderplanungsstrategie vorbereiten.“
Als „Innenminister“ sieht Reschke eine Person, die wichtigster Ansprechpartner für den Trainer und dessen Stab, die Spieler, die medizinische Abteilung und alle weiteren Mitarbeiter im Teamumfeld sei, sowie als Bindeglied zum Präsidium und der Geschäftsführung fungiere. Gleichzeitig müsse er den Club in den Medien vertreten. Übertragen auf den FC St. Pauli ist dies in etwa die Stellenbeschreibung für den noch zu ernennenden Sportchef, dem Lienen allerdings offiziell unterstellt sein wird.
HSV holte Knöpfle vom 1. FC Köln zurück
Beim FC Augsburg wurde Stephan Schwarz (46) im Januar vom Chefscout zum Technischen Direktor befördert. Ähnlich wie Michael Reschke ist auch er für die Kaderplanung und das Scouting verantwortlich, dazu auch für die Trainingsplanung. Auch dies unterscheidet sich von Lienens Aufgaben.
Der erste Verein im deutschen Profifußball, der explizit einen Technischen Direktor unter Vertrag nahm, war übrigens ausgerechnet St. Paulis Lokalrivale. 1966 holte der HSV seinen zuvor von 1949 bis 1954 amtierenden Trainer Georg Knöpfle vom 1. FC Köln zurück und betraute ihn mit dieser neuen Aufgabe. Drei Jahre später allerdings, als es sportlich unter Kurt Koch nicht allzu gut lief, kehrte Knöpfle vom Schreibtischstuhl für ein Jahr auf die Trainerbank des HSV zurück.
Congerton erwarb sich zweifelhaften Ruf
Danach dauerte es bis Mitte 2011, ehe sich der HSV erneut einen Technischen Direktor leistete. Sportchef Frank Arnesen brachte seinen Vertrauten, den Waliser Lee Congerton, mit zum HSV. Dieser krempelte im ersten halben Jahr die Scouting-Abteilung mit dem Ziel um, in diesem Bereich mit damals 25 Mitarbeitern effektiver als zuvor zu werden. Auch in diesem Fall hatte die HSV-Führung, wie zuvor bei Knöpfle und jetzt St. Pauli bei Lienen, diese Stelle neu geschaffen.
Congerton erwarb sich im Laufe der Zeit und mit zunehmender Kritik an Arnesen den zweifelhaften Ruf, einer der umstrittensten führenden Angestellten des Vereins zu sein, was auch an dem von vielen als unangemessen hoch empfundenen Jahresgehalt von rund 600.000 Euro lag. Auch nach der Trennung von Arnesen im Mai 2013 blieb der ebenfalls freigestellte Congerton noch monatelang auf der Gehaltsliste des HSV. Das änderte sich erst, als er im März 2014 Sportdirektor des AFC Sunderland wurde.
Es wird interessant zu beobachten sein, wie Ewald Lienen die so unterschiedlich ausgestaltete Funktion des Technischen Direktors interpretiert und mit Inhalt füllt, und ob das Ganze nachhaltiger ist, als es zweimal beim HSV der Fall war. Sein Vertrag bis Ende 2020 deutet jedenfalls auf eine gute Absicht hin.