Hamburg. Nach dem neunten sieglosen Spiel in Folge steht St. Pauli weiterhin zu seinem Trainer. Was für und was gegen eine Entlassung spricht.
Am Montagmorgen war der Wille bei Ewald Lienen offenbar zurückgekehrt. Der Coach des FC St. Pauli diskutierte auf dem Platz lautstark und gewohnt inbrünstig mit Co-Trainer Olaf Janßen. Noch am Vortag wirkte Lienen nach der erneuten 0:1-Niederlage gegen Düsseldorf ausgebrannt und ratlos. Seine Durchhalteparolen erreichten weder die Spieler, noch schien er selbst von seinen Worten überzeugt.
Personelle Konsequenzen hat auch das neunte sieglose Zweitligaspiel in Folge nicht. Im Gegenteil: Der kommissarische Sportdirektor Andreas Rettig ließ nach der Partie keine Gelegenheit ungenutzt, um Lienen den Rücken zu stärken. „Wenn wir vom Trainer nicht überzeugt wären, hätten wir reagiert“, sagte Rettig. Auch im abendlichen „Sportclub“ des NDR gab das sportliche Oberhaupt auf die Frage, ob ein Trainerwechsel ein Thema sei, nur eine kurze, trockene Antwort: „Nö.“
Doch was spricht eigentlich dafür, weiterhin an Lienen als Trainer festzuhalten? Was dagegen?
Kämpfernatur passt wie die Faust aufs Auge
Der 62-Jährige passt mit seiner Kämpfernatur und offenen Art wie die Faust aufs Auge zum Verein. Zudem kennt er den Abstiegskampf wie kaum ein anderer. Vor zwei Jahre rettete er den Kiezclub aus einer ähnlich prekären Lage. Damals hatte Lienen St. Pauli nach dem 17. Spieltag als Tabellenletzten mit nur 13 Punkten übernommen und zum Klassenerhalt geführt (Platz 15). Derzeit wäre er froh über diese Ausbeute – sein Team steht nach 13 Spielen mit nur sechs Punkten als 18. am Abgrund zur Dritten Liga.
Trotzdem muss man Lienen zugutehalten, dass der Kader im Vergleich zu den vergangenen beiden Spielzeiten qualitativ schwächer besetzt ist. Zudem sorgten diverse Verletzungen dafür, dass der Trainer nie eine eingespielte Stammelf zur Verfügung hatte. An Akribie und Fleiß mangelt es Lienen bestimmt nicht, seine Spielvorbereitung ist detailliert. „Die Trainingsinhalte sind super. Von meiner Seite aus gibt es keinen Diskussionsbedarf“, sagt Mittelfeldmann Bernd Nehrig.
Bilder vom Spiel gegen Düsseldorf:
Eigentor leitet St. Paulis Heimpleite gegen Düsseldorf ein
Kämpft das Tam nicht bedingungslos?
Doch wenn die Ergebnisse nicht stimmen – und das tun sie bei St. Pauli schon lange nicht mehr –, ist es im Profi-Fußball oftmals eine Frage der Zeit, bis die Uhr für den Trainer abläuft. „Natürlich weiß ich, dass in solchen Phasen Trainer und Manager immer die schwächeren Glieder sind“, sagt Nehrig und verteidigt Lienen: „Wir sind die Verantwortlichen, die auf dem Platz stehen.“ Nimmt man die zuletzt schlechten Leistungen als Maßstab, muss man konstatieren, dass das Team nicht bedingungslos für den Trainer gekämpft hat.
St. Pauli ließ in den vergangenen Wochen wenig unversucht, um die Kehrtwende zu schaffen: Sportchef Thomas Meggle wurde entlassen, Co-Trainer Janßen geholt, die Trainingszeiten an den Spieltag angepasst und der Neustart ausgerufen. Doch nichts davon half. Seit Saisonbeginn ist keinerlei Entwicklung in der Mannschaft zu erkennen, die harmlose Offensive (nur acht Treffer) ist seit Monaten ein Problem. Auch Systemumstellungen und Personalwechsel haben nicht den gewünschten Effekt erzielt. Lienen muss sich vorwerfen lassen, mit unglücklichen Aufstellungen Spiele vercoacht zu haben.
Mit Ausnahme seiner Amtszeit in Köln (1999 bis 2002) musste Lienen bei seinen Trainerstationen in Deutschland spätestens nach 20 Monaten gehen. Bei St. Pauli ist er nun schon seit 23 Monaten im Dienst. Ob er das auch noch bis Weihnachten ist, hängt von den nächsten Auftritten seines Teams ab. Im Falle einer Entlassung wäre wohl Neu-Co-Trainer Janßen ein möglicher Nachfolger. Doch Lienen hat seinen Willen noch nicht verloren.