Hamburg. Der umstrittene Job-Wechsel des Ewald Lienen. Der Erfolgscoach hat plötzlich keine unmittelbare Weisungsbefugnis mehr.

Auch am Tag nach dem Wechsel von Ewald Lienen von der Position des Cheftrainers auf die neu geschaffene Stelle des „Technischen Direktors“ des FC St. Pauli gab es im Verein und seinem Umfeld höchst unterschiedliche Meinungen über diese Personalie. Zwischen der Begeisterung, einen Mann, der fast wie kein Zweiter zu diesem Club und seinen Idealen passt, langfristig an sich gebunden zu haben, und dem Unverständnis, einen zuletzt höchst erfolgreichen Trainer abgelöst und ihm einen „Rentenvertrag“ auf einem neu erfundenen Posten gegeben zu haben, reichen dabei die Einschätzungen.

Dabei ranken sich die Diskussionen zunächst um die Frage, warum es überhaupt notwendig gewesen sein soll, das Trainer-Duo Ewald Lienen/Olaf Janßen zu sprengen, das mit 34 Punkten aus 17 Spielen gerade die erfolgreichste Halbserie in der Profifußball-Geschichte des FC St. Pauli feiern konnte. Jetzt wird Janßen als neuer Chefcoach und ein von ihm noch zusammenzustellendes Trainerteam zwangsläufig die Bürde tragen, an dieser außerordentlich starken Punktebilanz gemessen zu werden.

Hintergrund für die Entscheidung war offenbar, dass es schon seit längerer Zeit und vor Beginn der jüngsten Erfolgsserie zumindest bei einigen Entscheidungsträgern im Verein größere Zweifel gab, ob der im Dezember 2014 als „Retter“ verpflichtete Lienen in der Lage ist, das Team fußballerisch weiterzuentwickeln und zu einem realistischen Aufstiegsaspiranten zu formen. Eine Trennung von Lienen ein Jahr vor dem Ende seines bis Juni 2018 laufenden Vertrages kam allerdings nach dem Sprung des Teams von Rang 18 auf sieben der Abschlusstabelle der Zweiten Liga nicht in Betracht.

Lienen kann über seinen neuen Posten schon Witze machen

„Oft enden Trainertätigkeiten mit großen Ärgernissen und Rauswürfen, oft gehen Freundschaften zu Bruch. Beim FC St. Pauli aber schreiben wir die Erfolgs- und Liebesgeschichte mit Ewald Lienen weiter“, sagte St. Paulis Präsident Oke Göttlich am Mittwoch ziemlich pathetisch.

Gemeinsam habe man sich entschlossen, diesen Postenwechsel in dieser Sommerpause zu vollziehen, berichtete Göttlich weiter. „Wir haben diese Variante immer wieder mal besprochen. Es ist jetzt ein guter Zeitpunkt, den Wechsel zu vollziehen. Ich habe Olaf Janßen als Nachfolger vorgeschlagen und kann den Staffelstab guten Gewissens weitergeben“, sagte Ewald Lienen. Gleichzeitig aber stellte der 63-Jährige auch klar: „Es hat nichts damit zu tun, dass ich nicht mehr Trainer sein will. Es liegt nicht an fehlender Motivation.“

5446192371001_videostill_1495622941484.jpg
Ewald Lienen: Best of Pressekonferenzen

weitere Videos

    Ausgestattet mit einem Vertrag bis zum 31. Dezember 2020 soll Lienen „als Aushängeschild mit großer Reputation“, wie es Geschäftsführer Andreas Rettig formulierte, künftig vor allem vier Aufgabenbereiche abdecken. Er soll das Präsidium, die Geschäftsführung und den Cheftrainer in sportlichen Fragen beraten, er soll sich um die Aus- und Weiterbildung der Nachwuchstrainer in Absprache mit Roger Stilz, dem sportlichen Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, kümmern, er soll für die Pflege der zahlreichen Sponsoren zuständig sein und hier Termine wahrnehmen, die bislang oft unbesetzt geblieben sind und schließlich soll Lienen auch als „Wertebotschafter“ des Clubs tätig werden. Zum letzten Punkt meinte er gewohnt augenzwinkernd: „Ziel ist es, irgendwann für den FC St. Pauli an der Außenministerkonferenz teilzunehmen.“

    Lienen ist dem Sportchef unterstellt

    Auf Nachfrage mussten Göttlich und Rettig einräumen, dass noch nicht feststeht, ob Lienen seinen künftigen Arbeitsplatz wie bisher im Trainingszentrum an der Kollaustraße oder auf der Geschäftsstelle am Millerntor haben wird. „An der Kollau gäbe es wohl eine Möglichkeit, die wir uns schon angesehen haben. Aber am Rechner kann ich auch zu Hause sitzen“, sagte Lienen.

    Fest steht dagegen, dass Lienen als „Technischer Direktor“ keine unmittelbare Weisungsbefugnis haben und in der Hierarchie unter dem Sportchef angesiedelt sein wird. Wer dies allerdings künftig sein wird, konnte Präsident Göttlich am Mittwoch nach den zwei­tägigen Klausursitzungen von Präsidium und Aufsichtsrat weiterhin noch nicht verkünden. Auf jeden Fall will Geschäftsführer Andreas Rettig diese seit November ebenfalls ausgeübte Funktion wieder abgeben. „Ich möchte künftig Entscheidungen beeinflussen, ohne dass ich dabei im operativen Geschäft verhaftet bin. Ich sehe mich als eine Art Supervisor. Es gibt für diese Funktion einen Bedarf “, sagte Lienen.

    Kommentar: Elegantes Wegloben des Fanlieblings

    Für Olaf Janßen beginnt mit dem Trainingsstart am 19. Juni ein neuer beruflicher Abschnitt. Erst zum zweiten Mal in seiner 2003 begonnenen Trainerkarriere wird der 50-Jährige einen regulären Cheftrainerposten im Profibereich bekleiden, nachdem er in der Saison 2013/14 bei Dynamo Dresden in dieser Funktion tätig gewesen und nach dem Abstieg dort entlassen worden war. Vor seinem Wechsel zu St. Pauli war er im September 2016 für zwei Spiele Interimstrainer beim VfB Stuttgart.

    „Ich werde als Cheftrainer alles in meiner Macht Stehende dafür tun, dass die Mannschaft weiterhin mit so viel Ehrgeiz, Leidenschaft und Spielfreude daran arbeitet, dass die neue Saison nicht wieder zu einer Zittersaison wird. Dazu freue ich mich, dass Ewald dem Verein weiter erhalten bleibt. Die gemeinsame Zeit mit ihm war in den vergangenen sieben Monaten etwas ganz Besonderes“, sagte Janßen.