Hamburg. Würzburgs Trainer spricht vor dem Spiel des FC St. Pauli bei den Würzburger Kickers über die Euphorie in seiner Heimatregion.

Am Montag (20.15 Uhr) tritt der FC St. Pauli bei den Würzburger Kickers an, die vor eineinhalb Jahren noch in der Regionalliga Bayern spielten. Der Trainer des zweimaligen Aufsteigers ist in Hamburg ein alter Bekannter, Bernd Hollerbach (46), einst ein kampfstarker und deshalb von den Fans geliebter Außenverteidiger beim FC St. Pauli und beim HSV. Vor dem Spiel am Montag spricht er über die Euphorie in Würzburg, Menschen, die ihn geprägt haben und die Lage beim HSV.

Sie waren am vergangenen Montag im Millerntor-Stadion beim 1:1 des FC St. Pauli gegen den 1. FC Nürnberg vor Ort. Welchen Eindruck haben Sie von Ihrem kommenden Gegner?

Bernd Hollerbach: Das werde ich jetzt gewiss nicht verraten (lacht). Spaß beiseite. Uns erwartet die nächste schwere Aufgabe, das steht fest. Wir müssen auch jetzt gegen Pauli wieder an unsere Grenzen gehen, um bestehen zu können. Wir wollen unser Spiel machen, was uns zuletzt so stark gemacht hat. Mutig auftreten, nach vorne spielen, flexibel agieren und so schwer ausrechenbar sein.

Trauen Sie dem FC St. Pauli zu, die sport­liche Wende zu schaffen?

Hollerbach: Ja, klar. Ewald Lienen weiß genau, was er tut, er ist ein Vollprofi und hat auch solche Situationen schon erlebt. Er hat einen klaren Plan und die Qualität ist im Team absolut vorhanden, um den Bock umzustoßen. Die Situation ist keine einfache, da ist Geduld gefragt. Oft ist es eine Kleinigkeit, die fehlt, um die Tendenz in eine andere Richtung zu lenken.

Was halten Sie von Ewald Lienen überhaupt? Haben Sie spezielle Erinnerungen an frühere Begegnungen?

Hollerbach: Wer Fußballer ist und diesen Sport liebt, dem geht logischerweise dieses Bild durch den Kopf, als er sich seinerzeit diese klaffende Wunde im Spiel mit Bielefeld gegen Bremen zugezogen hat. Ein Bild, das Fußball-Geschichte geschrieben hat. Ich war ja auch ein paar Jahre Profi, da haben sich unsere Wege immer wieder mal gekreuzt. Er ist ein Trainer mit Ecken und Kanten, einer, der klar seine Meinung zum Ausdruck bringt und dazu steht – das gefällt nicht jedem, ich aber mag solche Typen.

Sie haben in Hamburg nicht nur viereinhalb Jahre für St. Pauli, sondern sogar achteinhalb Jahre für den HSV gespielt. Wie konnte es dort zu einer derartigen Dauerkrise kommen? Sehen Sie noch eine Chance, den ersten Abstieg in der Geschichte des HSV zu vermeiden?

Hollerbach: Das ist recht schwer zu sagen aus der Entfernung. Dort, so glaube ich, kommt auch immer schnell Nervosität auf. Kontinuität ist das, was dem Verein wieder guttun würde. Vielleicht sollten sie mal sagen: So, wir sind nicht mehr da, wo wir mal waren, wir müssen wieder etwas zusammen aufbauen. Und dabei sollten sie sich auch vernünftig Zeit geben. Dann kommt der HSV auch wieder dorthin, wo er hingehört. Da bin ich mir sicher.

Bei den Würzburger Kickers erleben Sie das absolute Gegenteil. Seit Sie hier Trainer sind, ist Ihre Mannschaft zweimal aufgestiegen und schlägt sich auch in der Zweiten Liga bisher prächtig. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Hollerbach: Mit unseren vergleichsweise geringen Mitteln wollen wir das Maximum erreichen. Das geht mit einer gewissen Bodenständigkeit und mit Fleiß. Bei uns nimmt sich keiner zu wichtig, wir können nur als Mannschaft erfolgreich sein. Noch dazu haben wir kurze Entscheidungswege und eine klare Kompetenzverteilung. Damit sind wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren sehr gut gefahren. Aktuell ist das Maximum die Zweite Liga. Die gilt es zu halten, um nichts anderes geht es – und das wird schwer. Sollten wir das packen, wäre das noch höher einzustufen als die beiden Aufstiege. Egal, welche Umfrage Sie auch bemühen, uns hat jeder als ersten Absteiger genannt.

Beschreiben Sie einmal, wie euphorisch die Stimmung in der Stadt ist, die ja jahrzehntelang keinen großen Fußball zu sehen bekommen hatte.

