Hamburg. Roger Stilz hat eine bewegte Vita. Beim FC St. Pauli leitet der Grundschullehrer seit dieser Saison das Jugendleistungszentrum.
92 Mitarbeiter – Roger Stilz konnte das zunächst selbst kaum glauben. „Ich habe extra noch einmal nachgezählt“, sagt er. Von den Fahrern über den Lehrer bis zu den Trainern. Es ist ein gewaltiger Apparat. Rund 200 junge Menschen werden im Nachwuchsleistungszentrum des FC St. Pauli betreut, auf dem Weg begleitet, ein möglichst guter, kompletter Fußballer zu werden. Roger Stilz ist seit dem 1. Juni vergangenen Jahres der „Chef von dat Janze“: der Leiter, der die Linie vorgibt, organisiert, für den reibungslosen Ablauf sorgen und erfolgreich sein möchte. „Ziel ist natürlich, dass wir eigene Spieler für den Lizenzspielerbereich ausbilden“, sagt er.
40 Jahre alt wird Stilz im März, das ist schon ein besonderer Geburtstag. Da passt es, dass er nun angekommen zu sein scheint. Seinen Weg, sein Ziel hat sich der Ostschweizer gesucht, teils wurde er ihm auch gewiesen: von der erstklassigen Größe im Hamburger Amateurfußball über eine Selbstständigkeit im Journalismus und in der Modelbranche, das Germanistikstudium, die Jugendleitertätigkeit beim SC Victoria bis zum Einstieg in den Profifußball als Co-Trainer beim HSV unter Thorsten Fink. „Ich möchte nichts auf dem bisherigen Weg missen, habe meine Erfahrungen gemacht“, sagt er, „jetzt fügt sich das Puzzle zusammen.“
2004 aus der Schweiz nach Hamburg
In der Zweiten Schweizer Liga hatte Stilz gespielt, kam 2004 nach Hamburg, um sein Studium abzuschließen, kickte für Altona 93 und Victoria. Feines Füßchen, gutes Auge – Stilz wurde heimisch in Hamburg. Nie ein Lautsprecher, eher ein Mann der leisen, aber feinen Töne. Wie auf dem Platz, Gestalter statt Zerstörer. Der schreit nicht irgendwas dahin, der überlegt, was er sagt. Und so sagte er auch nach Übernahme seines neuen Jobs beim FC St. Pauli erst einmal öffentlich wenig bis gar nichts. Bis jetzt. „Ich halte es für richtig, erst den Verein von innen und die Mitarbeiter kennenzulernen und dann zu sprechen“, erklärt er.
Von der U 10 bis zur U 23 bildet das Nachwuchsleistungszentrum des FC St. Pauli Spieler aus. Es hat drei Sterne, die höchste Zertifizierung des DFB. 25 Trainer (sechs hauptamtliche) sind dabei, drei Athletiktrainer, zwei Torwarttrainer, ein Sportpsychologe, ein Pädagoge, dazu Nachhilfelehrer. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der Julius-Leber-Schule in Schnelsen und fünf Plätze im Jugendtalenthaus, in dem junge Kicker betreut leben können, für die der Weg nach Hause zu weit ist. „Campus“, Internat oder Gasteltern gibt es nicht. Auf den Bereich Hamburg und Umgebung konzentriert sich der Verein bei seiner Suche nach Talenten. „Wir halten die Familie für wichtig“, sagt Stilz, „wir möchten uns auch um den Menschen kümmern, nicht nur um Technik und Taktik. Auch um die mentale Verfassung, Schule und Beruf, die Freunde, das Umfeld.“
Stilz ist eigentlich Grundschullehrer
Als ausgebildeter Grundschullehrer weiß Stilz, wovon er da spricht, pädagogisch eben. Leben lernen statt nur kicken. Praktische Erfahrungen in diesem Bereich konnte er bei Victoria sammeln, wo er neben seiner Spielerkarriere zwischen 2007 und 2013 als Jugendleiter tätig war. „Die Abläufe sind durchaus zu vergleichen, auch da führt man Elterngespräche, sucht man Trainer, setzt sich über Trainingsinhalte mit ihnen auseinander“, erzählt Stilz. „Nur dass es dort in die Breite ging und hier eben in die Spitze. Ich bin sehr froh über diese Jahre an der Basis.“
Als er im Sommer 2013 von Thorsten Fink als Assistent zum HSV geholt wurde, fühlte er sich auch schon „angekommen“. Die tägliche Arbeit auf dem Platz, kicken mit Topstars wie Rafael van der Vaart, das war’s. Ein Traum, eine neue, große Erfahrung.
Stilz „überlebte“ beim HSV auch den Trainer Bert van Marwijk, erlebte mit Mirko Slomka die Relegation, ließ seinen Vertrag im Sommer 2014 aber auslaufen und ging als Co-Trainer von Valérien Ismaël zum 1. FC Nürnberg. „Das war wichtig für mich, ein anderer Ort, andere Menschen. Niemand kannte mich, wie werde ich wahrgenommen“, erklärt Stilz seine Beweggründe für das Abenteuer Franken. Konsequent hat er es durchgezogen, die Wohnung in Hamburg aufgegeben, Frau und den damals dreijährigen Sohn mitgenommen. Aber ... Es wurde ein kurzes „Vergnügen“. Ismaël musste Mitte November 2014 beim „Club“ gehen, der Co-Trainer wurde auch nicht mehr gebraucht. Daran hatte der Hamburger Schweizer zu knabbern. Ein Scheitern, so richtig, erstmals.
DFB-Lehrgang mit Nagelsmann und Nouri
Und eine Chance. „Eigentlich habe ich Glück im Unglück gehabt“, sagt er heute. Er begann den Fußballlehrer-Lehrgang des DFB, gemeinsam mit den heutigen Bundesligacoaches Julian Nagelsmann (Hoffenheim) und Alexander Nouri (Bremen), und schloss ihn erfolgreich ab. Er absolvierte Praktika in Basel und bei Red Bull Salzburg – ganz bewusst außerhalb der deutschen Bundesliga. „Ich habe dort sehr viel gelernt über Strukturen und Organisation.“ Und noch mehr über sich. „Ich wollte Führung, Verantwortung und konzeptionelle Arbeit“, sagt Stilz. „Und auf dem Platz als Trainer stehe ich ja auch noch manchmal.“
Dass der FC St. Pauli positiv auf seine Bewerbung regiert hat, dass die Stelle des Nachwuchsleiters überhaupt frei wurde: ein großes Glück. Nach zwei Jahren in der Fremde kehrte Roger Stilz in die Heimat zurück. Frau und Sohn sind in Hamburg auch wieder glücklich. „Ich bin sehr happy mit dem Job“, sagt er, „so etwas habe ich gesucht. Und es gibt viel zu tun.“