München. Das 2:1 bei 1860 München ist bereits der vierte Sieg in diesem Jahr – Lasse Sobiech erzielt 1000. Zweitliga-Tor der Hamburger.
Es ist gefährlich in diesen Tagen, als Journalist etwas Schlechtes über den TSV 1860 München zu schreiben. Wegen ihrer angeblich zu kritischen Berichterstattung wurden den Tageszeitungen „Münchner Merkur“, „TZ“ und „Bild“ im Februar ihre Dauerakkreditierungen entzogen.
Groteske Öffentlichkeitsarbeit
Von Vereinsseite wurde dies damit begründet, dass man keine Basis mehr für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit sehe. Am vergangenen Freitag eskalierte der Streit, als einer „Bild“-Reporterin Haus- und Frageverbot erteilt wurde. Sie hatte zuvor über die Degradierung des Spielers Karim Matmour berichtet. Schreckliche, neue Fußballwelt.
Auch St. Pauli machte unliebsame Bekanntschaft mit der grotesken Öffentlichkeitsarbeit des Clubs von Sechzig-Investor Hasan Ismaik. Während die Hamburger vor der Partie ein Interview mit Aziz Bouhaddouz ermöglichten, musste der Wunsch nach einem Gespräch mit einem Spieler von 1860 München – so die Auskunft – erst mit der Geschäftsführung abgesprochen werden. Am Ende warteten die Hamburger vergeblich auf eine Antwort.
Bemerkenswert auch der Vorfall während des Spiels, über den St. Paulis Geschäftsführer Andreas Rettig berichtete: „Als unsere Gremiumsmitglieder, die in unmittelbarer Nähe zu Herrn Ismaik saßen, nach dem Ausgleich jubelten, wurden sie von einem Ordner zur Mäßigung aufgerufen. Nach weiterem Jubel nach dem 2:1 wurden sie aufgefordert die Plätze zu verlassen und sich umzusetzen.“
Ein dreckiges aber erfolgreiches Spiel
Der Freude tat das am Ende keinen Abbruch. Mit dem 2:1-Erfolg konnten die Braun-Weißen ihren fast unheimlichen Siegeszug fortsetzen und feierten den vierten Sieg in den vergangenen fünf Spielen (bei einem Remis). Erstmals in dieser Saison konnte St. Pauli dabei eine Partie nach einem Rückstand drehen. „Es war ein dreckiges Spiel, von dem man sicher keine DVD anfertigen muss, um es sich noch fünfmal anzuschauen“, gab Trainer Ewald Lienen zu, „unser Auftritt war nicht attraktiv, aber zielführend. Wir wollten so etwas wie in Bielefeld unbedingt vermeiden.“
Worauf der Coach anspielte, waren seine Wechsel in der zweiten Hälfte, als er beim Stand von 2:1 mit der Herausnahme von Cenk Sahin und Mats Möller Daehli die kreative Abteilung bewusst schwächte, um die Defensive zu stärken. Und anders als in Bielefeld, als sein Team in der Nachspielzeit noch den 1:1-Ausgleich hinnehmen musste, hielt das Bollwerk. Wer gewinnt, hat alles richtig gemacht. So geht Abstiegskampf.
Bessere Raumaufteilung
Wer noch die Auftritte aus der Hinrunde in Erinnerung hat, kann es kaum glauben, wie gefestigt St. Pauli auftritt. Der frühe Rückstand durch Lumor (27.) als Folge einer durchwachsenen Anfangsphase wirkte eher wie ein Weckruf. Positiv hervorzuheben waren nicht nur die hervorragenden Zweikampfwerte (60 Prozent gewonnen), sondern genauso die Ordnung und Kombinationsfreude.
Lasse Sobiech, der für Sören Gonther auflief und per Elfmeter das 1000. Tor für den FC St. Pauli in der eingleisigen Zweiten Liga erzielen konnte, wollte deshalb den jüngsten Höhenflug nicht nur mit dem gestiegenen Selbstvertrauen begründen: „Wir spielen deutlich besser und erfolgreicher, weil wir eine bessere Raumaufteilung haben und uns weniger Ballverluste leisten.“
Profiteur dieser Entwicklung ist natürlich Aziz Bouhaddouz, der nach seinem Hattrick beim 5:0 gegen den KSC vor einer Woche per Kopf den Siegtreffer markierte. „Er ist derjenige, der unser Spiel veredelt“, sagt Lienen, der aber logischerweise noch weit davon entfernt ist, von einer Entspannung im Abstiegskampf zu sprechen. „Wir benötigen voraussichtlich noch 13, 14 Punkte. Stolz können wir sein, wenn wir den Klassenerhalt geschafft haben.“
Glückliche Elfmeterentscheidung
Die Tendenz spricht jedoch klar für die St. Paulianer, besonders der Teamgeist. Während der Vorbereitung auf das 1860-Spiel imitierte das B-Team die taktische Spielweise der „Löwen“, die bevorzugt im 3-4-3-System agieren. Ein Schlüssel zum Erfolg in München.
Und 1860? Am Tag nach der Niederlage meldete sich der Jordanier Ismaik per Facebook zu Wort. Hatte er für das Pokalaus in Lotte noch den Platz verantwortlich gemacht, so übte er dieses Mal harte Kritik an Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus: „Ich hätte mir nach dem Spiel eine Entschuldigung gewünscht.“ Tatsächlich war die Elfmeterentscheidung glücklich für St. Pauli, als Abdoulaye Ba den Schuss von Sobota abwehrte.
Man könnte jetzt entgegnen: Jeder bekommt das, was er verdient, aber das wäre zu gefährlich. Alles vielleicht lieber positiv formuliert: willkommen im Abstiegskampf, liebe Löwen. Oder man schließt sich Rettigs Fazit an: „Das Verhalten der Löwen-Verantwortlichen der letzten Wochen sollte auch dem letzten Fußballfan in Deutschland die Augen geöffnet haben und sollte all denen, die nach Investoren schreien, Mahnung und Warnung zugleich sein.“