Hollerbach: Es ist eine Mischung aus Euphorie und Stolz. Stolz, sich jetzt mit namhaften Clubs messen zu können. Diese Stimmung ist allerorten zu spüren. Egal, wo wir auch hinkommen, die Leute begegnen dir mit einem Lächeln, sprechen vom nächsten Spiel und ihrem Stadionbesuch. Dieses Gefühl gab es hier lange nicht. Es scheint so, als hätten die Leute nur darauf gewartet.

Sind die Würzburger Kickers praktisch der Gegenentwurf zu RB Leipzig? Wie sehen Sie die Entwicklung, dass immer mehr Clubs von Großinvestoren getragen werden?

Hollerbach: Jeder muss im Rahmen seiner Möglichkeiten versuchen, das Beste zu erreichen. Die Voraussetzungen sind überall anders. Jetzt aber einzelne Clubs zu kritisieren, ist nicht mein Ding. Im Gegenteil, wer viel hat kann auch viel falsch machen. Von daher habe ich Respekt vor dem, was gerade beispielsweise in Leipzig am Entstehen ist.

Wie bewerten Sie die Zweite Liga insgesamt, die ja gespickt ist von ehemaligen Bundesligaclubs, die fast alle das Ziel haben, dorthin wieder zurückzukehren?

Hollerbach: Schauen Sie sich die 18 Clubs an. Wer soll denn – uns mal ausgenommen – da absteigen? Die Zweite Liga dürfte aktuell durchaus die namhafteste sein. Entsprechend ist auch die Leistungsdichte und gleichermaßen groß der eigene Anspruch. 14 Mannschaften, so glaube ich, haben vor dieser Saison vom Aufstieg gesprochen. Das sagt doch alles.

Sie haben als Co-Trainer lange an der Seite von Felix Magath gearbeitet, der Sie seinerzeit auch als Spieler zum HSV geholt hatte. Was war der Anlass, diese „Ehe“ zu lösen und es selbst als Cheftrainer zu versuchen?

Hollerbach: Für mich war es eine Grundsatzentscheidung: Will ich weiterhin Co-Trainer bleiben oder zurück ins erste Glied. Ich habe mich für die zweite Variante entschieden.

War es für Sie schwierig, nach einem Leben in verschiedenen Städten wieder in der Heimat ansässig zu werden, die Sie mit 21 Jahren verlassen hatten?

Hollerbach: Nein. Denn ich bin ein Familienmensch, der auch zu Hamburger Zeiten gerne nach Hause gekommen ist. Die Familie war und ist mir immer sehr wichtig. Heute kann ich sagen, dass ich zwei Heimaten habe: Würzburg und Hamburg.

Felix Magath ist selbst geprägt worden von den Meistertrainern Branko Zebec und Ernst Happel. Sind Sie in Ihrer Arbeit und Ihren Grundsätzen geprägt von Felix Magath? Was haben Sie von ihm übernommen und was machen Sie ganz anders?

Hollerbach: Ich habe bei erfolgreichen Menschen, egal, ob im Sport oder der Wirtschaft, immer die Antennen ausgefahren und versucht, etwas mitzunehmen. Das gilt auch für die Trainer, bei denen ich Spieler war. Dabei habe ich aber auch eines gelernt: Es bringt nichts, etwas kopieren zu wollen. Man muss authentisch sein, darf sich nicht verbiegen. Die Zusammenarbeit mit Felix war absolut vertrauensvoll und erfolgreich.

Wer hat Sie noch geprägt?

Hollerbach: Meine Eltern. Für sie war es wichtig, dass ich zunächst einen Beruf erlerne, ehe ich Fußballprofi werde. Wenn man mal selbst erlebt hat, wie schwer hundert Mark zu verdienen sind, dann hilft einem das, bodenständig zu bleiben.

Sie haben kürzlich im „Kicker“ den schönen Witz gemacht, dass Sie auf jeden Fall die familieneigene Metzgerei übernehmen werden, dies aber erst in 15 Jahren, weil Ihr Vater erst 75 ist und noch so lange arbeiten kann. Im Ernst: Geht dem Fußball der gerade so erfolgreiche Trainer Bernd Hollerbach bald verloren?

Hollerbach: Das war eine nicht ganz ernst gemeinte Frage, und ich habe nicht ganz ernst geantwortet. Wie gesagt: In 15 Jahren kann sehr viel passieren. Das gilt umso mehr für das Fußballgeschäft, wo von einem auf den anderen Tag die Welt ganz anders aussehen kann. Mir ist wichtig, dass das, was über Generationen aufgebaut wurde, fortgeführt wird. Meine Eltern haben noch die körperliche und geistige Fitness, das Unternehmen zu leiten und zu lenken. Die Firma ist auch so etwas wie ihr Lebenselixier, zudem macht meine Schwester dort einen hervorragenden Job. Aber eine Rückkehr in den Betrieb würde ich nie ausschließen, dafür hänge ich zu sehr daran. Aktuell stellt sich diese Frage nicht.