Hamburg. Sportdirektor Andreas Rettig sprach dem Trainer trotz des 0:1 gegen Fortuna Düsseldorf das Vertrauen aus.

Das Spiel war gut eine Stunde vorbei, da saß Ewald Lienen im zweiten Stock der Hauptribüne auf seinem Stuhl im Presseraum des Millerntor-Stadions. Vor ihm gut eine Hand voll Journalisten, die auf Antworten gespannt waren. Das erschreckend schwache 0:1 (0:1) des FC St. Pauli gegen Fortuna Düsseldorf warf schließlich viele Fragen auf. Warum konnte man sich nur eine klare Torchance in 90 Minuten erspielen? Warum konnte man wieder nicht zu Null spielen? Warum hat man bei einigen Spielern immer noch das Gefühl, dass sie den Ernst der Lage noch nicht realisiert haben? Ist der proklamierte Neuanfang verpufft, bevor er eingesetzt hat?

Wer auf die gewohnt detaillierten und fundierten Antworten gehofft hatte, wurde enttäuscht. Der sonst so energiegeladene 62-Jährige wirkte angeschlagen. Die Stimme leise, die Gründe für die neunte Saisonniederlage klangen so banal, dass sich ein Phrasenschwein gefreut hätte. „Wir hatten Spieler in der Startelf, die lange verletzt waren und erst vor Kurzem ins Training eingestiegen sind. Diese Spieler müssen wir pushen und zurück auf den Platz bringen. Offensiv war es zu wenig von uns“, sagte Lienen, der quasi auf das Prinzip Hoffnung setzt.

Zur Ehrenrettung des Trainers muss man konstatieren, dass mit Aziz Bouhaddouz, Ryo Miyaichi, Cenk Sahin und Waldemar Sobota vier Profis zum Einsatz kamen, denen der Spielrhythmus zuletzt fehlte. Zudem fehlten gestandene Profis wie Philipp Ziereis oder Fabrice-Jean „Fafa“ Picault.

St. Pauli fehlt ein Offensivkonzept

Doch den vor allem auch kämpferisch desolaten Eindruck allein auf das Verletzungspech zu schieben wäre zu kurz gedacht. St. Pauli, das im neuen 4-1-4-1-System agierte, spielte wie in den Vorwochen auch ohne erkennbares Offensivkonzept. Viel zu früh kam der lange Ball auf Mittelstürmer Bouhaddouz, der alleine gegen die robusten Düsseldorfer überfordert war und nur in Minute 48 zu einem Torabschluss kam.

Das zentrale Mittelfeld, wo überraschend Rechtsverteidiger Vegar Eggen Hedenstad als verkappter Spielmacher auflief, war komplett aus dem Spiel – Automatismen und Ballstafetten über mehrere Stationen? Fehlanzeige: „Wir spielen keinen guten Fußball und tun uns schwer, Chancen zu kreieren“, sagte Außenstürmer Sobota. „Das ist eine schwere Situation für uns. Alles, was wir probieren, scheint nicht zu funktionieren. Das ist sicher auch eine Kopfsache“, so der Pole, der ratlos mit den Schultern zuckte. Ein Sinnbild dieses tristen Fußballnachmittags.

Rettig: „Schritt in falsche Richtung“

Personelle Konsequenzen hat aber auch die dritte Heimniederlage nicht. Andreas Rettig fand – sichtlich bedient – in der Mixed Zone klare Worte, die sich aber mehr gegen das Team als gegen den Trainer richteten. Der Sportdirektor, der zur Halbzeit seinen Tribünenplatz aufgab und sich rechts neben die Spielerbank stellte, um näher an der Mannschaft dran zu sein, war enttäuscht von deren Auftreten. Dass das Eigentor von St. Paulis Linksverteidiger Daniel Buballa der einzige Gegentreffer blieb, war die einzig positive Erkenntnis des Nachmittags. Mit einer besseren Chancenverwertung hätten die technisch und körperlich deutlich besser agierenden Düsseldorfer auch mit drei oder vier Treffern Unterschied gewinnen können.

„Das war eine verdiente Niederlage. Ich hätte mir in der einen oder anderen Situation mehr Leidenschaft und Herzblut gewünscht“, sagte Rettig und ergänzte: „Das war ein Schritt in die falsche Richtung. Das war ein klarer Rückschritt. Der Blick auf die Tabelle sorgt für Kopf- und Bauchschmerzen.“

Einzelkritik: Himmelmann verhinderte Debakel

Wenn Sportdirektoren solch drastischen Worte wählen, könnte man meinen, ein Trainerwechsel wäre nur noch eine Frage der Zeit. „Wenn wir vom Trainer nicht überzeugt wären, hätten wir reagiert. Die Frage stellt sich nicht“, sagte Rettig.

Fakt ist aber: Der vom Verein in der Länderspielpause proklamierte Neuanfang ist verpufft. Einzig die Tatsache, dass die anderen Kellerkinder Fürth, Aue und Karlsruhe auch nicht von der Stelle kommen, lässt zumindest noch ein Fünkchen Hoffnung zu, dass man den sportlichen Turnaround noch schaffen kann. „Das ist das gefühlte dritte Mal, dass wir einen Neustart ausgerufen haben. Wir müssen irgendwie Punkte holen“, sagte Torhüter Robin Himmelmann. „Wir müssen im Kopf klar sein. Jeder muss Verantwortung übernehmen“, sagte Sobota leise. Den Eindruck, dass den Worten zeitnah Taten folgen werden, bekam man am Sonntagnachmittag irgendwie nicht.